Süddeutsche Zeitung

Wahlprogramm der Union:Ein Weiter-so, das es nicht geben darf

Obwohl es so viel zu tun gäbe, legt die Union alte Versprechen neu auf und nimmt sich so selbst den Gestaltungsspielraum.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Das Wahlprogramm der Union wird einem überraschend schnellen Realitätscheck unterzogen. Just an dem Tag, an dem CDU-Parteichef Armin Laschet und CSU-Chef Markus Söder ihren Fahrplan für Investitionen, Entlastungen und einen ausgeglichenen Haushalt vorstellen, geht die Haushaltsplanung der großen Koalition für 2022 in die letzte Abstimmungsrunde. Am Mittwoch soll das Bundeskabinett, das von CDU-Kanzlerin Angela Merkel geführt wird, noch mal 100 Milliarden Euro zusätzliche Schulden beschließen. Und so stehen die Zukunftsversprechen von CDU und CSU und die gelebte Regierungsrealität unversehens in einem seltsamen Gegensatz.

Es passt nicht, Entlastungen und einen ausgeglichenen Haushalt anzukündigen, wenn zugleich offenbar 100 Milliarden Euro neue Schulden nötig sind, um überhaupt über die Runden zu kommen. Dass die Union so tut, als wäre demnächst - anders als Steuerschätzer und Konjunkturforscher vorhersagen - Geld genug da, ist kaum seriös. Die Finanzlage, die die nächste Regierung im Herbst 2021 vorfinden wird, wird eine komplett andere sein als 2017. Damals gelang eine Neuauflage der ungeliebten großen Koalition nur, weil 80 Milliarden Euro an Rücklagen, manche sagen Spielgeld, der Kitt waren, der Union und SPD zusammenhielt. In diesem Jahr fangen die Neuen mit einer gigantischen Neuverschuldung von 240 Milliarden Euro an, plus 130 Milliarden Euro aus 2020 und geplanten 100 Milliarden Euro im kommenden Jahr. Das macht nicht nur Koalitionsgespräche schwieriger, sondern auch das Regieren.

Erschwerend kommt hinzu, dass die neue Regierung mit einem gefährlichen Virus konfrontiert sein wird. Die Folgen der Pandemie waren für die jetzige Koalition nur mit einem gigantischen Ausgabenprogramm zu lindern. Niemand weiß, wie viele Wellen noch kommen werden - das schafft Unsicherheit. Neu ist auch, dass die nächste Regierung einen verfassungsmäßig verbrieften Auftrag vorfinden wird, den Klimawandel zu stoppen, um den kommenden Generationen eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen. Die Schwere dieser Aufgabe kann man aus dem Fakt ableiten, dass das Abschalten der DDR-Braunkohlekraftwerke und die Pandemie die wirksamsten Beiträge zur Emissionsminderung waren.

Umso erstaunlicher ist, dass sich das Wahlprogramm der Union 2021 kaum unterscheidet von dem von vor vier Jahren. Manche Formulierungen sind schwammiger, wie die zu Steuererhöhungen. 2017 stand da wie in Stein gemeißelt: "Wir wollen keine Steuererhöhungen". 2021 sind Steuererhöhungen "der falsche Weg". Im Kern laufen beide Formulierungen auf dasselbe hinaus. CDU und CSU wollen nicht an der Steuerschraube nach oben drehen. Sie wollen nicht diejenigen um einen Beitrag bitten, die in der Pandemie bestens verdient oder besonders starke Schultern haben. Nach unten drehen ist dagegen gewollt - bei Bestverdienern, die auch keinen Soli-Zuschlag mehr zahlen, bei Unternehmen, die entlastet werden, und bei Hochvermögenden, die von Erbschaft- und Vermögensteuer verschont werden sollen. Damit verfestigt die Union nicht nur die Differenz zwischen Arm und Reich - die sie auf der Regierungsseite dann regelmäßig in den Armuts-und Reichtumsberichten beklagt. Sie zeigt sich auch politisch kurzsichtig: Mit der Absage an Steuererhöhungen beraubt sie sich des wichtigsten Instruments, um Wandel gestalten zu können.

Es klingt verrückt, dass die Union einerseits Wolfgang Schäubles schwarze Null wie ein Symbol vor sich hertragen will, andererseits scheinbar ignoriert, dass Schäuble, als er noch Bundesfinanzminister war, klugerweise davor gewarnt hat, sich mit dem kategorischen Ausschluss von Steuererhöhungen selbst die Hände auf dem Rücken festzubinden. Statt einen komplizierten Strukturwandel zu lenken, kann Politik nur zuschauen.

Auf den zweiten Blick erscheint es dagegen fast folgerichtig, dass die Union den ausgeglichenen Haushalt predigt, sich zur Schuldenbremse bekennt und Steuererhöhungen ausschließt. Nur so kann sie sich von der engsten politischen Konkurrenz von Grünen und SPD abgrenzen - und deren Programme, in der sich die Vermögensteuer und andere Steuererhöhungen für starke Schultern finden, in guter Tradition attackieren. Die Union hat sich zuletzt weniger auf eigene Inhalte, sondern mehr darauf konzentriert, die größten politischen Gegner zu schwächen. So hat sie einige Wahlen hintereinander gewonnen - und dabei von den Reformen der Vorgängerregierung von Gerhard Schröder (SPD) profitiert. Die Kehrseite ist das jetzt in der Pandemie sichtbar gewordene, reformbedürftige Land. Das kategorische Nein zu Steuererhöhungen klingt wie ein Weiter-so, das es nicht geben darf.

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