Unternehmen und Politik:Warum der Frust über die CDU in der Wirtschaft so groß ist

Bundeswirtschaftsminister Altmaier in den USA

Peter Altmaier (CDU), Bundeswirtschaftsminister, fährt auf seiner US-Reise mit einem autonomen Fahrzeug der US-Firma Zoox.

(Foto: dpa)

Einst galt die CDU als Partei für Unternehmer. Mittlerweile bekommt nicht nur der zuständige Minister Altmaier harsche Kritik aus der Wirtschaft. Dahinter steckt die Geschichte einer jahrelangen Entfremdung.

Essay von Stefan Braun, Berlin

Was war das denn? Das Ende einer Beziehung? Ein Totalverriss der CDU? Gar ein Schlag ins Gesicht von Angela Merkel? Was Reinhold Würth, der Multimilliardär, vor einem Monat getan hat, ist politisch betrachtet alles zusammen. Eine dramatische politische Ohrfeige für die Union. Und eine aufsehenerregende Abrechnung mit einer Kanzlerin, deren Wirtschaftspolitik der Schraubenfabrikant aus Baden-Württemberg für fatal hält. Fatal für Deutschland.

Als sich Würth Anfang Juni mit seinem donnernden Schrei in der Bild-Zeitung von der Kanzlerin abwandte, nannte er ihr "Versagen in der Umweltpolitik" eine "Katastrophe". Er zeigte sich bestürzt darüber, wie China Deutschland auf vielen Feldern überholt habe und das Bildungssystem die junge Generation auf diese Herausforderung nicht vorbereite. Würth kritisierte eine mangelnde Leidenschaft für Europa, obwohl nur ein geeintes Europa gegen die Übermacht anderer helfen könne. Und er ließ durchblicken, was er von Merkels möglicher Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer erwarte: wenig bis gar nichts.

Man kann das eine fristlose Kündigung nennen. Vielleicht sogar einen Abbruch der Beziehungen, den Würth mit der Ansage untermauerte, bei der Europawahl habe er den Grünen seine Stimme gegeben. Krachender geht es kaum mehr.

Nun ist Würth noch nicht die ganze Wirtschaft. Aber sein Zorn muss die CDU wachrütteln. Zumal sich mittlerweile alle möglichen Wirtschaftsvertreter kritisch über die Partei und ihren Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier einlassen.

Angefangen hatte das mit einer Kritik von Reinhold von Eben-Worlée, dem Präsidenten des Verbandes der Familienunternehmen. Er warf der Regierung vor, es gebe im Kabinett niemanden mehr, der die Interessen der Unternehmen vertrete. Von einer "Anti-Mittelstandspolitik" sprach er und verband das mit dem Vorwurf, die CDU habe ihre Wirtschaftskompetenz als Markenkern aufgegeben. Tage später folgte der Bundesverband der Deutschen Industrie. Ihr Präsident Dieter Kempf sagte, der Wirtschaftsminister müsse "entschieden mehr tun", um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Die nämlich sei durchs Nichtstun gefährdet.

Die Wirtschaft ist enttäuscht. Der Frust ist über viele Jahre hinweg gewachsen

Anfang Juli schließlich meldete sich der Verband der Metallarbeitgeber zu Wort. Ihr Präsident Rainer Dulger nannte Altmaier "den schwächsten Minister" und "eine Fehlbesetzung". Im Theater würde man in so einer Situation das Ensemble ändern, ansonsten werde "das Stück durchfallen".

Dass Verbände meckern, ist normal. Aber dass drei Verbände im Gleichklang derart harte Wertungen abgeben, zeigt einen Erosionsprozess, der die CDU in ihrer Existenz gefährden könnte. Zumal Altmaier selbst die besondere Bedeutung des Amtes für die CDU zu Beginn seiner Amtszeit hervorgehoben hatte. Was ist passiert, dass der Graben so groß werden konnte?

