Süddeutsche Zeitung

Null-Covid-Politik :Chinas Aufschwung ist in Gefahr

In China gehen die Corona-Infektionszahlen wieder nach oben. Die Behörden reagieren mit Massentests und Lockdowns. Die wirtschaftliche Erholung könnte abgewürgt werden, bevor sie überhaupt an Fahrt gewonnen hat.

Von Florian Müller

Eigentlich wollten sie nur Vulkanstrände und Meeresfrüchte genießen, doch dann kam Corona dazwischen: Tausende Sommerurlauber sind seit Samstag auf der Insel Weizhou und in der Stadt Beihai auf dem Festland im Süden Chinas gestrandet. Zuvor hatten die Behörden in der Stadt, die etwas mehr Einwohner hat als München, 450 Neuinfektionen festgestellt und daraufhin eine Ausreisesperre verhängt. Was mit den Touristen passiert, ist unklar. Klar ist jedoch: Wer dieser Tage in China verreist, muss schon eine Portion Abenteuerlust mitbringen.

Nicht nur bei chinesischen Touristen ist die Unsicherheit groß. Die Behörden haben im ganzen Land neue Infektionsherde gefunden, von der Stadt Tianjin nahe Peking im Norden, die einen der größten Häfen des Landes beherbergt, bis zur Glücksspielmetropole Macau im Süden. In Shanghai, wo viele Einwohner noch von monatelangen Ausgangssperren im Frühjahr traumatisiert sind, haben sie wieder Massentests angeordnet, nachdem am Sonntag 17 Infektionen festgestellt wurden. Im ganzen Land sind Dutzende Millionen Menschen von Corona-Maßnahmen verschiedener Härtegrade betroffen.

Das nährt die Furcht vor einem Abwürgen der gerade erst begonnenen wirtschaftlichen Erholung. Die Statistikbehörde hatte am Freitag ein Wachstum von gerade mal 0,4 Prozent im zweiten Quartal im Vorjahresvergleich verkündet - deutlich schlechter, als von internationalen Ökonomen erwartet. Im Vergleich zum ersten Quartal war die Wirtschaftsleistung gar um 2,6 Prozent gesunken.

Die Folgen der Null-Covid-Politik sind in der chinesischen Wirtschaft überall zu spüren

Hoffnung machte aber das starke Export-Geschäft im Juni, das um fast ein Fünftel zulegte. Auch Autokonzerne wie Volkswagen berichteten von starken Absatzsteigerungen auf dem chinesischen Markt im vergangenen Monat. Experten erklärten dies jedoch teilweise mit Nachholeffekten nach dem Ende des Lockdowns in Shanghai.

Die Folgen der Null-Covid-Politik sind in allen Sektoren der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft zu spüren. Die wichtige Immobilienbranche schrumpfte im zweiten Quartal noch mal deutlich. Nachrichten von sinkenden Immobilienpreisen, Projektentwicklern, die Anleihen nicht zurückzahlen, und Bürgern, die ihre Darlehen auf unfertige Wohnungen nicht mehr bedienen, lassen die Furcht vor einer Finanzkrise wachsen. Die Jugendarbeitslosenquote lag im Juni bei knapp 20 Prozent - ein Viertel mehr als vor einem Jahr.

Die Machthaber in Peking versuchen, das Wirtschaftswachstum durch Investitionen von mehr als einer Billion Euro in Infrastrukturprojekte anzukurbeln. Finanziert wird dies überwiegend durch Staatsschulden. Während Beobachter wie der Internationale Währungsfonds das Konjunkturprogramm prinzipiell begrüßen, raten sie der chinesischen Führung aber zu einer Abkehr von ihrer rigorosen Corona-Politik. Solche Appelle verhallen im abgeschotteten Pekinger Regierungsviertel Zhongnanhai jedoch seit zwei Jahren ungehört.

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