Süddeutsche Zeitung

China:Drei Wochen für eine Überweisung

Die Volksrepublik kontrolliert die Zahlungen von Unternehmen ins Ausland. Was der Kapitalflucht dienen soll, ist für ausländische Firmen ein Problem, für die Banken aber eine Katastrophe.

Von Christoph Giesen und Meike Schreiber, Peking/Frankfurt

Plötzlich war es da, dieses Gerücht und breitete sich aus in Chinas sozialen Netzwerken: BMW habe Schwierigkeiten, Geld ins Ausland zu überweisen, hieß es. In München reagierte man prompt: BMW sei "in der Lage, grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr zu tätigen", teilte der Konzern mit. Und auch Chinas Devisenbehörde meldete sich mit einem Statement beim populären Kurznachrichtendienst Weibo zu Wort: Westliche Unternehmen könnten ohne Schwierigkeiten Geld ins Ausland transferieren. So lange "authentische und valide Dokumente" vorhanden seien, sei es kein Problem, Güter zu importieren oder Dividendenzahlungen einer Tochterfirma zu veranlassen.

Alles in Ordnung also? Keineswegs. Etliche Firmen in China haben Schwierigkeiten, Geld rechtzeitig ins Ausland zu überweisen. Zwar werden die Zahlungen genehmigt. Doch es dauert. "In manchen Fällen können 20 bis 25 Tage vergehen, bis eine Überweisung ausgeführt wird", berichtet ein Banker. Wie so viele besteht er auf Anonymität. Auch mehr als 30 Tage Zahlungsverzögerung habe er schon erlebt, und das, obwohl die neuen Regeln erst seit wenigen Wochen in Kraft sind.

Chinesische Finanzbeamte hatten im Januar Banker zu geheimen Sitzungen in Peking und Shanghai eingeladen. Es war das dritte Mal binnen weniger Monate, und wie auch bei den vorherigen Terminen gab es keine schriftlichen Anweisungen. Alles wurde mündlich abgehandelt, war aber doch verbindlich. "Window Guidance", nennen die Banker das. Wer sich nicht daran hält, dem droht der Lizenzentzug.

Seit Herbst geht die chinesische Führung gegen Kapitalflucht vor. Die neue Mittelklasse schafft ihr Geld ins Ausland. Um welch gewaltige Summen es geht, zeigt allmonatlich der Bestand an Devisenreserven. Noch im Juni 2014 hortete Chinas Zentralbank etwa vier Billionen Dollar. Um mehr als 900 Milliarden Dollar ist der Betrag seitdem geschmolzen, weil die Zentralbank mit Stützkäufen die eigene Währung zu stabilisieren versucht, die durch die Kapitalflucht unter Druck geraten war. Um das einzudämmen, hat sich Peking entschieden, zu radikalen Maßnahmen zu greifen; Kollateralschäden inklusive.

Die neuen Regeln sehen vor, dass Yuan-Überweisungen nur noch vorgenommen werden dürfen, wenn die identische Summe wieder nach China zurückfließt. Für 100 Yuan, die die Volksrepublik verlassen, müssen 100 Yuan rückgeführt werden. Alle Zahlungen einer Bank werden wöchentlich und nach Provinzen zusammengerechnet. Wer mehr Geld überweisen möchte, als er erhält, muss pausieren.

Besonders hart betroffen sind die ausländischen Banken selbst. Ihnen droht ein massiver Geschäftseinbruch in der Volksrepublik. Alle ausländischen Institute in China haben zusammengenommen einen Marktanteil von etwa 1,3 Prozent. Das klassische Geschäft mit Sparern und Immobilienkrediten ist für sie nahezu irrelevant. Die Auslandsüberweisungen sind mit Abstand der wichtigste Geschäftszweig.

