Für Stephen Harper ist das Freihandelsabkommen mit Kanada ganz offensichtlich ein Grund stolz zu sein. Auf seinem Twitter-Account veröffentlichte der kanadische Premierminister eine Grafik, die zeigt, dass seine Regierung 38 Freihandelsabkommen abgeschlossen hat, während die linke Vorgängerregierung nur drei vorweisen kann. Was Harper dabei gekonnt unterschlägt ist, dass 27 der 38 Abkommen eigentlich ein einziges sind: nämlich das Ceta-Abkommen mit der EU.
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Während Harper die aufgeblähte Statistik als Erfolg präsentiert, sind viele kanadische Bürger misstrauisch. Gegen Freihandel an sich haben die meisten Kanadier zwar nichts einzuwenden, aber die Begleitaspekte sind es, die das Abkommen umstritten machen. Selbst konservative Zeitungen beklagen die Intransparenz der Verhandlungen. "Wo bleibt der Text, damit wir uns ein Urteil bilden können?", fragt ein Kommentator in der konservativen Zeitung National Post.
Versprochen worden ist den Kanadiern viel: 80 000 zusätzliche Jobs, ein jährliches Wirtschaftswachstum um acht Milliarden Euro. Aber die EU wird nach der offiziellen Auswirkungsstudie der Regierungen deutlich mehr profitieren: Ihre Wirtschaft soll um zwölf Milliarden Euro jährlich wachsen. Das Handelsdefizit gegenüber Europa wird sich also ausweiten. Haben uns die Europäer über den Tisch gezogen? Diese Frage stellen sich derzeit viele Kanadier. "Kanada ist eingeknickt", urteilte der kanadische Juraprofessor Michael Geist nach der ersten Lektüre des Textentwurfs, der vergangene Woche an die Öffentlichkeit kam, mit Blick auf die Patentrechtsdebatte.
Die Kanadier fürchten, dass Ceta die Kosten für ihr Gesundheitssystem in die Höhe treibt. Denn dem Text zufolge sollen künftig Generika erst später auf den Markt gebracht werden dürfen - so wie es in Europa üblich ist. Die Mehrkosten könnten sich auf 550 Millionen Euro jährlich summieren, schätzen die Kritiker.
Ende der Parmesan-Plagiate
Und dann ist da die Sache mit dem Käse: Die Kanadier fürchten, mit europäischen Milchprodukten überschwemmt zu werden. Monatelang war das Thema in den Medien. Die Milchindustrie ist in Kanada bestens organisiert. Wer wie viel Käse produzieren darf, wird in jeder kanadischen Provinz zentral festgelegt. Fremder Käse kommt bisher so gut wie nicht ins Land. Dass Ceta nun 16 000 Tonnen europäischen Käse zollfrei ins Land lassen will, empfindet die Milchindustrie als Attacke auf ihr gesamtes System. Obendrein ist dann auch noch Schluss mit den beliebten Plagiaten: Parmesan darf künftig nur noch aus Italien kommen, weil das Abkommen eine ganze Liste von Käsesorten mit Herkunftsnamen unter Schutz stellt.
Freihandelsabkommen Ceta geleakt:521 Seiten Stoff für Zoff
Das Ceta-Abkommen zwischen EU und Kanada ist jetzt öffentlich. Das Kapitel zu den Schiedsgerichten sollte die Kritiker besänftigen - und stößt gleich auf Widerstand. Was in dem umstrittenen Vertrag steht.
Lokal produzierte Lebensmittel haben in Kanada generell einen hohen Stellenwert. Es ist kein Zufall, dass die inzwischen weltweit bekannte "100-Meilen-Diät" in Kanadas Westen erfunden wurde. Die Aktivisten versuchen ausschließlich Ernährungsmittel zu konsumieren, die innerhalb eines 100 Meilen Radius produziert wurden. Unterstützt wurden derartige Bewegungen von lokalen Regierungen, die ihre Krankenhäuser und öffentlichen Einrichtungen bewusst mit lokalen Produkten versorgt haben. Nun haben sie Angst, dass Ceta dem einen Riegel vorschiebt, weil das Abkommen diese "buy local"-Strategien stark einschränkt. Auch dass die lokale Wirtschaft bei öffentlichen Ausschreibungen künftig nicht mehr bevorzugt werden darf, sorgt bei den kanadischen Kommunen für heftigen Widerstand.
Tief gespalten sind die Kanadier über die Investorenschutz-Klauseln. Während die Konservativen darin Vorteile für Kanadas Öl- und Gasindustrie sehen, weisen die Kritiker der Regierung auf die schlechte Erfahrung mit derartigen Klauseln unter dem Nafta-Abkommen hin, das den Handel mit USA und Mexiko regelt. Kanada muss sich mit 35 solcher Klagen herumschlagen, die teils sehr kostspielig sind. Bisher hätten diese Klagen Kanada mehr als 116 Millionen Euro gekostet, rechnete der Thinktank Canadian Centre for Policy Alternatives aus.