China:Auf dem Tiefpunkt

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Chinas Wirtschaft wächst nur noch um 6,9 Prozent. Die Regierung wird nun wohl das angestrebte Wachstumsziel von 7,0 Prozent für dieses Jahr verpassen.

Von Marcel Grzanna, Shanghai

Die chinesische Wirtschaft hat im dritten Quartal nur noch 6,9 Prozent Wachstum verzeichnet. Statistiker stellten schnell fest, dass es seit 2009 keinen schlechteren Wert mehr gegeben hat. Damals stand jedoch die Weltwirtschaft am Abgrund. Heute sind die Vorzeichen deutlich freundlicher. Insofern erinnerte die Bekanntmachung der Nationalen Statistikbehörde am Montag in Peking daran, dass der Schwung für die chinesische Konjunktur vor allem aus dem Land selber kommen muss.

Es hätte schlimmer kommen können, urteilen viele Experten. In Umfragen hatten Analysten und Ökonomen schwächere Werte vorhergesagt. China hat schließlich einen turbulenten Sommer hinter sich mit Börsencrash und Einbrüchen bei den elementar wichtigen Exporten. Die Furcht vor einem konjunkturellen Absturz war deswegen größer geworden. Doch die Wirtschaftsleistung erwies sich für den Augenblick als robuster, als es die Pessimisten vermutet hatten. Auch die Bundesbank gab Entwarnung. Mit einer sogenannten harten Landung sei vorerst nicht zu rechnen. Und auch Deutschland müsse sich nicht allzu sehr sorgen. Erst wenn das Wachstum in China auf rund drei Prozent sinken würde, wäre ein Einbruch der Wirtschaftsleistung um einen Viertelprozentpunkt zu befürchten.

"Es sind kurzfristige Erschütterungen, aber der langfristige Ausblick ist durchaus positiv, weil es viele Wachstumselemente in China gibt, die weiterhin Potenzial haben", sagt Professor Xie Baisan von der Fudan-Universität in Shanghai. Xie weist darauf hin, dass die Staatsausgaben wahrscheinlich zunehmen werden und neue Bauprojekte im Bereich Transport oder Immobilien angeschoben werden sollen. Die Basis dafür legt die Regierung. Die chinesische Zentralbank, die an die Weisungen der Politik gebunden ist, griff erst kürzlich mehrmals zu dem altem Trick der Zinssenkung. Die Banker machten in weniger als einem Jahr bereits fünfmal das Geld billiger, um es für jene attraktiver zu machen, die es sich borgen wollen. Denn das belebt die Konjunktur. Potenzial steckt besonders im Urbanisierungsprozess der Volksrepublik, der noch einige Jahre andauern wird.

Quelle des Negativtrends ist besonders der Immobiliensektor

Der Wert von 6,9 Prozent bedeutet also Entwarnung für den Augenblick, doch eben nicht mehr als nur eine Atempause. Denn die lose Geldpolitik, die von Peking als Heilmittel eingesetzt wird, gilt bei vielen Analysten als wachsende Gefahr für die Entwicklung des Landes.

Die Kommunen leiden unter dem Druck von arglos aufgenommenen Krediten in den vergangenen Jahren. Die Banken rechnen mit einer steigenden Zahl von Ausfällen. "Je größer die Investitionen sind, desto größer wird das Problem. Die Sorgen um Chinas Wirtschaft sind absolut berechtigt", warnt der Ökonom Yuan Guangming von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. Mit seinen Bedenken steht Yuan offenbar nicht allein. Im Sommer hatten anhaltend schlechte Konjunkturdaten dramatische Kursverluste an der chinesischen Börse ausgelöst, weil Investoren von der Stabilität der Wirtschaft nicht mehr überzeugt waren.

Quelle des Negativtrends ist der Immobiliensektor. In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurde weniger investiert als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Weil die gesamte chinesische Wirtschaftsleistung extrem von der Bautätigkeit staatlicher und privater Entwickler abhängt, schlägt die schlechte Stimmung dort auf Dutzende Industrien durch. Das wird sich in den kommenden Monaten trotz staatlicher Geldspritzen kaum ändern.

Noch sind Binnenkonsum, Servicesektor oder Technologiebranche nicht in der Lage, die Ausfälle anderer Bereiche zu kompensieren. Es geht zwar überall aufwärts, aber der Prozess zieht sich, und es ist nicht klar, ob er jemals erfolgreich beendet wird. Für das Jahr 2015 steht wohl jetzt schon fest, dass die Regierung ihr Wachstumsziel von 7,0 Prozent verpassen wird. Bereits im vergangenen Jahr scheiterte sie an der selbst gesteckten Hürde von damals 7,5 Prozent.

© SZ vom 20.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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