Chemie-Pflegerente:Überraschender Rückzug

Pflegeheim

Wer Pflege braucht, ist froh über eine zusätzliche finanzielle Absicherung.

(Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Die betriebliche Pflege-Zusatzrente gilt als Vorbild für Arbeitgeber-Engagement bei der Absicherung von Mitarbeitern. Einer der Initiatoren war die Deutsche Familienversicherung. Jetzt steigt sie aus.

Von Herbert Fromme, Köln

Heftige Erschütterungen im Versicherungskonsortium, das für die Chemieindustrie die Pflege-Zusatzversicherung Careflex anbietet: Die Deutsche Familienversicherung (DFV) in Frankfurt, einer der Initiatoren des Systems, zieht sich überraschend zurück und ist auch nicht mehr für die technische Umsetzung verantwortlich. Das teilte die Gesellschaft am Mittwochabend mit.

Die tariflich geregelte Pflege-Zusatzversicherung gilt für 435 000 Mitarbeiter der Branche und gehört damit zu den größten jemals vereinbarten betrieblichen Zusatzversicherungen. Künftig besteht das Versicherer-Konsortium allein aus der R+V Krankenversicherung und der Barmenia Krankenversicherung. Die DFV wird als Rückversicherer für die Barmenia nur noch indirekt beteiligt bleiben.

Schuld ist die Finanzaufsicht. Und natürlich Corona

Hintergrund für den peinlichen Rückzug sind die niedrigen Zinsen an den Finanzmärkten. Die Finanzaufsicht Bafin bezweifelt, dass die DFV auf die anzulegenden Beitragsgelder die zwischen den Tarifparteien und den Versicherern vereinbarte Mindestverzinsung von zwei Prozent erwirtschaften kann. Nach Angaben aus Branchenkreisen wollte die Aufsicht der vergleichsweise kleinen Gesellschaft höchstens 1,25 Prozent als Zusage für die Verzinsung gestatten.

Careflex Chemie wurde von den Arbeitgebern der Chemieindustrie und der Gewerkschaft IG BCE Ende 2019 vereinbart und wird Mitte 2021 eingeführt. Das System wird allein von den Arbeitgebern finanziert, die pro Monat und Mitarbeiter 33,65 Euro an die Versicherer zahlen. Im Pflegefall erhalten die Versicherten zwischen 300 und 1000 Euro im Monat. Eine Gesundheitsprüfung gibt es nicht.

Die DFV hatte ursprünglich einen Anteil von 35 Prozent am Konsortium, die R+V 45 Prozent und die Barmenia 20 Prozent. Jetzt teilen sich die beiden verbleibenden Gesellschaften die Anteile.

Die Familienversicherung hatte kalkuliert, dass sie 70 Millionen Euro im Jahr an Beiträgen aus Careflex einnehmen würde. Davon hätte sie mehr als 50 Millionen Euro jährlich anlegen und damit eine Verzinsung von zwei Prozent erzielen müssen - ein Plan, den die Bafin für unrealistisch hielt.

Der kleine börsennotierte Versicherer kam 2019 auf 91 Millionen Euro Prämieneinnahmen, davon 85 Millionen Euro aus Kranken-Zusatzversicherungen. Careflex hätte für die vom Gründer Stefan Knoll geführte Gesellschaft einen Wachstumsschub von mehr als 50 Prozent bedeutet. Außerdem hatte Knoll die Hoffnung, das System auch den Tarifparteien in anderen Branchen zu verkaufen. Ein Trostpflaster: Aus der Rückversicherung kommen 40 Millionen Euro jährlich ins Haus.

Knoll erwähnt die Diskussionen mit der Bafin in seiner Mitteilung vom Mittwoch. Aber er macht auch die Pandemie verantwortlich. "Der Careflex-Tarif ist Ende 2019 in einer Phase von wirtschaftlicher Prosperität kalkuliert und aufgelegt worden", schreibt er. Jetzt habe es zwei Infektionswellen und zwei Lockdowns gegeben. Ein Ende sei nicht absehbar. "Fachleute prognostizieren eine dritte Infektionswelle, und eine ,Herdenimmunität' kann nicht vor 2022 erwartet werden." Vor diesem Hintergrund erscheine dem Vorstand die hohe Steigerung des Kapitalanlagevolumens als zu risikoreich. Knoll teilte auch mit, dass die DFV 2021 erneut einen Verlust zeigen wird, wie schon 2018, 2019 und 2020.

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