2022 war für die Deutschen ganz offensichtlich kein besonders prickelndes Jahr. "Nur" 267,8 Millionen Liter Champagner, Prosecco oder Sekt wurden getrunken, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag feststellte. Wenn also wirklich jemals die Gefahr bestand, dass die Vorräte der Kellereien zur Neige gehen, wie der Chef des Luxuskonzerns LVMH vor einem Jahr warnte, dann lag das nicht an den Deutschen. Der Darß ist eben nicht die Côte d'Azur und Dortmund ist nicht Dubai.
Gerade noch 38 Gläser "Schaumwein", wie das die Statistiker höchst nüchtern nennen, trank jede und jeder Deutsche über 16 Jahren demnach noch. Das macht etwa fünf Flaschen. Klingt nach viel - und ist auch etwas mehr als im Jahr zuvor. Aber 2021 war pandemiebedingt eben eher ein Jahr für Salbeitee und Hustensaft. Der Blick zehn Jahre zurück dagegen zeigt, wie sehr den Deutschen die Lust auf Prickelndes vergangen ist: Seit 2012 ging der Konsum um ein Fünftel zurück, damals leerten die Deutschen pro Kopf noch 49 Sektgläser.
Der Trend zum Verzicht zeigt sich allerdings auch bei anderen alkoholischen Getränken wie Wein oder Bier. Als Grund dafür sehen Marktbeobachter nicht nur die Sorge um die eigene Gesundheit, sondern vor allem die höheren Lebenshaltungskosten. Wenn das Geld knapp wird, spart der Deutsche eben vor allem am Genuss. Allerdings, so ergab jüngst eine Umfrage der GfK-Konsumforscher, wird in diesem Jahr mehr Geld für Weihnachtsgeschenke eingeplant. Möglich also, dass trotzt allem ein paar Fläschchen mehr drin ist, für die kommenden Festtage.
Dass die Behörden überhaupt so genau Bescheid wissen, wie oft die Korken knallen, liegt an einer deutschen Besonderheit: der Schaumweinsteuer. Zu Kaisers Zeiten eingeführt, um die kostspielige Kriegsflotte zu finanzieren, fließt sie bis heute in den irgendwie stets klammen Bundeshaushalt. Rund 352 Millionen Euro waren es im vergangenen Jahr. Das sind zwar nur 0,04 Prozent der gesamten Steuereinnahmen und etwa halb so viel wie die Biersteuer einbringt - aber jeder kleine Schluck zählt.
Wie es aktuell steht um die Champagnerlaune der Deutschen, ob die jüngste Welle an Weltkrisen und Atemwegsinfekten die Stimmung weiter gedrückt hat, das ist noch nicht amtlich ermittelt. Die Daten gibt es - wie immer - erst im nächsten Dezember. Bis dahin kann man sich auch an die belgisch-französische Schriftstellerin und Champagner-Liebhaberin Amélie Nothomb halten: Sie hält Champagner nicht nur für das wohlschmeckendste Getränk, sondern auch für das dekorativste. Ein Glas lenkt also nicht nur von den Sorgen ab, sondern durchaus auch von einer roten Nase. Außerdem, sagt Nothomb, dass feiner Schaumwein am besten immer noch in guter Gesellschaft schmeckt.
Madame Nothomb wäre deshalb vielleicht auch ein wenig beruhigt vom Blick auf den Langzeittrend bei den Trinkgewohnheiten ihrer teutonischen Nachbarn. Denn wer nicht nur die letzten zehn, sondern gleich die vergangenen 30 Jahren betrachtet, erkennt: Es gibt immer wieder Schwankungen im Konsum der Deutschen. So war 2012 zwar wirklich ein gutes Jahr für den Schaumwein, in den Jahren 2003 und 2004 beispielsweise war der Durst aber auch schon mal deutlich kleiner als 2012. Alles in allem bleibt aber die schale Erkenntnis: So wenig Champagner, Prosecco und Sekt wie in den vergangenen beiden Jahren, haben die Deutschen seit 30 Jahren nicht getrunken.
Vielleicht ist es also einfach vorbei mit der Lust der Deutschen auf Prickelndes - und Steuerbehörden wie Statistiker sollten sich neu orientieren. Dafür böte sich etwa jener Drink an, der 2022 in großstädtischen Bars zum Gradmesser wurde für den heimischen Hedonismus: der Espresso Martini. Der bringt kein Sodbrennen, belebt mindestens so sehr wie ein Sektchen und schmeckt auch noch nach dem Lieblingsgetränk der Deutschen: Kaffee! Obendrein wird der Cocktail auch noch im Martiniglas gereicht - und das liegt optisch ja irgendwo zwischen Sektkelch und Champagnerflöte.