China:Auf der schiefen Bahn

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Die Wirtschaft der Volksrepublik war jahrelang die Lokomotive der Weltwirtschaft. Diese Zeiten dürften nun erst einmal vorbei sein. Welche Gefahren vom schwächelnden Wachstum des Riesenlandes ausgehen.

Von Christoph Giesen

Seit Jahren galt die einfache Formel: China wächst und wächst und wächst. Selbst als die Weltwirtschaft nach der Immobilienkrise in den Vereinigten Staaten und dem Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers in einer Rezession steckte, legte die Wirtschaft der Volksrepublik wie eh und je mit deutlich mehr als zehn Prozent pro Jahr zu. China schien unverwundbar zu sein.

Seit einigen Wochen jedoch vergeht kaum ein Tag ohne schlechte Nachrichten aus China. Die Kurse an den Börsen in Shanghai und Shenzhen fallen. Hilflos versucht die Führung in Peking, die Kursstürze abzumildern, Tausende Aktien ließ sie vom Handel aussetzen, Stützkäufe wurden angeordnet - vergeblich. Das Geld, vor allem aber das Vertrauen von Millionen Anlegern ist futsch. Im August dann die nächste Überraschung: Ohne Vorwarnung wertete Chinas Zentralbank den Kurs des Yuan ab - ein Land in Panik. Die Börsen weltweit reagierten sensibel.

Droht die langjährige Lokomotive zur Gefahr für die Weltwirtschaft zu werden? "Von den wesentlichen Risiken , die wir im kommenden Jahr sehen , dominiert China die Abwärtsrisiken", heißt es jedenfalls in einem aktuellen Report der französischen Großbank Société Générale. Könnte das auch die Entscheidung der Fed zur Senkung des US-Leitzinses beeinflussen? Welche Auswirkungen hätte ein Einbruch des chinesischen Wachstums auf die amerikanische Wirtschaft?

Die Investmentbank Goldman Sachs schätzt, dass anhaltende Probleme in China das Wachstum in den USA allenfalls um 0,2 Prozentpunkte reduzieren könnten, da die US-Wirtschaft nicht sonderlich exportabhängig ist, gerade einmal 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gehen auf Ausfuhren zurück. Weitaus härter könnte dagegen eine Verlangsamung des chinesischen Wachstums Deutschland treffen. Für viele Unternehmen ist China längst der wichtigste Exportmarkt geworden.

Die Milliarden für Züge und Autobahnen sind eine schwere Hypothek

Doch in China läuft gerade einiges falsch. Bis vor sieben, acht Jahren, also just zu jener Zeit, als die Fed in den USA ihren Leitzins dramatisch senkte, war das chinesische Wachstum relativ normal verteilt. Die Ausfuhren stiegen, die Binnennachfrage tat es auch, die staatlichen Investitionen waren zwar hoch, aber vertretbar. Seit der Finanzkrise im Westen ist das chinesische Wachstum jedoch aus dem Gleichgewicht geraten. Um die Einbrüche im Exportgeschäft zu kompensieren, flossen Milliarden in den Ausbau des Hochgeschwindigkeitszug-Netzes, neue Flughäfen wurden errichtet und Autobahnen geteert. Etliche Städte und Präfekturen sind deshalb beinahe zahlungsunfähig. Auch viele Staatsunternehmen haben hohe Schulden in den Büchern stehen. Um die Probleme zu lindern, entfachte Chinas Führung in den vergangenen Monaten einen Börsenboom. Die Kalkulation: Durch die Gewinne an den Märkten sollten der Konsum steigen und überschuldete Unternehmen an frisches Geld kommen - das ging kolossal schief.

Chinas Premier Li Keqiang drückt sich diplomatischer aus, er spricht von der "neuen Normalität". Die alten, zweistelligen Raten gehörten der Vergangenheit an, sagt er. Sieben Prozent Wachstum, das ist das neue Ziel. Im Westen mögen diese Zuwachsraten fantastisch klingen. Allerdings: Chinas Führung muss Jahr für Jahr allein für Bauern, aus denen Städter werden, rund zehn Millionen neue Jobs schaffen, denn im Gegensatz zu Europa oder den USA leben in China noch gut 50Prozent der Bevölkerung auf dem Land. Unter sieben, vielleicht noch sechs Prozent darf das Wachstum nicht sinken, sonst droht Massenarbeitslosigkeit. Und das wäre für die herrschende Kommunistische Partei ein massives Problem, schließlich basiert ihre Legitimation darauf, dass die Wirtschaft brummt und es allen besser geht. Die derzeit fast einzige Möglichkeit nach dem Börsencrash, das Wachstum aufrechtzuerhalten, wären neue Schulden. Allzu lange lässt sich das aber nicht mehr stemmen.

© SZ vom 12.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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