Chaos an den Börsen:Angst, die zur Panik wird

Die USA verlieren ihr Top-Rating, die Banken leihen sich kein Geld mehr, die Kurse spielen verrückt: Es waren zwei schwarzen Wochen für die Finanzwelt, und trotz der leichten Erholung haben die Börsianer immer noch Herzflimmern. Niemand weiß, wie es jetzt weitergeht - müssen sich Anleger an die heftigen Kursschocks gewöhnen?

Catherine Hoffmann

Der Weltuntergang kam am 29. Juli aus dem Nichts. Europas Regierungschefs, so schien es, hatten die Schuldenkrise endlich in den Griff bekommen. Auf ihrem Sondergipfel fanden sie am 21. Juli einen Kompromiss zur Rettung Griechenlands. Politik und Wirtschaft zeigten sich erleichtert, die Börsen atmeten auf.

Chaos an den Börsen: Panik an der Wall Street: Die Händler sind verunsichert.

Panik an der Wall Street: Die Händler sind verunsichert.

(Foto: AP)

Kurz später wendeten auch die USA in einem Billionenpoker den Staatsbankrott ab. Dax-Unternehmen wie der Münchner Autobauer BMW glänzten mit Absatzrekorden. Auch die Deutsche Bank ließ sich auf dem Weg zum angestrebten Rekordergebnis nicht von der Schuldenkrise stoppen.

Trotz allem sind die Börsen in Alarmstimmung. Was hat sich verändert in so kurzer Zeit? "Nicht viel", sagt Henning Gebhardt, der für die Fondsgesellschaft DWS Aktienfonds managt. Anleger sind erschüttert, dass die Ratingagentur Standard & Poor's Amerikas Bonität herabstuft - von "risikolos" auf "so gut wie ohne Risiko". Damit war zu rechnen.

EU-Kommissionspräsident José Barroso wirbt für eine erneute Erhöhung des 440 Milliarden Euro schweren Rettungsfonds für angeschlagene Staaten, eigentlich ein vernünftiger Vorschlag. Auch die Konjunktur läuft nicht mehr so blendend. Viele Frühindikatoren, die der Welt die konjunkturelle Zukunft weisen, sind eingeknickt - vor Monaten allerdings schon.

Die Börsianer spielen verrückt. Sie sehen rot. Überall: Herzflimmern. Plötzlich gibt es nur noch eine Richtung an den Aktienmärkten in Europa und den USA: abwärts! Viele Ökonomen beschreiben entsetzt, wie sehr die Panik der vergangenen zwei Wochen der Angststarre nach der Lehman-Pleite am 15. September 2008 gleicht.

Wie damals leihen sich viele Banken untereinander kein Geld mehr. Die Europäische Zentralbank sichert den Instituten für die nächsten Monate Liquidität zu, eine Notmaßnahme die sogleich für neue bange Fragen sorgt. Der Spiegel titelt: "Geht die Welt bankrott?" Und Bild will wissen: "Reißen uns die Börsen heute in den Abgrund?"

Die Welt, so fürchten mehr und mehr Anleger, stürzt in die nächste große Krise. Und die Börsianer marschieren mit, dem Abgrund entgegen. Elf Handelstage in Folge schließt der Deutsche Aktienindex im Minus, am Ende seht ein Verlust von 23,6 Prozent. Der 10. August war der vorerst letzte schwarze Börsentag in dieser Pechsträhne. Wenigstens findet die nervöse Woche auf dem Frankfurter Parkett einen versöhnlichen Ausklang.

Der Schock sitzt tief

Doch der Schock sitzt tief. Die Einschläge an der Börse kommen immer öfter in den vergangenen Jahren. "Grundsätzlich werden am Aktienmarkt Phasen hoher Volatilität von Phasen mit niedrigeren Schwankungen abgelöst", sagt Andreas Rees, Chefvolkswirt der Unicredit. "Allerdings haben die systemischen Schocks zugenommen und damit die kurzfristigen extremen Ausschläge."

Mit systemisch meint Rees den Zusammenbruch des Hedgefonds LTCM, der die globale Finanzwelt an den Abgrund führte, die Terroranschläge von 11. September, die weltweit eine Börsenpanik auslösten oder eben die Lehman-Pleite, mit deren Spätfolgen sich Europa und die USA noch immer herumschlagen.

Warum die Märkte schnelllebiger geworden sind

In den 30 Jahren zwischen 1970 und 2000 wurde die Ruhe an den Börsen dagegen nur drei Mal gestört - durch den "Schwarzen Montag" an der Wall Street 1987, den Einmarsch von Saddam Husseins Truppen im benachbarten Kuwait und die LTCM-Pleite im Zuge der Russlandkrise. Es blieben mehr oder weniger singuläre Ereignisse. Seit 2000 aber jagt ein Crash den nächsten - und für Anleger, die dem Dax treu blieben, ist außer Spesen und schlaflosen Nächten nichts gewesen.

Die Märkte sind schnelllebiger geworden", sagt Gebhardt. "Auf Informationen wird immer kurzfristiger reagiert." Noch schlimmer ist es, wenn es keine vernünftigen Informationen gibt, sondern Gerüchte und Spekulationen. Natürlich war es schon immer so, dass sich Anleger schwer tun, wenn die Unsicherheit so groß ist wie heute. Diese Unsicherheit schlägt sich in wilden Ausschlägen auf der Börsentafel und einem großen Gleichlauf verschiedener Anlageklassen nieder; sie führt zu kurzatmigen Urteilen - und oft auch Verlusten, wenn die Emotionen über den Verstand siegen.

"Der 24-Stunden-Strom von Nachrichten trägt nicht gerade zu rationalem Nachdenken bei", klagen konservative Investoren wie der Amerikaner William Browne. Neu ist auch, dass Supercomputer, die dank ausgeklügelter Algorithmen binnen eines Wimpernschlags Millionen von Kauf- und Verkaufsorders analysieren, den Handel dominieren. In den USA macht die Maschine mehr als 60 Prozent des Geschäfts. Die Haltedauer von Aktien bemisst sich nach Minuten, wenn nicht Sekunden.

Was also tun? "Der wirtschaftliche Ausblick rechtfertigt nicht den Kollaps, den wir gesehen haben", sagt Gebhardt. Rational sei das nur, wenn die Welt eine Rezession erwartet und die Unternehmensgewinne heftig einbrechen.

Das sieht der Fondsmanager nicht. Abschwung ja, Absturz nein. Der Dax steht heute bei knapp 6000 Punkten. Würde er bei 5000 Zählern stehen, wären Aktien so günstig bewertet wie zu Beginn der Lehman-Krise. Allerdings seien die Unternehmen heute in besserer Verfassung als damals: Die Dax-Konzerne haben ihre Schuldenquoten gemessen am Gewinn fast halbiert, sich teure Akquisitionen verkniffen. Und die Dividendenrendite liege mit vier Prozent deutlich über der von Bundesanleihen.

2008 war es umgekehrt. Noch aber hilft das kühle Rechnen nichts. Der Blickwinkel hat sich verändert - von optimistisch zu pessimistisch.

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