Süddeutsche Zeitung

Börse:China senkt die Leitzinsen

Alle Welt erhöht Zinsen im Kampf gegen die Inflation - nur China macht gerade das Gegenteil, um die Konjunktur anzukurbeln.

Von Harald Freiberger

München - Chinas Null-Covid-Politik hat dramatische Folgen, im Großen wie im Kleinen: In einem Ikea-Markt in Schanghai kam es am Samstag zu chaotischen Szenen, als die Gesundheitsbehörden daran gingen, die anwesenden Kunden unter Quarantäne zu stellen. Auslöser war die Erkenntnis, dass einer der Besucher Kontakt mit einem Corona-Infizierten gehabt haben soll. Angesichts des angekündigten Hauruck-Lockdowns flohen Kunden offenbar schreiend. Videos in sozialen Medien zeigen, wie Menschen versuchten, das Gebäude zu verlassen, bevor die Türen verschlossen wurden. Die Menschen wissen, was ihnen drohen könnte: Zur Eindämmung von Corona hatte die 25-Millionen-Metropole den Menschen bereits im Frühjahr zwei Monate lang nicht gestattet, die Häuser zu verlassen.

Doch nicht nur das Virus an sich bekämpft China mit ungewöhnlichen Methoden, sondern auch die großen ökonomischen Verwerfungen. Während überall auf der Welt die Zinsen steigen, um die Inflation zu bekämpfen, stemmt sich Chinas Zentralbank mit der überraschenden Senkung wichtiger Zinssätze gegen die Konjunkturflaute. Die Banker kappten am Montag unter anderem den Referenzzins für einjährige Darlehen an einige Finanzinstitute (MLF) auf 2,75 von zuvor 2,85 Prozent. Damit sollen die Kreditkosten für Firmen gedrückt und die Konjunktur angekurbelt werden. Auch der Schlüsselsatz für sogenannte Reverse-Repo-Geschäfte senkte die Notenbank auf 2,0 von zuvor 2,10 Prozent. Diese Geschäfte dienen dazu, die Liquidität im Bankensystem zu kontrollieren.

Das Wachstumsziel von 5,5 Prozent dürfte nicht zu halten sein

Es war bereits die zweite Senkung um 0,10 Prozentpunkte bei diesen Zinssätzen in diesem Jahr und es soll die Binnenwirtschaft stimulieren. Im Frühjahr legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur um magere 0,4 Prozent zu. Finanzanalysten rechnen damit, dass das von der Regierung ausgegebene Wachstumsziel von 5,5 Prozent für dieses Jahr nicht gehalten werden kann. Das liegt anders als in Europa nicht an den Energiepreisen, sondern am schwächelnden Immobiliensektor. Aber vor allem liegt es an der harten Corona-Strategie.

Es mehrten sich die Anzeichen dafür, dass die Wachstumsdynamik "rasch" wieder nachlasse, die man nach zwischenzeitlichen Lockerungen eigentlich erwartet hatte, sagt Alvin Tan, Stratege der Royal Bank of Canada zu den aktuellen Wirtschaftsdaten. Der Direktor des China Chief Economist Forum, Wang Jun, sieht nur noch begrenzte Möglichkeiten für die Wirtschaftslenker in der Volksrepublik, die Konjunktur anzuschieben. Auch wenn die Kreditvergabe erleichtert werde, seien Firmen und Verbraucher in der aktuellen Situation sehr vorsichtig, weitere Verbindlichkeiten aufzunehmen: "Einige zahlen ihre Schulden vor der Frist zurück. Das könnte Vorbote einer Rezession sein", warnt der Ökonom.

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