Süddeutsche Zeitung

Chemieindustrie:Scheitern erlaubt

Evonik steigt mit Hunderten Millionen Euro bei Start-ups ein. Der Ruhrkonzern sucht so auch Übernahmeziele.

Von Benedikt Müller, Essen

Wenn Bernhard Mohr vorführen will, wofür seine Abteilung Geld ausgibt, dann zeigt der Chemiker zum Beispiel einen Flipflop. Die Kunststoffsandale hat die Firma Wiivv Wearables aus den USA hergestellt - und zwar mit einem 3-D-Drucker. Wenn Kunden Fotos ihrer Füße hochladen, produziert das Start-up Einlegesohlen und Schlappen, die genau passen sollen. Dafür verwendet Wiiv einen Kunststoff, den Mohrs Konzern Evonik im Ruhrgebiet herstellt. Im Jahr 2015 ist er bei den Amerikanern eingestiegen, weil er 3-D-gedruckten Produkten starkes Wachstum zutraut.

Und die Suche nach Start-ups geht weiter: Evonik will weitere 150 Millionen Euro Wagniskapital investieren. Das hat der Konzern nun mitgeteilt. "Wir schauen uns Unternehmen an, die für uns strategisch relevant sind", sagt der fürs Wagniskapital zuständige Mohr. Das könnten Start-ups sein, die Evonik den Zugang zu Zukunftstechnologien sichern, oder die dem Konzern bei der Digitalisierung helfen. "Wir suchen weltweit nach interessanten Unternehmen."

Evonik hat 2012 bereits 100 Millionen Euro Wagniskapital zur Verfügung gestellt. Die haben Mohr und seine Fondsmanager mittlerweile verteilt. Bei 18 Start-ups sind sie mit einer Minderheitsbeteiligung eingestiegen. Nach einigen Jahren will der Konzern die Anteile gewinnbringend verkaufen. Bei vier Start-ups sei man schon ausgestiegen, heißt es, nur bei einer habe man keinen Gewinn gemacht. Grundsätzlich darf die eine oder andere Beteiligung auch mal scheitern.

"Wir wollen nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine strategische Rendite für den Evonik-Konzern erwirtschaften", sagt Mohr. So habe man - unabhängig von Beteiligungen - bereits 100 Kooperationen mit Start-ups vereinbart. Die Firmen nutzen nun Evonik-Produkte oder digitalisieren Konzerngeschäfte. Und mit Structured Polymers hatte Mohrs Abteilung ein Start-up aus Texas entdeckt, das Evonik mittlerweile komplett übernommen hat. Die Wagniskapitalabteilung soll also auch den Weg zur ein oder anderen Fusion bereiten. Weltweit betreiben gut 2000 Konzerne Venture-Capital-Fonds; hinzu kommen Finanzinvestoren, die Wagniskapital bereitstellen.

Evonik ist 2006 aus den Chemiegeschäften der Ruhrkohle AG (RAG) entstanden. An der Börse ist das M-Dax-Unternehmen, das weltweit gut 36 000 Menschen beschäftigt, mehr als elf Milliarden Euro wert. Damit wären die Essener grundsätzlich ein Kandidat für den wichtigsten deutschen Aktienindex Dax. Dies scheitert daran, dass nur ein Teil der Aktien frei handelbar ist: Noch hält die RAG-Stiftung 64 Prozent der Anteile. Mit den Dividendeneinnahmen trägt die Stiftung seit diesem Jahr die sogenannten Ewigkeitskosten des Steinkohlenbergbaus im Ruhrgebiet.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4328322
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.02.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.