China in Europa:Der hungrige Riese

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China ist in Europa aktiv wie nie zuvor. Die deutsche Wirtschaft profitiert wie keine andere Volkswirtschaft auf dem Kontinent vom Boom im Reich der Mitte - jubeln manche. Vor allem in Deutschland wird das Engagement der Chinesen jedoch auch mit Sorge gesehen.

Karl-Heinz Büschemann und Caspar Busse

Sie war einmal der Stolz Britanniens. Die Autofabrik Longbridge in Birmingham, 1905 eröffnet, gehörte einst zu den größten Produktionsanlagen der Welt, war die Heimat von Rover und mit Zehntausenden von Beschäftigten ein industrieller Kern der britischen Wirtschaft. Das ist Geschichte. Heute gehört alles den Chinesen, der Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC), dem größten Autobauer Chinas.

Auf Europatour: Am Montag traf Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin, hier im Garten der Villa Liebermann. (Foto: dpa)

Von einem "Symbol für die Freundschaft zwischen China und dem Vereinigten Königreich", sprach Chinas Regierungschef Wen Jiabao, als er bei seiner Europareise in Longbridge Halt machte. Noch 400 Mitarbeiter bauen hier Autos. Die Teile für die Autos kommen alle aus China.

Longbridge ist ein Symbol: China ist aktiv in Europa wie nie zuvor. Gerade erst versprach Wen Jiabao, der auftritt wie der Heilsbringer aus dem Fernen Osten, Ungarn massive Hilfe. China werde kräftig ungarische Staatspapiere kaufen und Europa stützen. Chinesische Unternehmen sind gleichzeitig in Europa auf Einkaufstour, auch in Deutschland. Wirtschaftsminister Philipp Rösler begrüßte die Investoren via Bild schon mal. "Es ist gut für unsere Wirtschaft, für Wachstum und Beschäftigung, wenn sich Investoren langfristig bei uns engagieren und hier Arbeitsplätze schaffen", sagte er und warnte vor Panikmache.

Anfang Juni hatte der chinesische Computerbauer Lenovo nach dem deutschen Konkurrenten Medion gegriffen. Das Unternehmen aus Essen belieferte unter anderem die Discounterkette Aldi mit Billig-PCs und machte im vergangenen Jahr mit 1000 Beschäftigten einen Umsatz von 1,6 Milliarden Euro. Nun wollen die Chinesen die Firma für 630 Millionen Euro übernehmen, deren Marktanteil in Westeuropa würde auf sieben Prozent steigen.

China schlägt in Deutschland und Schweden zu

Es ist das erste Mal, dass Chinesen bei einem deutschen börsennotierten Unternehmen zugreifen. Lenovo-Chef Yuanqing Yang sprach von einem "offensiven Schachzug". Die Chinesen sind seit der Übernahme der PC-Sparte von IBM bereits viertgrößter Fertiger von Computern weltweit.

So weit ist es im Autobau zwar noch nicht. Aber auch hier melden chinesische Firmen in Europa Erfolge. So kaufte der noch junge Autobauer Geely die schwedische Traditionsmarke Volvo und stabilisierte das Unternehmen. Bald sollen auch in China Fahrzeuge der Marke Volvo produziert werden.

Auch beim schwedischen Autobauer Saab stiegen Investoren aus China ein. Der Pekinger Autoherstellers Hawtai gab Kapital für den schwer angeschlagenen Hersteller und erhielt etwa 30 Prozent der Anteile. Gerettet ist Saab damit aber noch lange nicht. Der Hersteller ist finanziell schwer angeschlagen und konnte zuletzt keine Löhne mehr zahlen.

