Süddeutsche Zeitung

Konjunktur:Chinas Wirtschaft wächst um 18,3 Prozent

Das ist selbst in der Wirtschaftsgeschichte der Volksrepublik ein Novum. Das Land, in dem das Virus Ende 2019 ausbrach, ist drauf und dran, als erster Staat damit fertigzuwerden.

Von Christoph Giesen, Peking

Sagenhafte Wachstumszahlen ist man aus China gewöhnt. Aber ein Anstieg der Wirtschaftsleistung von 18,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal, wie es das Pekinger Statistikamt am Freitag verkündete, das ist selbst in der Wirtschaftsgeschichte der Volksrepublik ein Novum. Es ist der größte Sprung seit Beginn der quartalsweisen Auswertung vor knapp 30 Jahren.

Der ungewöhnlich starke Zuwachs erklärt sich damit, dass die chinesische Wirtschaft im vergangenen Frühjahr wegen der Corona-Pandemie stark eingebrochen war. Damals kam das bevölkerungsreichste Land der Welt für mehrere Wochen beinahe komplett zum Stillstand.

Im Februar 2020 hatte die Führung in Peking das Leben in der Volksrepublik beinahe eingefroren. Restaurants, Fabriken, Kinos, Schulen, Kindergärten - alles geschlossen. Die Regierung verbarrikadierte die Millionenstadt Wuhan und die umliegende Provinz Hubei. Der wirtschaftliche Einbruch im ersten Quartal war historisch: ein Minus von 6,8 Prozent, zum ersten Mal seit Beginn der offiziellen Aufzeichnungen im Jahr 1992 ein negatives Wirtschaftswachstum in einem Quartal. Die Furcht war damals groß, dass China 2020 in eine Rezession schlittern könnte, zumal die Arbeitslosigkeit sprunghaft anstieg: Bis zu 70 Millionen Chinesen könnten zwischenzeitlich ihre Arbeit verloren haben, schätzte etwa die Firma Zhongtai Securities.

Am Ende des Jahres wuchs Chinas Wirtschaft dann wieder, insgesamt um 2,3 Prozent. Ein Ergebnis, das bis vor Kurzem die chinesische Führung in Bedrängnis gebracht hätte. Jedes Jahr müssen schließlich Millionen neue Jobs geschaffen werden, Arbeitsplätze für Bauern, die als Wanderarbeiter in die Städte ziehen, für Universitätsabsolventen. 2,3 Prozent Wachstum mögen in Europa großartig sein, in China ist es eine Katastrophe, der jahrzehntealte Pakt zwischen Regierung und Bevölkerung - die Wirtschaft brummt und die Chinesen halten im Gegenzug die Klappe - droht dann zu erodieren.

Einmal mehr hilft China dabei, der Weltwirtschaft neuen Schwung zu verleihen

Doch jenes Land, in dem das Virus Ende 2019 ausbrach, ist drauf und dran, als erster Staat damit fertigzuwerden. Seit Monaten gibt es kaum noch neue Infektionen in China, das Leben und die Wirtschaftstätigkeiten haben sich normalisiert. Die strengen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus, etwa das Abriegeln von Millionenstädten, die strikte Isolation und die Einreisesperren, haben sich als effektiv erwiesen. Der Alltag ist zurück in China, eine zweite oder gar dritte Welle wie in Europa gibt es nicht.

Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um weitere 8,1 Prozent zulegen könnte. Die chinesische Regierung ist vorsichtiger, Premierminister Li Keqiang verkündete Anfang März bei der Eröffnung des Nationalen Volkskongresses ein offizielles Wachstumsziel von "mehr als sechs Prozent".

Vor allem ein starker Außenhandel half Chinas Wirtschaft zuletzt auf die Sprünge. Die Fabriken in der Volksrepublik liefen auf Hochtouren, um medizinische Güter wie Corona-Tests und Schutzmasken in alle Welt zu exportieren. Auch neue Laptops und andere Ausstattung für das Home-Office kommen oft aus China. Wie schon in der globalen Finanzkrise 2008 hilft China dabei, der Weltwirtschaft neuen Schwung zu verleihen. Die Binnennachfrage hat sich erholt, wozu die Regierung mit Konjunkturprogrammen beitrug. Deutsche Autobauer und auch viele andere Firmen, die auf dem chinesischen Markt agieren, konnten sich deshalb zuletzt über üppige Gewinne freuen.

Dennoch waren Fachleute davor, das Wachstum nicht überzubewerten. "Die Wirtschaft hat bereits das Vorkrisenniveau übertroffen, weshalb die politische Unterstützung zurückgezogen wird, sodass Chinas Aufschwung abflacht", sagt Ökonom Julian Evans-Pritchard von der Londoner Wirtschaftsforschungsberatung Capital Economics. "Wir gehen davon aus, dass das Wachstum im Quartalsvergleich für den Rest des Jahres bescheiden bleiben wird, da der jüngste Boom im Baugewerbe und bei den Exporten nachlässt." Das sehen andere Experten ähnlich und warnen davor, sich vom Rekordwachstum im Vorjahresvergleich blenden zu lassen. "Die konjunkturelle Dynamik im Reich der Mitte hat weiter Fahrt aufgenommen, wächst allerdings weitaus weniger fulminant, als die jüngste Wachstumszahl nun suggeriert", sagt der Analyst der Landesbank Baden-Württemberg Matthias Krieger.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5266453
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/hij
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.