Drei Thesen

1. Die klassischen Verbände sind desillusioniert und zornig.

2. Handwerker, Hoteliers, kleine Dienstleister sind entsetzt, wie Ideologie Pragmatismus schlägt.

3. Die junge Start-up-Generation fängt mit Politik und Parteien fast gar nichts mehr an. Das ist kaum noch wettzumachen.

Immer brachte die SPD ihre Vorhaben durch

Da ist zuallererst eine über viele Jahre gewachsene Enttäuschung. Der Frust ist groß. Die Enttäuschung hat die allermeisten erfasst, die in der CDU oder als Wirtschaftsvertreter für die Interessen der kleinen, mittleren oder großen Unternehmen kämpfen. Ob es um Bürokratieabbau geht, um Steuersenkungen oder um Investitionen in Straßen, Glasfasernetz oder künstliche Intelligenz - bei ihnen herrscht das Gefühl vor, dass diese Fragen von den Merkel-Regierungen zwar behandelt werden und in jedem Koalitionsvertrag auftauchen, aber keineswegs als lebenswichtige Priorität behandelt werden.

Bei dieser Wahrnehmung spielen die Koalitionsverhandlungen 2013 und 2017 eine wichtige Rolle. In beiden Fällen ging es für Merkel darum, die SPD in eine Koalition zu holen. Das hatte seinen Preis. Den Sozialdemokraten gelang es beide Male, zentrale eigene Ziele durchzusetzen. 2013 war es der Mindestlohn, der höher lag als es selbst CDU-Sozialpolitiker je erwogen hätten. 2017 rückten die Renten ins Zentrum, obwohl jeder ahnte, dass Fragen wie die digitale Ausstattung an Schulen, die kreative Fortbildung der Arbeitskräfte und der Ausbau des schnellen Internets wichtiger sein würden, weil in Wahrheit sie über die Zukunft Deutschlands entscheiden.

Dass das so kommen konnte, hatte mit dem Machterhaltungstrieb der Kanzlerin zu tun; sie wollte und musste eine Koalition zustande bringen. Hinzu kam aber etwas, das viele verdrängt haben. Der Glaube, die Wirtschaft, ihre Akteure und ihre Experten würden die Welt im Großen und Ganzen gut organisieren, hat mit der Weltfinanzkrise und dem nachfolgenden Wirtschaftseinbruch zwischen 2008 und 2012 tiefe Kratzer bekommen.

Erst entfremdete sich die CDU von der Wirtschaft, dann die Wirtschaft von der CDU

Bis dahin hatte auch die Kanzlerin vielen sogenannten Experten aus der Wirtschaft vertraut und sich oft genug von ihnen überzeugen lassen. Dann aber musste sie erleben, wie alle Experten vor der großen Krise versagten. Der Glaube an die richtigen Konzepte der vorher hoch gelobten Ökonomen wurde bei Merkel abgelöst von einem tief greifenden Zweifel, und das ist nicht ohne Folgen geblieben.

Als zweiter Grund für die Entfremdung gilt der weit verbreitete Eindruck, dass die CDU auf die drängendsten Probleme keine Antworten mehr parat hat. Es mangelt an Zukunftsideen. Ob für den Klimaschutz oder eine sichere Energieversorgung, ob für eine gesündere Landwirtschaft oder eine CO₂-freie Mobilität - bei zentralen Herausforderungen, auf die das Land Antworten benötigt, wirkt die CDU nicht kreativ, nicht mutig und ohne Plan. Entsprechend erscheinen viele ihrer Versuche, darauf zu reagieren, wie das verzweifelte Bemühen, mit einer rasenden Umgebung irgendwie Schritt zu halten.

Die Grünen organisieren immer mehr Wirtschaftsgespräche

Wo ist der Zukunftsentwurf? Wo das Bemühen, Debatten von vorne zu führen? Wo ist der Anspruch, als Initiatorin zu agieren, nicht wie eine Partei, die von den Entwicklungen überspült wird? Spricht man mit Vertretern von Familienunternehmen und Mittelständlern, dann herrscht das Gefühl vor, die CDU treibe nichts selbst voran. Aus diesem Grund sei es fast zwangsläufig, dass sich bei Themen wie Klimaschutz und Energieversorgung viele Unternehmen an die Grünen wenden würden.

Ob das wirklich so stimmt und ob sich gar dauerhaft etwas verschieben könnte, weiß niemand. Der Zulauf für von den Grünen organisierte Wirtschaftsgespräche deutet es an. Auch wenn da noch lange nichts entschieden sein dürfte.

