China:Angst vor dem M-Wort

File photo of a steel worker operating a furnace at a steel manufacturing plant in Hefei

Ein Stahlarbeiter in einem Werk in Hefei, in der chinesischen Provinz Anhui. Die Kapazitäten der Branche sind bei Weitem nicht ausgelastet.

(Foto: Jianan Yu/Reuters)

Die Meinungen, ob China eine Marktwirtschaft ist oder nicht, klaffen weit auseinander. Von der Einschätzung hängt viel ab. Die Vergeltung Chinas könnte heftig ausfallen.

Von Christoph Giesen,  Alexander Mühlauer, München/Straßburg

In Peking ist man davon überzeugt: China ist eine Marktwirtschaft. Und nun erwartet die Volksrepublik, dass die Europäische Union dies auch so sieht. Doch die EU fürchtet eine Überflutung ihrer Märkte mit Billigprodukten, falls China in diesem Jahr von der Welthandelsorganisation WTO als Marktwirtschaft anerkannt wird. Die Angst ist groß, besonders in der europäischen Industrie. Es geht um Arbeitsplätze und viel Geld.

Im Europäischen Parlament hat die Debatte in dieser Woche an Fahrt aufgenommen. "Die offensichtlichen Dumping-Praktiken Chinas im Bereich Stahl und Autoreifen zeigen, dass die EU entschlossen handeln muss", sagt Daniel Caspary (CDU), Sprecher der Europäischen Volkspartei im Handelsausschuss. Der sozialdemokratische Fraktionschef Gianni Pittella spricht von "Millionen Arbeitsplätzen", die durch chinesische Produkte bedroht sein könnten. Und die niederländische Verteidigungsministerin Jeanine Hennis-Plasschaert, die die EU-Ratspräsidentschaft vertritt, gibt zu: "Wir stehen unter großem Druck der Industrie, etwas zu entscheiden. Vielleicht ist die Zeit gekommen, zu überlegen, wie wir unsere Handels-Verteidigungsmechanismen verbessern können."

An diesem Donnerstag stimmt das Europäische Parlament über einen Entschließungsantrag ab. Im Entwurf heißt es ganz klar: "China ist keine Marktwirtschaft." Das Parlament fordert die EU-Kommission auf, die vonseiten der Industrie und Gewerkschaften geäußerten Bedenken zu berücksichtigen. Es gelte, die Verteidigung der Arbeitsplätze in der EU sicherzustellen. Die EU-Kommission hat angekündigt, ein "effektives Handels-Verteidigungssystem gegen unlautere Handelsmethoden" vorzubereiten. EU-Diplomaten zufolge zeichnet sich ein Kompromiss ab: China wird den Status einer Marktwirtschaft wohl erhalten, aber gleichzeitig soll dieser Schritt durch Verschärfungen im Anti-Dumping-Recht abgefedert werden.

Die Alternative wäre eine Blockade. Doch davor warnt der Rechtswissenschaftler Marc Bungenberg. In einer Studie für die europäischen Grünen listet der Direktor des Europa-Instituts in Saarbrücken mögliche Vergeltungsmaßnahmen der Führung in Peking auf. Diese könnte demnach den Zugang europäischer Unternehmen zum chinesischen Markt einschränken und die Verhandlungen über das geplante Investitionsabkommen mit der EU abbrechen. Der europäische Grünen-Chef Reinhard Bütikofer spricht sich deshalb dafür aus, dass die EU sich das Vorgehen der USA zu eigen machen soll: "Wann immer die Unternehmen und Wirtschaftssektoren beweisen, dass sie unter Marktbedingungen operieren, ist ihnen der Marktwirtschaftsstatus einzuräumen."

Die Konzerne des Landes leiden unter gewaltigen Überkapazitäten

China trat der WTO am 11. Dezember 2001 bei, damals war die Volksrepublik zweifellos keine Marktwirtschaft - es wurde also als "Nicht-Marktwirtschaft" eingestuft. Handelspartner können so relativ einfach Anti-Dumping-Strafzölle verhängen, falls China zu billige Produkte in die EU ausführt. Die Europäer können einen "normalen Preis" bestimmen und daran die Höhe von Strafzöllen binden. Wenn nun aber China den Marktwirtschaftsstatus erhalten sollte, könnten Strafzölle wesentlich schwieriger als bisher verhängt werden, und das ist Pekings Ziel.

Für Chinas Führung ist der Marktwirtschaftsstatus vor allem auch deshalb wichtig, weil sie beim Umbau der eigenen Wirtschaft Zeit gewinnen möchte. Eines der derzeit größten Probleme der chinesischen Industrie sind die gigantischen Überkapazitäten, die die Staatskonzerne in den vergangenen Jahren angehäuft haben. Wie groß diese sind, zeigt eine Studie der Europäischen Handelskammer in Peking: In Chinas Werken wird derzeit so viel Stahl wie in Japan, Indien, den USA und Russland zusammen hergestellt. Und das bei einer Auslastung von nur 71 Prozent. Auch die Zementindustrie hat enorme Schwierigkeiten und erreicht nur 73 Prozent Auslastung. Dabei wurde in den Jahren 2011 und 2012 in der Volksrepublik genauso viel Zement hergestellt wie im gesamten 20. Jahrhundert in den USA. Was an Überschuss produziert wurde, ging jahrelang in den Export. Die Folge: Dumping-Zölle. Fallen diese weg, kann China noch mehr exportieren, und die Auslastung der Werke steigt wieder. Millionen Arbeitsplätze bei Staatskonzernen müssten nicht Knall auf Fall abgebaut werden.

Wie ernst es Peking mit dem Status ist, zeigt das massive Lobbying, das derzeit betrieben wird. Kein Staatsgast, kein Diplomat, der nicht von Pekings Höflingen darum gebeten worden ist, sich für die Neueinstufung einzusetzen. Auch in Europa sind Chinas Emissäre unterwegs. Am erfolgreichsten war das Werben in London. Nach dem Staatsbesuch von Chinas Präsident Xi Jinping im vergangenen Jahr legten sich die Briten gar schriftlich fest und sicherten ihre Unterstützung zu. Hinter verschlossenen Türen rudern die Diplomaten ihrer Majestät allerdings zurück. Die Volksrepublik sei keine Marktwirtschaft, sagen sie unumwunden in Gesprächen mit anderen Europäern und dringen darauf, dass sich andere EU-Mitgliedsstaaten in den Weg stellen. Denn auch in Großbritannien ist der Ärger, vor allem über Chinas Stahl-Dumping, groß.

Ebenfalls hart bearbeitet wird die europäische Industrie. Vor allem jene Branchen, die nicht unter chinesischen Billig-Exporten leiden, wie etwa die Automobilbranche. Die Drohung hinter vorgehaltener Hand: "Setzt euch für uns ein, sonst geht es euch schlecht." Es wird also noch ein zähes Ringen geben.

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