Covid-19-Welle in China:Einmal noch richtig leiden

Covid-19-Welle in China: Besucher vor einer Behelfsklinik in Hangzhou im Osten Chinas. Das Land leidet unter einer Corona-Welle.

Besucher vor einer Behelfsklinik in Hangzhou im Osten Chinas. Das Land leidet unter einer Corona-Welle.

(Foto: STR/AFP)

Viele Firmen in China haben wegen Corona-Infektionen mit hohen Krankenständen zu kämpfen. Die Unternehmer blicken dennoch zuversichtlich in die Zukunft. Kommt der Optimismus verfrüht?

Von Florian Müller

Die letzten zwei Monate waren hart für Herrn Gu, dem eine Reihe von Restaurants in Peking gehören. Erst hatten die Behörden Ende Oktober in weiten Bereichen der Stadt als Teil der Null-Covid-Strategie die Gastronomie geschlossen. Nur noch Takeaway war möglich, "aber das war nie das große Geschäft für uns". Dann kam Anfang Dezember die plötzliche Öffnung - und Gu musste seine Läden ganz dicht machen. "Jeder war krank, ich, meine Mitarbeiter, jeder", berichtet er am Telefon. Nach und nach wurden die Mitarbeiter zwar wieder gesund, doch der Rest der Stadt lag noch flach mit Covid. Keine Kunden, keine Lieferfahrer. "Das tat schon weh".

Nichtsdestotrotz klingt Gu, der seinen vollen Namen nicht nennt, um keine Probleme mit der Regierung zu bekommen, optimistisch. Denn die Kunden kämen seit dieser Woche langsam wieder in die Fressmeilen der Einkaufszentren, wo die meisten seiner Läden liegen. "Wir haben einige Geschäfte, die 50 Prozent des Umsatzes erreichen", den sie vor der Pandemie erwirtschaftet hatten. Es sei möglich, dass es in ein oder zwei Wochen 70 oder 80 Prozent sein werden. Bis zum Neujahrstag besteht seiner Ansicht nach die Chance, dass es überall in Peking wieder läuft.

"Es gibt Schmerzen, aber wir sind bereit, sie durchzustehen", sagt Gu. "Und danach wird alles vorbei sein und wir werden alle zu unserem normalen Leben zurückkehren", fasst er die Hoffnung vieler Unternehmer in China zusammen.

Corona rast wie ein Tsunami durch China

Wie ein Tsunami rast Corona gerade durch das Milliardenreich. Die Unternehmer hoffen, dass die Menschen sich schnell auskurieren und dann zurückkommen, arbeiten, Geld ausgeben. Einmal noch richtig leiden, dann soll aber bitte Schluss sein mit der Unsicherheit der vergangenen drei Jahre Null-Covid-Politik, die die Konsumlaune niederdrückte wie eine nasse Decke. Auch die jüngsten Signale der Regierung machen Hoffnung, dass künftig wieder mehr die Belange der Wirtschaft das Handeln der Kommunistischen Partei bestimmen werden. Doch manche Wirtschaftsvertreter mahnen zur Vorsicht.

Noch scheinen die Covid-Ausfälle verschmerzbar. "Deutsche Unternehmen wissen aus Erfahrung, wie sie mit Infektionswellen umzugehen haben", erklärt Martin Klose, Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China. Schließlich haben sie es im Rest der Welt bereits öfters erlebt. Aktuell gebe es "nur vereinzelt Fälle, wo die Produktion unterbrochen werden musste". Allerdings stellten der hohe Krankenstand von "bis zu 50 Prozent" sowie die mangelnde Verfügbarkeit von Coronatests die Unternehmen "zunehmend vor große Herausforderungen".

Seitdem sich der Staat aus der Virusbekämpfung zurückgezogen hat, ist den Unternehmen der Umgang damit selbst überlassen. "Wir haben aktuell einen Krankenstand von 19 Prozent", berichtet Tim Leitschuh. Am Vortag seien es noch zwölf gewesen. Leitschuh ist Hauptgeschäftsführer für China bei der bayerischen Firma Bock, einem Zulieferer für die Büromöbel- und Autoindustrie. Am Standort im südchinesischen Dongguan arbeiten zwischen 350 und 450 Angestellte. Nicht alle fehlenden Mitarbeiter seien selbst infiziert, ergänzt Leitschuh, einige hätten kranke Familienmitglieder zuhause und dürfen als enge Kontaktperson nicht zur Arbeit kommen.

"Wir testen jeden Tag 100 Prozent unserer Belegschaft"

In seiner Fabrik nehmen sie Corona nach wie vor sehr ernst. Sie haben die Maskenpflicht wieder eingeführt und achten auf Mindestabstände und regelmäßiges Desinfizieren. "Wir testen jeden Tag 100 Prozent unserer Belegschaft", berichtet Leitschuh. Früher hätten das die Behörden übernommen, mittlerweile müssen die Firmen selbst ran. Auch einen Vorrat an Fiebermedikamenten hätten sie besorgt. Eine "Sisyphusarbeit für den Einkauf" sei das, weil es kaum noch Lagerbestände gibt.