Dass die Auswirkungen der neuen Regeln für sie dramatisch sein werden, wussten die versammelten Banker im Januar sofort. Ende November 2016, als die chinesischen Behörden die Bankmanager zum ersten Mal einbestellt hatten, bekamen sie eine Tabelle ausgeteilt. Aufgeführt waren etwa ein Dutzend Geldhäuser und ihre bisherigen Quoten. Spitzenreiter sollen die Deutsche Bank und ein amerikanisches Institut gewesen sein; beide mit jeweils knapp zweistelligen Missverhältnissen. Viel Geld ging raus, aber nur wenig kam herein. Um die geforderte staatliche Quote zu erreichen, müssen nun etliche Transaktionen verschoben werden. Die Deutsche Bank äußert sich dazu nicht.

Fast alle Kreditinstitute müssen Transaktionen verschieben, auch chinesische

"Es ist sehr clever, wie die Behörden das machen", sagt ein Banker. Könne sein Institut eine Zahlung nicht bearbeiten, müsse die Bank zum Teil langjährige Kunden vertrösten und ihnen erklären, weshalb sie warten müssen. "Geht der Kunde sich dann auf dem Amt beschweren, bekommt er oft zu hören: Es gibt überhaupt kein Problem. Ihr müsst euch eine andere Bank suchen." Doch fast alle Banken müssen derzeit Transaktionen verschieben, das gilt auch für chinesische Geldhäuser. Wer als Neukunde kommt, muss sich oft hinten anstellen.

Besonders misslich ist das für Unternehmen, die viel nach China liefern, von dort aber nur sehr wenig exportieren: Die Chemieindustrie etwa oder die Maschinenbauer, vor allem aber die Autoindustrie und ihre Zulieferer. Bei Volkswagen und Audi heißt es, man habe derzeit keine Probleme. Die Unternehmen sind seit Jahrzehnten im Land und arbeiten vor allem mit chinesischen Banken zusammen. Daimler teilt lediglich mit, man äußere "sich aus generellen Erwägungen nicht zu Details des Zahlungsverkehrs aus dem Ausland oder ins Ausland".

In den vergangenen Jahren haben die meisten ausländischen Firmen ihre Rechnungslegung in China komplett auf Yuan umgestellt. Der Verwaltungsaufwand ist dabei deutlich geringer. Die chinesische Führung hatte die Vorgaben gelockert, um den Yuan zu internationalisieren. Mit Erfolg. Ende September 2016 wurde der Yuan in den Währungskorb des Internationalen Währungsfonds aufgenommen. Der Yuan stehe auf einer Stufe mit Dollar, Euro, Yen und Pfund, jubelte die Propaganda damals. Ein halbes Jahr später, ist von dieser Euphorie nicht mehr viel übrig. "Die Internationalisierung des Yuan liegt auf Eis", sagt ein Banker.

Die einzige Möglichkeit, pünktlich zu überweisen, ist die Rückkehr zum alten System, dem sogenannten FX-Transfer. Das Geld wird dabei bereits in China in Euro oder Dollar getauscht. Das ist ein aufwendiger Prozess. Es gibt aber noch ein zweites Problem, warum viele Unternehmen eine Yuan-Abkehr scheuen. Viele von ihnen haben an der Börse den Wechselkurs abgesichert und sind dabei Termingeschäfte eingegangen. Die Folge: Sie müssen zu einem festgelegten Zeitpunkt Yuan liefern, um den vereinbarten Gegenwert in Euro oder Dollar zu erhalten. Zahlreiche dieser Transaktionen sind in den vergangenen Wochen geplatzt. Es musste kurzfristig und meist sehr teuer umgeplant werden.

Ein europäischer Diplomat in Peking warnt daher: "Diese Kapitalverkehrskontrollen werden wohl noch längere Zeit in Kraft bleiben, denn viele private chinesische Unternehmer versuchen weiterhin, ihr Geld ins Ausland zu schaffen." Die unsicheren Zeiten in China halten an.

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Quelle:
SZ vom 27.03.2017
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