Samstagsessay

Illustration: Sara Scholz

Entscheidend ist etwas anderes. Nämlich die Antwort auf die Frage, ob die CDU noch mal den Glauben erzeugen kann, dass sie als Volkspartei und die Politik als Ganzes tatsächlich den Willen haben, Einfluss zu nehmen auf die ganz großen Themen. Wie verhält es sich mit der Macht Chinas bei der Digitalisierung? Wie mit dem Einfluss der US-Internetkonzerne? Gibt es zwischen der totalen Verstaatlichung aller Daten (China) und ihrer totalen Verfügbarkeit zum Nutzen privater Konzerne (USA) wirklich einen weiteren Weg? Und wenn ja, wie könnte der aussehen? Dass diese Fragen die Bundeskanzlerin umtreiben, steht außer Frage. Dass sie oder gar die CDU überzeugende Antworten hätten, lässt sich nicht behaupten.

Betriebe mussten mit ansehen, dass ihre Mitarbeiter wieder abgeschoben wurden

Hinzu tritt ein drittes Phänomen: die Preisgabe des klassischen christdemokratischen Regierungspragmatismus. Hierbei geht es um Hunderte, wenn nicht Tausende kleiner Handwerksbetriebe, Gaststätten und Familienunternehmen. Sie sind über Jahrzehnte eine wichtige Stütze der CDU gewesen, insbesondere im Süden Deutschlands. Ausgerechnet sie mussten in den vergangenen Jahren aber erleben, wie CDU-Innenpolitiker ihre Grundinteressen torpedierten und ihre auch humanen Leistungen ad absurdum führten, ohne dass die Unionsführung sie gebremst hätte.

Gemeint sind jene Bäcker und Friseure, Hoteliers und Brauereibesitzer, Textilunternehmer und Service-Dienstleister, die seit 2014 und 2015 Flüchtlinge in ihren Betrieben aufnahmen, ausbildeten und anstellten. Sie taten das aus Eigennutz, weil sie dringend Arbeitskräfte brauchten. Sie machten es aber auch, weil die Politik sie dazu aufgerufen hatte. So hieß es damals, Integration gelinge am besten, wenn die Menschen Arbeit hätten; also stürzten sich viele in dieses Abenteuer.

Von Zigtausenden reden aktuelle Zusammenschlüsse der betroffenen Betriebe. Und Betroffene sind sie, weil Landes- und Bundesregierungen es bis heute nicht geschafft haben, für jene fleißigen, integrationswilligen und tatsächlich ziemlich guten Mitarbeiter dieser Betriebe, eine sichere Bleibeperspektive zu schaffen. Die Folge: Viele dieser Betriebe mussten mit ansehen, wie ihre Mitarbeiter zu Hunderten festgenommen und abgeschoben wurden. Das machte wütend und ließ viele verzweifeln, weil sie zugleich ebenso mit ansehen mussten, wie die Politik daran scheiterte, straffällig gewordene Asylbewerber, die sich gar nicht integrieren wollten, aus dem Land zu bekommen. Mal, weil diese sich besser versteckten als anständige Arbeitskräfte; mal, weil sie über die besseren Anwälte verfügten. Dass die Union sich bis heute nicht durchringen kann, ihrer einstigen Stammklientel an dieser Stelle pragmatisch und eindeutig zu helfen, hat viele nachhaltig von der CDU entfremdet.

Jungen Unternehmern ist die CDU schon ziemlich egal

Und dann ist da noch die Generation der Start-up-Gründer. Sie zeichnet aus, dass sie von der Politik nicht mehr viel verlangen oder sich von ihr gar viel versprechen würden. Eine Bindung zur Politik gibt es kaum. Sie prägt eine radikale Nüchternheit, mit der sie ohne parteipolitische Bindungen nach Geschäftsideen fahnden. Und diese Ideen haben zur Zeit vor allem mit jenen großen Themen zu tun, bei denen die CDU für die Generation der Zwanzig- bis Vierzigjährigen altbacken, ideenlos und sprachunfähig daher kommt: Umwelt, Ökologie, Energiesparen.

Einer, der das besonders deutlich erlebt und beschreiben kann, ist Sebastian Borek, der Mitorganisator des Bielefelder Gründerzentrums Founders Foundation. Er spricht inzwischen von zwei Geschwindigkeiten, zwei Kulturen, zwei Welten, die kaum mehr zusammenfänden. Gespräche über Politik? "Nein, die gibt es so gut wie nie bei uns." Diejenigen, die sich bei ihm eine Zukunft aufbauen wollten, agierten längst losgelöst von dem, was eine CDU so rede und tue. Auf die Frage, ob sich das noch mal ändern könnte, antwortet Borek so knapp wie eindeutig: "Nur, wenn sie sehr viel mehr Mut zu Neuem entwickelt."

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