China:Der Index des Li Keqiang

China: Pkw-Fertigung im FAW-VW-Werk in Chengdu: Die Nachfrage hat merklich nachgelassen.

Pkw-Fertigung im FAW-VW-Werk in Chengdu: Die Nachfrage hat merklich nachgelassen.

(Foto: Goh Chai Hin/AFP)

Die Wirtschaft des Landes kühlt stärker ab, als die offiziellen Zahlen verraten - sagt eine Studie des Kieler Weltwirtschaftsinstituts.

Von Christoph Giesen

Seit Wochen schon spricht Chinas Premierminister Li Keqiang von der "neuen Normalität". Die alten zweistelligen Wachstumsraten gehörten der Vergangenheit an, propagiert er. Sieben Prozent Wachstum, das ist das neue Ziel der Regierung. Doch selbst diese für China eher moderate Zahl könnte zu hoch gegriffen sein. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls eine Studie des Kieler Weltwirtschaftsinstituts, die an diesem Montag veröffentlicht wird und der Süddeutschen Zeitung bereits vorliegt.

"Die chinesische Wirtschaft - in den vergangenen Jahren der wichtigste Wachstumsmotor der Weltwirtschaft - hat deutlich an Dynamik verloren", schreiben die beiden Ökonomen Klaus-Jürgen Gern und Philipp Hauber. Die Führung in Peking unterschätze das Ausmaß der wirtschaftlichen Abkühlung. Dadurch sei die Wahrscheinlichkeit einer sogenannten harten Landung der Konjunktur gestiegen.

Eine der Kernfragen, die sich Ökonomen seit Jahren bei China stellen, ist: Wie akkurat sind die staatlichen Daten überhaupt? Im Juli etwa präsentierte die amtliche Statistikbehörde die aktuellsten Wachstumszahlen. 7,0 Prozent - das entspricht auf die Nachkommastelle genau den Vorgaben der Kommunistischen Partei. Sieht man sich allerdings den Stromverbrauch des vergangenen Jahres an, fällt auf, dass dieser im selben Zeitraum nur um gut ein Prozent stieg. Hat Chinas Industrie also damit begonnen, Energie zu sparen? Waren die vergangenen Monate kühler als sonst, sodass die Klimaanlagen in den großen Städten nicht so regelmäßig eingeschaltet werden mussten? Oder stimmen die Konjunkturzahlen schlicht weg nicht?

Premier Li jedenfalls erzählte bereits 2007 amerikanischen Diplomaten, dass er den offiziellen Zahlen nicht traue. Er schaue sich stattdessen lieber drei andere Indikatoren an: So werfe er ein Auge auf den Energieverbrauch, dazu die Kreditvergaben und die Eisenbahnfrachttonnen. Als Ende 2010 mit der Veröffentlichung der amerikanischen Botschaftsdepeschen Lis Misstrauen bekannt wurde, widmete der Economist Li einen eigenen Keqiang-Index. Auf diese Zahlen greifen nun auch zum Teil die Kieler Ökonomen in ihrer Untersuchung zurück. Der Keqiang-Index zeige "eine ausgeprägte Abkühlung" an.

Genau das kann rasch zum Problem für die Partei werden, denn eine brummende Wirtschaft ist ihre Legitimation, die Macht in China auszuüben. Aus Furcht vor einem zu raschen Abkühlen der Wirtschaft, legte Lis Vorgänger Wen Jiabao gemeinsam mit dem damaligen Parteichef Hu Jintao ein massives Konjunkturprogramm auf, um die Folgen der Finanzkrise im Westen abzuschwächen. Kurzfristig wirkte das. Aber heute? "Dies führte zu einer enormen Zunahme der Verschuldung, zu Überkapazitäten in der Industrie und einer Überhitzung am Immobilienmarkt, die eine Konsolidierung erforderlich machen", schreiben Gern und Hauber.

Immerhin: Die jüngsten Kapriolen an den chinesischen Börsen hätten derzeit keine allzu großen Auswirkungen auf die Konjunktur. "Gleichwohl haben die jüngsten Entwicklungen an den Aktienmärkten die Grenzen der Regierung offenbart, stabilisierend auf die Finanzmärkte einzuwirken." Das Vertrauen in die Partei ist empfindlich beschädigt.

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