Süddeutsche Zeitung

CDU-Wahlprogramm:Union hat nichts für Geringverdiener übrig

CDU und CSU legen in ihrem Wahlprogramm einige aufschlussreiche Zahlen vor - lassen aber viele Fragen offen.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Zweieinhalb Monate vor der Bundestagswahl hat sich der Kanzlerinnenwahlverein "Sie kennen mich!" dazu herabgelassen, dem Bürger ein Wahlprogramm vorzulegen. Geeint von der Erkenntnis, dass die gemeinsame Kandidatin Angela Merkel auch nach zwölf Jahren Kanzlerschaft von gemeinsamen Zielen getragen werden muss, haben sich die Schwestern CDU und CSU auf ein gemeinsames Papier verständigen können.

Der große Wurf ist es ganz sicher nicht. Die Union hat politische Selbstverständlichkeiten wie die Forderung nach Vollbeschäftigung sowie Wünsche beider Schwestern, etwa zum Baukindergeld oder zur Abgeltungsteuer auf Kapitaleerträge, so zusammengetragen, dass irgendwie alle ohne größere Verrenkungen zustimmen können. Überraschend oft ist als Zieldatum das Jahr 2025 genannt, das jenseits der nächsten Legislaturperiode liegt - und damit nicht überprüfbar ist. Für ein Deutschland, in dem wir gut leben können, wirbt Merkels Konterfei auf den gerade von der CDU vorgestellten Wahlplakaten für die Bundestagswahl. Die 72 Seiten des Wahlprogrammes sind schlicht das Kleingedruckte dazu.

Gefährlich ist das Versprechen, keine Steuern zu erhöhen. Dann wird nur verwaltet statt gestaltet

Immerhin, im weiten Feld der Steuer- und Abgabenpolitik wetteifert die Union jetzt mit der SPD um das bessere Konzept. Die Schwarzen haben eigene Zahlen vorgelegt, die mit denen der Sozialdemokraten direkt verglichen werden können. Für die politische Konkurrenz von der SPD ist das gut und schlecht zugleich. Gut, weil der Bürger jetzt entscheiden kann, mit welcher Volkspartei er besser fährt. Und schlecht, weil SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz kein Argument mehr hat, Merkel irgendwelche Demokratie-Verweigerung vorzuwerfen.

Die Union will in der nächsten Legislaturperiode keine neuen Schulden machen, den Soli-Zuschlag abbauen sowie niedrige und mittlere Einkommen steuerlich entlasten. Insgesamt sollen sich diese Entlastungen auf 15 Milliarden Euro summieren. So weit decken sich die Ideen mit denen der SPD. Anders als die Sozialdemokraten will die Union Spitzenverdiener nicht höher belasten. Der Spitzensteuersatz soll zwar auch erst ab 60 000 Euro zu versteuerndem Einkommen greifen. Die Union will ihn bei 42 Prozent belassen; die SPD dagegen auf 45 Prozent erhöhen, um Reiche stärker an der Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben zu beteiligen.

Auf den ersten Blick ist die Sache für (gute) Normalverdiener ziemlich klar. Singles bis zu einem Jahreseinkommen von rund 102 000 Euro und kinderlose Paare bis 178 000 Euro werden von Union und von der SPD entlastet. Erst danach bittet die SPD Vermögende zur Kasse - die Union dagegen nicht. Komplizierter wird die Entscheidung, wenn Kinder zu berücksichtigen sind. Wer viele Kinder hat, sollte das Kleingedruckte studieren. Die SPD setzt auf gleiche Bildungschancen, die Union fördert mit Familienleistungen.

Vage bleibt die Union bei der Abschaffung der Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge

Eindeutig ist die Entscheidung für Geringverdiener. Die Union hat für sie nichts übrig, die SPD dagegen schon. Sie will Arbeitnehmer bis 1300 Euro monatlich bei den Sozialbeiträgen entlasten, ohne dass diese dadurch Rentenansprüche verlieren. Außerdem will die SPD die Beiträge zur Krankenversicherung wieder paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanzieren lassen. Damit haben alle Arbeitnehmer mehr Geld in der Tasche. Vermögende werden ihr Kreuz wohl bei der Union machen, wenn sie nicht einen größeren Anteil am Einkommen abgeben mögen. CDU/CSU wollen nicht nur den Spitzensteuersatz stabil lassen, sondern auch den Satz der Reichensteuer. Vage bleibt die Union bei der Abschaffung der Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge. Die SPD will künftig Einkommen aus Arbeit und Kapital gleich besteuern, die Union stellt dies unter Bedingungen.

Überhaupt lässt die Union wichtige Fragen unbeantwortet, wie die nach dem Abbau des Soli-Zuschlages. Um vier Milliarden Euro will sie ihn bis 2021 senken. Was danach mit der Steuer passiert, für die es wegen des Auslaufens des Solidarpaktes im Jahr 2019 keine mittelbare Grundlage mehr gibt, lässt sie offen. Unklar ist auch, ob es einfach möglich ist, den Kinderfreibetrag an den für Erwachsene anzupassen. Müssten dann Leistungen wie etwa Hartz IV angeglichen werden?

Gefährlich ist das Versprechen, keine Steuern zu erhöhen. In der auslaufenden Wahlperiode hat dieses Versprechen zu nichts als politischer Handlungsunfähigkeit geführt. Eine Regierung, die das Land zukunftsfähig machen will, beim Klimaschutz oder der Digitalisierung, muss sich die Möglichkeit bewahren, mit höheren Steuern politisch lenken zu können. Ist das ausgeschlossen, wird nur verwaltet, nicht gestaltet. Das sollte der Bürger beachten, wenn er seine Wahl trifft.

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SZ vom 04.07.2017/hgn
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