Chinesen scheinen für viele eine Art Wunder-Partner zu sein. Wo immer ein europäisches Unternehmen in Schwierigkeiten gerät, folgt schnell die Meldung, es hätten sich Interessenten aus China gemeldet. So war es auch beim Autohersteller Opel, den die Muttergesellschaft General Motors vor zwei Jahren loswerden wollte. Der chinesische Autohersteller BAIC kam zwar nicht zum Zug, weil GM Opel vorerst behalten hat. Aber ganz aus dem Rennen ist BAIC immer noch nicht.

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Gerade in Deutschland entsteht schnell die Sorge, chinesische Partner seien an den Käufen von Krisenfirmen nur interessiert, um deren Technologie zu nutzen. Keine Frage: Das Schwellenland will von anderen lernen, wie man Autos oder Maschinen baut. Deshalb haben sich die neuen Investoren in Deutschland vor allem im Mittelstand eingekauft.

"Sie suchen verstärkt Zugang zu den Industrien, mit denen Deutschland berühmt wurde", beschreibt Jens-Peter Otto von der Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers in China die Strategie. Das seien Autohersteller, aber auch der Maschinenbau. Otto weiß von 2000 Firmen in Deutschland, die chinesischen Investoren ganz oder teilweise gehören.

China hat im vergangenen Jahr in der ganzen Welt 38 Milliarden US-Dollar investiert und es wird mehr. Ein Jahr zuvor lag diese Summe noch bei 30 Milliarden Dollar. Noch sind die Engagements in Europa und Deutschland vergleichsweise bescheiden. 2009 waren es in Deutschland kumuliert etwa 600 Millionen Dollar. Nach Schätzungen von Berater Otto werden es bis zum Jahr 2020 in Deutschland etwa vier bis fünf Milliarden Dollar an chinesischen Investitionen sein. Das Wachstum, so Otto, werde sich jetzt beschleunigen.

Wirtschaftlich sind Deutschland und China längst enge Partner, aber auch harte Konkurrenten. Der bilaterale Handel zwischen den beiden Volkswirtschaften wächst. 2010 lag das Volumen des Außenhandels zwischen China und Deutschland bei 130 Milliarden Euro, ein Plus von 38 Prozent. Allerdings importiert Deutschland aus China deutlich mehr als exportiert wird.

Deutschland profitiert am meisten vom China-Boom

Trotzdem sind die Ausfuhren für viele deutsche Industriezweige besonders wichtig, etwa für die Autoindustrie, den Maschinenbau oder die Chemiebranche. "Die deutsche Wirtschaft profitiert wie keine andere Volkswirtschaft in Europa vom Boom in China", sagte zuletzt DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben.

Was chinesische Unternehmen jetzt in Europa und vor allem in Deutschland tun, nämlich investieren, ist für deutsche Konzerne in China längst Alltag. Volkswagen und Audi etwa sind schon seit mehr als 20 Jahren in China aktiv, bauen dort große Produktionsanlagen auf. Auch der Sportartikler Adidas produziert in China und verkauft dort Waren im Wert von demnächst einer Milliarde Euro. Siemens lieferte seit mehr als hundert Jahren nach China, BASF ist einer der größten ausländischen Investoren.

Die Zahl der Übernahmen und der Engagements von Chinesen in Deutschland wächst also - wie auch im Rest Europas. In Bosnien ist China am Bau eines Kohlekraftwerks beteiligt, in Großbritannien wurden die Chinesen zum Gesellschafter der schottischen Raffinerie Ineos. In Griechenland haben die Chinesen sich am Ausbau des Hafens von Piräus beteiligt, in Island an einer Fischfabrik.

In Neapel wirken sie am Aufbau des Hafens mit, in Polen werden zwei Autobahnen mit chinesischem Geld gebaut, in der Schweiz hat Peking den Ölförderer Addax erworben. China will sich am Bau eines bulgarischen Kernkraftwerks beteiligten sowie an mehreren Meilern in der Türkei. Und es gibt Pläne zum gemeinsamen Betrieb einer Großraffinerie in Schottland. Das Engagement in Longbridge war da nur der Anfang.

© SZ vom 28.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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