Süddeutsche Zeitung

Chef der Europäischen Zentralbank: Draghi will geheime EZB-Protokolle veröffentlichen

Wie viele Gedanken machen sich die EZB-Ratsmitglieder, bevor sie Risiken eingehen, die auch den Steuerzahler betreffen könnten? Hier wünschen sich viele Bürger mehr Transparenz, doch die EZB hält die Diskussionen bisher unter Verschluss. Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" ist EZB-Chef Draghi nun bereit, die Protokolle zu veröffentlichen.

Alexander Hagelüken und Markus Zydra

Selten stand eine Notenbank unter so scharfer Beobachtung. Seit die Europäische Zentralbank (EZB) unbegrenzt Anleihen angeschlagener Euro-Staaten kaufen will, befürchten Bürger Milliardenverluste und Inflation. EZB-Präsident Mario Draghi begegnet dem Argwohn mit dem Angebot, seine Politik besser zu erklären - zum Beispiel vor dem Bundestag.

Nun könnte die Notenbank einen Schritt weitergehen: Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung zeigt Draghi sich dafür offen, die bisher geheimen Protokolle der Sitzungen zu publizieren, in denen die Ratsmitglieder umstrittene Beschlüsse wie den Anleihenankauf fällten.

"Die EZB ist in hohem Maß der Transparenz verpflichtet und hat sie deshalb kontinuierlich im Fokus", erklärt eine Sprecherin. Eine Mehrheit im EZB-Rat kann eine Änderung der bisherigen Praxis beschließen. In den vergangenen Tagen haben sich bereits Bundesbankchef Jens Weidmann und sein finnischer Kollege Erkki Liikanen dafür stark gemacht.

"Wir hätten kein Problem mit einer zeitnahen Veröffentlichung", heißt es bei der Bundesbank. Vorbild wären die Bank von England und die US-Notenbank Fed, die ihre Protokolle drei Wochen nach der Sitzung veröffentlicht - und sich nicht daran stört, dass sehr kontroverse Ansichten über den Kurs in der Geldpolitik bekannt werden.

Die EZB hält die Diskussionen ihrer Ratsmitglieder dagegen bisher 30 Jahre unter Verschluss. Das folgt der Idee, dass die Notenbank beim von Anfang an umstrittenen Euro-Projekt mit einer Stimme sprechen soll - und ihre Ratsmitglieder nicht als Vertreter eines Landes verstanden werden sollen, sondern als unabhängige Experten, die nach der besten Geldpolitik suchen.

Es war Ex-Bundesbankchef Hans Tietmeyer, der beim Start der EZB 1998 vorschlug, von seinem Namensschild "Bundesbank" zu entfernen: "Ich sitze hier nicht für Deutschland, sondern als Fachmann für Geldpolitik."

Der Wunsch nach Transparenz wächst

Das Verheimlichen der Protokolle verfolgt vor allem das Ziel, den Druck aus der Heimat auf die nationalen Notenbankvertreter einzudämmen. Wenn beispielsweise bekannt würde, dass der spanische Notenbankpräsident gegen die Anleihekäufe im EZB-Rat votiert hätte, gäbe es in Spanien wohl eine große Entrüstung. Allein dieses Gedankenspiel zeigt, wie groß der nationale Druck derzeit trotzdem ist.

Mit einer Stimme allerdings spricht die Zentralbank häufig ohnehin nicht mehr - seit sie 2010 begann, für mehr als 200 Milliarden Euro Anleihen schwächelnder Euro-Länder aufzukaufen: Der Widerstand von Ex-Bundesbankchef Axel Weber, seinem Nachfolger Weidmann und Ex-Chefvolkswirt Jürgen Stark gegen diese Maßnahmen ist längst bekannt.

Gleichzeitig geben viele nationale Notenbankchefs in Interviews und öffentlichen Reden immer wieder differenzierte Einblicke in ihre Argumentation. Seit Draghi nun ankündigte, in noch viel größeren Umfang Anleihen zu kaufen, wächst in der Öffentlichkeit der Wunsch nach Transparenz: Wie viele Gedanken machen sich die Ratsmitglieder, bevor sie Risiken von womöglich mehreren Hundert Milliarden Euro eingehen, die am Ende die Steuerzahler treffen könnten?

Wären die Protokolle öffentlich, könnten Europas Bürger sehen, dass neben Bundesbankchef Weidmann auch andere Ratsmitglieder die Gefahren der Euro-Rettungspolitik sehen. Aber sie würden auch bemerken, dass sich andere Mitglieder, im Gegensatz zu Weidmann, immer wieder von den Argumenten der Befürworter einer aktiven Politik überzeugen lassen.

Bislang hat die EZB darauf verwiesen, dass Präsident Draghi einmal im Monat direkt nach der offiziellen Ratssitzung im Euro-Tower vor die Presse tritt, um die Position der Notenbank zu erläutern. In aller Regel spricht Draghi dann aber nicht über Gegenargumente, die von Kollegen im Rat im Zuge der Entscheidungsfindung vorgebracht wurden. Die Bundesbank scherte in den letzten Wochen häufiger aus, um ihre ablehnende Position zu veröffentlichen.

Zuletzt hatte mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erstmals ein Mitglied der Bundesregierung Bundesbankchef Weidmann gerüffelt, weil dieser die Debatte nach außen trage. Der Ex-Berater von Kanzlerin Angela Merkel wehrt sich jetzt gegen diesen Vorwurf: Es sei wichtig, "dass sich Notenbanker, die stabiles Geld verwalten, auch öffentlich rechtfertigen".

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SZ vom 19.09.2012/fran
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