Corona:China öffnet seine Grenzen

Corona: Eine Frau an einem Hongkonger Grenzübergang freut sich, dass China die Grenze inmitten der Covid-19-Pandemie wieder geöffnet hat.

Eine Frau an einem Hongkonger Grenzübergang freut sich, dass China die Grenze inmitten der Covid-19-Pandemie wieder geöffnet hat.

(Foto: TYRONE SIU/REUTERS)

Die Zwangsisolation für Einreisende endet. Dabei sollen sich im bevölkerungsreichsten Land der Erde derzeit täglich 2,5 Millionen Menschen neu mit dem Coronavirus anstecken.

Von Florian Müller

Der Andrang war groß: Mehr als 400 000 Menschen aus Hongkong hatten sich bereits online registriert, als China am Sonntag offiziell seine Grenzen öffnete. Erstmals seit fast drei Jahren müssen Einreisende nun nicht mehr in tagelange Zwangsquarantäne, wenn sie das Festland betreten. Für viele Hongkonger mit Angehörigen auf dem Festland bedeutet das eine große Erleichterung; einige haben sich seit Jahren nicht mehr in die Arme schließen können. Und auch die Wirtschaft in der Sonderverwaltungszone hofft, dass die Touristen aus dem Festland zurückkehren und wieder Uhren, Handtaschen und Kosmetik in Hongkongs riesigen Einkaufszentren kaufen.

Doch die große Reisewelle wird wahrscheinlich noch auf sich warten lassen. Denn zum einen haben die Behörden die Zahl der Ausreisenden aus Hongkong über die Landverbindungen auf 50 000 am Tag limitiert. Zum anderen kämpft das Festland gerade mit einer der heftigsten Corona-Wellen der Welt, von der sich die Menschen erst erholen müssen. So wollten einem Bericht der South China Morning Post zufolge am Sonntag nur rund 6600 Chinesen nach Hongkong einreisen. Bis sie sich also wieder in den Einkaufszentren drängen, wird es noch eine Weile dauern.

Viele Menschen aus dem Ausland müssen zudem erst auf ein Visum warten. Deren Vergabe wollen die chinesischen Behörden jetzt zwar wieder erleichtern; Vorrang haben jedoch Geschäfts-, Arbeits- oder Studienaufenthalte und Familienbesuche. Abgesehen davon gibt es derzeit noch kaum Flüge nach China: Die Flugverbindungen ins Ausland liegen bei rund zehn Prozent des Volumens vor der Pandemie, Ticketpreise haben sich vervielfacht.

Und selbst wer eine der begehrten Einreiseerlaubnisse bekommt, sollte sich gut überlegen, ob gerade ein guter Zeitpunkt für die Reise ist. Wegen der Überlastung des Gesundheitssystems rät das Auswärtige Amt in Berlin seit Samstag von "nicht notwendigen" Reisen in die Volksrepublik ab. Von Montag an müssen Rückkehrende aus China zudem vor Abflug einen negativen PCR-Test vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Umgekehrt verlangt China das Gleiche.

Lange Schlangen vor Krematorien geben Hinweise auf die hohe Übersterblichkeit

Die Abschaffung der Quarantänepflicht für Einreisende ist einer der letzten Schritte, die das Ende der Null-Covid-Politik in China zementieren. Zeitweise hatten Einreisende drei Wochen in staatlicher Zwangsisolation verbringen müssen. Das brachte den internationalen Reiseverkehr fast völlig zum Erliegen. Zuletzt waren es noch acht Tage, auch wenn die Quarantäne Berichten zufolge zuletzt nur noch lückenhaft durchgesetzt worden war.

Die chinesische Regierung hatte Anfang Dezember eine Kehrtwende hingelegt, die viele Beobachter nicht für möglich gehalten hätten. Hatte sie zuvor ganze Stadtviertel wegen einzelner Corona-Fälle abgesperrt, gilt mittlerweile das Prinzip: Jeder ist selbst für seine Gesundheit verantwortlich.

Daraufhin verbreitete sich das Virus rasant, dutzende Millionen Menschen erkrankten. Die Regierung stellte erst das Testen ein, dann das Melden von Fall- und Totenzahlen. Laut offiziellen Angaben sollen seit Beginn der Pandemie nur rund 17 500 Menschen in China an Covid-19 gestorben sein. Nach Schätzungen des in London ansässigen Datenverarbeiters Airfinity sterben derzeit allerdings jeden Tag so viele Menschen. Demnach soll es insgesamt schon über 200 000 Tote gegeben haben. Lange Schlangen vor Krematorien geben Hinweise auf die hohe Übersterblichkeit.

Jeden Tag sollen sich derzeit im bevölkerungsreichsten Land der Erde 2,5 Millionen Menschen neu anstecken. Mitte Januar könnte die Zahl der täglichen Neuinfektionen demnach auf 3,7 Millionen steigen. Bis Ende April könnte die Zahl der Corona-Toten auf 1,7 Millionen anwachsen, warnte Airfinity. Das weckt Ängste, dass sich in China neue Virus-Varianten entwickeln könnten, auch wenn dort bislang nach Angaben von Wissenschaftlern offenbar nur bereits bekannte Corona-Stränge zirkulieren.

China sei für einen "Wiedereröffnungsboom" bereit

Wegen der mangelnden Transparenz der chinesischen Behörden erlassen immer mehr Länder Beschränkungen wie die Testpflicht für Einreisende aus China. Zu den ersten gehörten die USA, Japan und Indien. Mittlerweile ziehen viele EU-Staaten, darunter auch Deutschland, nach und schreiben PCR-Tests vor. Maskentragen auf Flügen und das Testen des Abwassers von Flugzeugen wird empfohlen. Um das zu rechtfertigen, hat die Bundesregierung die neue Kategorie der "drohenden Virusvariantengebiete" eingeführt. Sollten "besorgniserregende" Varianten gefunden werden, könnte wieder eine Quarantänepflicht für Reisende aus China drohen. China will umgekehrt ebenfalls Einreisende auf neue Varianten testen und im Zweifel festsetzen.

Außerdem hat die Reisewelle zum chinesischen Neujahrsfest begonnen. Zum wichtigsten Familienfest reisen traditionell Hunderte Millionen Menschen in ihre Heimatdörfer und besuchen Verwandte. Am Sonntag waren nach Angaben des Flugdatenanbieters Variflight über 12 000 Inlandsverbindungen angesetzt, fast so viele wie vor der Pandemie 2019. Auf Bildern waren volle Bahnhöfe und Züge zu sehen, wobei die meisten Reisenden weiterhin Maske tragen, manche sogar weiße Ganzkörperschutzanzüge.

Das Analysehaus Gavekal Dragonomics verbreitet dennoch vorsichtigen Optimismus. Nach dem Höhepunkt einer Infektionswelle würden sich das Land und seine Wirtschaft in der Regel "binnen Wochen weitgehend" wieder erholen. China sei für einen "Wiedereröffnungsboom" nach den Neujahrsferien Ende Januar gerüstet. "Es besteht ein erheblicher Nachholbedarf, und die Haushalte verfügen über Bargeld in Rekordhöhe."

Es könnte also trotz allem ein verheißungsvolles Jahr werden für die Luxushändler in Hongkong, auch wenn sie sich noch ein paar Wochen gedulden müssen.

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