Autoindustrie:Land der Träume

Autoindustrie: Corona habe in China die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert, sagen Beobachter. Wer es sich leisten kann, fährt lieber Auto als U-Bahn, wie hier in Nanjing.

Corona habe in China die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert, sagen Beobachter. Wer es sich leisten kann, fährt lieber Auto als U-Bahn, wie hier in Nanjing.

(Foto: Yang Suping)

Nach dem Corona-Lockdown boomt der chinesische Automarkt, gefragt sind vor allem Premium-Modelle. Das hilft vor allem den deutschen Herstellern, die Volksrepublik rettet ihnen die Bilanzen - macht sie aber auch abhängiger.

Von Christoph Giesen und Max Hägler, Peking/München

Was war das für ein katastrophaler Start ins Jahr: Um 80 Prozent brachen die Absätze im Februar ein. China, der größte Automarkt der Welt, das schien passé zu sein. Die Autohäuser waren geschlossen, die Menschen verschanzten sich in ihren Wohnungen und Häusern. Allenfalls ein paar Tausend Wagen wurden abgesetzt, und das in einem Land, in dem sonst ein, zwei Millionen Neuzulassungen pro Monat die Regel sind.

Vor allem für die deutschen Hersteller war dieses neuartige Virus in China damit eine Gefahr: Volkswagen war vor der Krise mit mehr als vier Millionen verkauften Autos der größte Hersteller in der Volksrepublik, fast 40 Prozent seiner Wagen setzte der Konzern dort ab. Daimler verkaufte in keinem Land der Welt mehr S-Klasse-Limousinen. Und BMW hatte sich sogar entschieden, 2022 zum Mehrheitseigentümer seines Joint-Ventures in Nordostchina zu werden. In Summe machten deutsche Autohersteller und die Zulieferer in China pro Jahr mehr als 150 Milliarden Euro Umsatz. Jeden Tag 600 Millionen Euro - und 60 Millionen Euro Gewinn. Das stand auf dem Spiel. Und nun?

Während die Branche in Europa Abwrackprämien fordert und die Leitmessen in Genf und Paris abgesagt sind, ist die Lage in China beinahe wieder normal. "Wir liegen im Vergleich zum Vorjahr lediglich bei einem Minus von 13 Prozent. Wer hätte das erwartet?", fragt Jochen Siebert, Geschäftsführer der Beratungsfirma JSC Automotive in Shanghai.

An diesem Wochenende beginnt nun in Peking die internationale Autoshow - die erste große Autoausstellung seit Beginn der Pandemie. Als Vorsichtsmaßnahme wird Besuchern am Eingang die Körpertemperatur gemessen, auf dem Ausstellungsgelände herrscht Maskenpflicht. Und wegen der scharfen Quarantänebestimmungen, werden kaum Manager aus dem Ausland die Messe besuchen. Kein Herbert Diess von Volkswagen, auch Daimler-Chef Ola Källenius und sein Amtskollege Oliver Zipse von BMW werden fernbleiben. Wegen Corona reist nicht ein einziges Vorstandsmitglied aus Deutschland an, dabei rettet ausgerechnet der chinesische Markt den deutschen Herstellern die Bilanzen. Und die Automesse in Peking ist in diesem Jahr so etwas wie die Leistungsschau der Deutschen.

"Premium ist in China unmittelbar nach der Corona-Krise auf einem Höhenflug", sagt Jan Burgard, China-Spezialist der Beratungsfirma Berylls. Und zum Premiumsegment zählen vor allem Wagen der deutschen Hersteller. Bereits Ende Juli etwa lag Audi fünf Prozent über dem Vorjahr, BMW drei Prozent und Mercedes zwei. Geht die Aufholjagd so weiter, wird es für die Hersteller ein Rekordjahr. Das dritte Quartal war beängstigend gut: BMW legte im Vergleich zum Vorjahr um satte 45 Prozent zu, Mercedes um 19 Prozent. Bei Daimler kalkuliert man daher inzwischen mit 700 000 verkauften Autos - doppelt so viele wie in den Vereinigten Staaten.

Die sogenannten Massenhersteller können dagegen vom Aufschwung nicht einmal ansatzweise profitieren. Kia, Chevrolet, Honda oder Hyundai, sie alle schwächeln. "Corona hat in der Volksrepublik die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert", sagt Berater Siebert. "Viele wohlhabende Chinesen konnten in diesem Jahr nicht in den Urlaub fahren und haben sich vielleicht deshalb einen Neuwagen angeschafft." Die Furcht vor dem Virus habe zudem den Individualverkehr in den chinesischen Städten befeuert: Lieber im eigenen Auto fahren, statt eng an eng in der U-Bahn zu stehen. Nur leisten kann sich das nicht jeder, vor allem jene nicht, die in der Krise ihre Arbeit verloren haben - und das sind Millionen Chinesen, viele von ihnen potenzielle Kleinwagenkunden, etwa von Volkswagen. Es gebe "positive Anzeichen" für die zweite Hälfte des Jahres, sagt eine Unternehmenssprecherin. "Wir sind vorsichtig optimistisch, einige Verluste im ersten Halbjahr bis Jahresende auffangen zu können, wenn Covid-19 stabil bleibt."

Dann werde auch Markt wieder deutlich wachsen, ist sich Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des CAR-Center Automotive Research in Duisburg, sicher. "Im Jahr 2026 wird China doppelt so viele Pkw-Neuwagen verkaufen wie in der EU." Die Volksrepublik sei längst das Zentrum der Autoindustrie, sagt Dudenhöffer, und das gelte nicht nur für den Absatz, sondern auch für neue Technologien, die immer stärker in China entwickelt werden, ob 5G-Netze oder Batteriezellen.

Daraus ergibt sich eine zunehmende Abhängigkeit und auch ein Wagnis: "Die Frage ist aber, welches Risiko größer ist - die Abhängigkeit von China oder in China zum Nischenanbieter zu werden", sagt Dudenhöffer. In diesem Jahr könnte just diese Abhängigkeit der große Wettbewerbsvorteil für die deutschen Hersteller sein.

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