Süddeutsche Zeitung

Konjunktur:Chinas Wirtschaft wächst wie vor der Pandemie

In der Volksrepublik legt die Wirtschaft im zweiten Quartal um 7,9 Prozent zu. Davon profitieren auch deutsche Konzerne.

Von Christoph Giesen, Peking

Welch ein Auf und Ab: Erst kam der Einbruch, so hart und radikal wie noch nie, danach die Erholung und auch diese markiert einen neuen Rekord. Die vergangenen Monate seit dem Ausbruch des Coronavirus waren selbst für Ökonomen, die sich schon lange mit der chinesischen Wirtschaft und ihren sagenhaften Wachstumsraten beschäftigen, ein Novum. Prozentzahlen tauchten auf einmal auf, die noch nie jemand zuvor gesehen, ja schlicht nicht für möglich gehalten hatte. Im April etwa vermeldete das Pekinger Statistikamt einen Anstieg der Wirtschaftsleistung um satte 18,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Es war der größte Sprung seit Beginn der vierteljährlichen Auswertung vor knapp 30 Jahren.

Ein Jahr zuvor war das bevölkerungsreichste Land der Welt für mehrere Wochen fast komplett zum Stillstand gekommen. Im Februar 2020 hatte die Führung in Peking das Leben in der Volksrepublik beinahe eingefroren. Restaurants, Fabriken, Kinos, Schulen, Kindergärten - alles geschlossen. Die Regierung ließ die Millionenstadt Wuhan und die umliegende Provinz Hubei verbarrikadieren. Um 80 Prozent brachen damals etwa die Autoabsätze ein. Allenfalls ein paar Zehntausend Wagen wurden verkauft, und das in einem Land, in dem sonst ein, zwei Millionen Neuzulassungen pro Monat die Regel sind. Der wirtschaftliche Einbruch in den ersten drei Monaten war historisch: ein Minus von 6,8 Prozent, zum ersten Mal seit Beginn der offiziellen Aufzeichnungen im Jahr 1992 ein negatives Ergebnis in einem Quartal.

Und nun haben die Behörden wieder Zahlen vorgelegt, allmählich normalisiert sich die Lage in China, die altbekannten Raten kommen zurück: Von April bis Juni wuchs die zweitgrößte Volkswirtschaft im Vorjahresvergleich um 7,9 Prozent, wie das Statistikamt am Donnerstag mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Fachleute hatten zuvor ein Plus von 8,1 Prozent erwartet. Zusammengerechnet lag das Wachstum im ersten Halbjahr demnach bei 12,7 Prozent. "Im Allgemeinen hat sich die Volkswirtschaft im ersten Halbjahr stetig erholt", hieß es in der Mitteilung des Statistikamtes. Die Behörde warnte allerdings auch vor einer ungleichmäßigen wirtschaftlichen Entwicklung im Land und vor unkalkulierbaren Auswirkungen der Pandemie in anderen Staaten.

Chinas Außenhandel brummte trotz Hafenschließung

Was bereits kleine Ausbrüche von Covid-19 in China bewirken können, erfuhr die Welt vor gut sechs Wochen: Die Gesundheitsbehörden in der südchinesischen Metropole Shenzhen schlossen damals den Yantian International Container Terminal, unweit der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong. In diesem Hafen werden normalerweise gut zehn Prozent der chinesischen Exportgüter verladen: Computer, Mikrowellen, Klimaanlagen für die ganze Welt. Der Hafen von Shenzhen ist der vielleicht wichtigste Umschlagplatz der Globalisierung und auf einmal war er dicht. In den ersten zwei Juniwochen konnten insgesamt 298 Containerschiffe mit einer Kapazität von mehr als drei Millionen Containern Shenzhen nicht anlaufen. Auch der Hafen von Guangzhou, ebenfalls einer der größten der Welt, war von dem Ausbruch betroffen.

Dem chinesischen Außenhandel schadete die Hafenschließung allerdings nicht sonderlich, wie die Zahlen der Zollbehörde zeigen, die bereits am Dienstag veröffentlicht worden waren. Die Exporte stiegen demnach im Vorjahresvergleich um 32,2 Prozent. Die Importe legten sogar um 36,7 Prozent zu. Von der Erholung der chinesischen Wirtschaft profitieren auch deutsche Konzerne. Viele Unternehmen, die in der Volksrepublik tätig sind, konnten sich im vergangenen halben Jahr über üppige Gewinne freuen. Laut einer im Juni veröffentlichten Umfrage der EU-Handelskammer in Peking profitierten die Firmen davon, dass China schneller als andere Weltregionen die Pandemie überwinden konnte und die Wirtschaft bereits im vergangenen Jahr wieder Fahrt aufnahm.

Für das Gesamtjahr 2021 geht die Weltbank in einer aktuellen Studie nun von einem Wachstum von 8,5 Prozent aus. Die chinesische Regierung ist vorsichtiger, Ministerpräsident Li Keqiang verkündete im März in seiner Eröffnungsrede vor dem Nationalen Volkskongress ein Ziel von "über sechs Prozent."

2020 war Chinas Wirtschaft trotz Corona um 2,3 Prozent gewachsen. Ein Ergebnis, das bis vor Kurzem die chinesische Führung noch in Bedrängnis gebracht hätte. Jedes Jahr müssen schließlich Millionen neue Jobs geschaffen werden, Arbeitsplätze für Bauern, die als Wanderarbeiter in die Städte ziehen und für Universitätsabsolventen. 2,3 Prozent Wachstum mögen in Europa großartig sein, in China ist es eine Katastrophe, denn der jahrzehntealte Pakt zwischen Regierung und Bevölkerung - die Wirtschaft brummt und die Chinesen halten im Gegenzug die Klappe - droht dann zu erodieren.

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