"In der Firma haben wir es wirklich ganz gut im Griff", glaubt er. Die Ansteckungen passierten außerhalb. Ziel könne jedoch nur sein, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, damit nicht alle auf einmal krank werden. Wenn Mitarbeiter wegen Corona fehlen, dann zahle die Firma ihnen weiter den vollen Lohn. Das macht längst nicht jedes Unternehmen. Zu Produktionsausfällen sei es trotz der Kranken noch nicht gekommen. Denn ursprünglich in Vorbereitung auf einen Lockdown hatte die Firma Werkstoffvorräte für eine zusätzliche Woche angelegt. "Davon profitieren wir jetzt." Vereinzelte Lieferverzögerungen könne er aber nicht ausschließen.

Krankenstand 50 Prozent

Einen völlig anderen Umgang mit Covid pflegt man im Werk des Elektromotorenherstellers Maxmore am gegenüberliegenden Ende der Stadt. Dort seien die Krankenzahlen "explodiert", sagt Geschäftsführer Moritz Berrenberg. Anfang der Woche lag der Krankenstand unter seinen knapp 200 Beschäftigten bei zehn Prozent, mittlerweile seien es 50 Prozent. "Ich seh es allerdings positiv", sagt er. "Lieber sind alle auf einmal krank und dann wieder schnell genesen."

Corona-Maßnahmen habe er in seiner Firma fast komplett abgeschafft. "Das macht jetzt eh keinen Sinn mehr." Seitdem nicht mehr staatlich getestet wird, wüssten viele Menschen gar nicht, ob sie das Virus haben. Wer Symptome hat, soll zu Hause bleiben. "Aber Leute, die sich gut fühlen, können gerne weiterarbeiten." Wegen der Ausfälle müsse er bei der Produktion jetzt schon priorisieren. Leiharbeiter gebe es nämlich auch keine mehr. Allerdings habe er noch vorproduzierte Lagerbestände, die werden jetzt ausgeliefert.

Gu, Leitschuh und Berrenberg sind für ihre Unternehmen optimistisch, dass sie die Krise ganz gut überstehen werden. Ob das für die gesamte Wirtschaft gelten wird, ist allerdings fraglich. Der Präsident der Europäischen Handelskammer, Jörg Wuttke, rechnet damit, dass das erste Quartal des kommenden Jahres "unterirdisch" wird. Mit einer Besserung rechnet er erst im Frühling. "Bis dahin ist es ein langer Weg für viele Firmen", sagt er. "Ob sie das finanziell überleben?"

Permanenter Stress

Denn viele hätten schon das ganze Jahr über unter Lockdowns gelitten. Diese hätten für "permanenten Stress" in der Gesellschaft gesorgt und die Konsumausgaben einbrechen lassen. Die Unsicherheit verschärfte auch die Liquiditätskrise im wichtigen Immobiliensektor. Die Verkäufe sind drastisch gesunken. Das Durchgreifen der Regierung gegen private Digitalfirmen vergangenes Jahr sei zudem "extrem demoralisierend" gewesen für den Privatsektor, der Wirtschaftszweig war über Jahre einer der Jobmotoren. Da eine Krankheit für die meisten Beschäftigten mit einem Lohnausfall einhergeht, werden sich die Verbraucher voraussichtlich auch in den kommenden Monaten mit größeren Anschaffungen zurückhalten.

Auf ihrer Zentralen Wirtschaftskonferenz vergangene Woche hatten Staatschef Xi Jinping und hochrangige Parteikader eine Stärkung des Binnenkonsums als wirtschaftspolitische Priorität für das kommende Jahr ausgegeben. Unter anderem soll der Absatz von Elektroautos und Immobilien angekurbelt und den Technologieplattformen das Arbeiten wieder leichter gemacht werden. Auch wolle China sich wieder stärker öffnen für ausländische Investoren.

"Taktische Zugeständnisse"

Analysten sind jedoch skeptisch: Xi werde keinesfalls zurückkehren zum "Pfad der Reform und Liberalisierung" seiner Vorgänger, schreibt das Londoner Analysehaus Enodo Economics. Es handle sich vielmehr um "taktische" Zugeständnisse, die dazu dienen, "das Vertrauen der Investoren aufrechtzuerhalten, während sich China auf einen schwierigen Winter vorbereitet".

Und Wuttke bezweifelt, dass die Regierung noch den finanziellen Spielraum für große Wirtschaftspakete hat. Denn während sie hunderte Milliarden Euro für Covid-Tests ausgab, brachen ihr die Steuereinnahmen weg. Seine Hoffnung ist dennoch, dass die Chinesen ihren Grundoptimismus, der in den vergangenen Jahren hart auf die Probe gestellt wurde, jetzt endlich wiederfinden. Nach dem Motto: "Ein Ende mit Schrecken ist immer noch besser als ein Schrecken ohne Ende."

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