Wahlprogramm der Union:CDU und CSU wollen die Bonpflicht abschaffen – eine gute Idee?

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50 Mal könne die Erde mit umweltschädlichem Thermopapier umwickelt werden, behaupteten die Gegner der Bonpflicht vor deren Einführung 2020. (Foto: Ute Grabowsky/IMAGO/photothek.de)

Zwischen zehn und 70 Milliarden Euro entgehen dem Staat jährlich durch Betrug an der Ladenkasse beim Bäcker oder Friseur. Trotzdem will die Union die Bonpflicht wieder abschaffen. Ist das Bürokratieabbau oder eine Einladung zur Steuerhinterziehung?

Von Michael Kläsgen, München

Es sind nur drei Wörter, aber die haben es in sich. Prominent platziert stehen sie unter Punkt 2 des Sofortprogramms „für Wohlstand und Sicherheit“ der CDU: „keine Bonpflicht mehr“, heißt es da klipp und klar. Es ist eine Maßnahme von vielen der Partei, die stichwortartig unter der Überschrift „Vorrang für Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand“ aufgelistet werden. Die bayerische Schwesterpartei CSU hatte im Sommer vergangenen Jahres schon eine Initiative zur Abschaffung der Bonpflicht gestartet.

Stellt sich die Frage: Was haben die Unionsparteien, die Umfragen zufolge die führende Kraft in der nächsten Bundesregierung sein werden, gegen die Bonpflicht? Sinn und Zweck dieser Pflicht ist es, Steuerhinterziehung zu vermeiden. Etwa indem der Bäcker, Friseur oder Apotheker die Einnahmen an seiner Ladenkasse registriert und versteuert – so wie das alles abhängig Beschäftigten auch tun. Es geht dabei um Steuerehrlichkeit und -gerechtigkeit, zwei Grundprinzipien eines funktionieren Rechtsstaats. Widerspricht die Bonpflicht nach Auffassung der Union dem Wunsch nach mehr Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand?

Bei der Deutschen Steuer-Gewerkschaft herrscht jedenfalls Irritation. Deren Bundesvorsitzender, Florian Köbler, hält den Vorstoß für das falsche Signal an die vielen Millionen Gewerbetreibenden, die mit einer Ladenkasse arbeiten, egal, ob im Fahrrad- oder Blumenladen, Restaurant oder Café. Sie könnten das Abschaffen der Bonpflicht als Zeichen missverstehen, dass Einnahmen vorbei an der Steuer kassiert werden dürfen – mit Genehmigung der neuen Bundesregierung. Nimmt man noch die geplante Rückkehr zur Sieben-Prozent-Mehrwertsteuer in der Gastronomie dazu, darf das als deutlicher Wink der Union an Gastwirte verstanden werden. Voraussetzung allerdings wäre, dass der oder die Koalitionspartner, die voraussichtlich zur Regierungsbildung notwendig sind, mitziehen.

Köbler sieht die Abschaffung kritisch: „Die Höhe des Kassenbetrugs ist auch jetzt noch eklatant“, sagt er. Den Schaden schätzt er mitsamt seinen Folgewirkungen auf bis zu 70 Milliarden Euro pro Jahr. Diese sehr hohe Summe setze sich wie folgt zusammen: zehn bis 15 Milliarden Euro direkte Steuerhinterziehung durch Umsatzsteuer- und Ertragsteuerbetrug – das ist die sozusagen offizielle Zahl, gestützt vom Bundesrechnungshof. Dazu kommt laut Köbler ein zusätzlicher volkswirtschaftlicher Schaden, weil Personal schwarz bezahlt werde, Lohnsteuer, Rentenversicherung und Sozialabgaben nicht abgeführt, möglicherweise Schutzgelder und auch Lieferanten in Cash bezahlt würden. Das zeige doch, sagt der oberste Steuerfahnder: „Es braucht mehr anstatt weniger Kontrollmaßnahmen. Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein!“ Soll heißen: Der ehrliche Steuerzahler hätte klare Wettbewerbsnachteile gegenüber dem Hinterzieher.

Merkel setzte sich für die Bonpflicht ein

Auch beim Deutschen Fachverband für Kassen- und Abrechungssystemtechnik (DFKA), kurz Kassenverband, kann man nicht nachvollziehen, was die Union bezweckt. Die Abschaffung der Bonpflicht wäre aus Sicht des Verbands „ein Schritt in die vollkommen falsche Richtung“. Der Vorsitzende Michael Ripinski erinnert daran, dass CDU-Kanzlerin Angela Merkel 2020 die Einführung der Bonpflicht im Bundestag noch verteidigte – damals gegen Stimmen der FDP.

Ripinski hält es für umso weniger verständlich, die Bonpflicht auf die Agenda zu setzen, als sie im Moment überhaupt kein Thema mehr ist – dafür aber eine lange, turbulente Geschichte hat. Das Gesetz wurde mindestens 20 Jahre lang diskutiert, dann schließlich 2016 verabschiedet, in Kraft trat es aber erst 2020. Gegen den „Bon-Zwang“ liefen noch kurz davor diverse Kampagnen. Angeblich könne man mit dem umweltschädlichen Thermopapier der Bons 50 Mal die Erde umwickeln, hieß es etwa vom Bäckerhandwerk.

Seither ist es still geworden um die Bonpflicht. Streng genommen handelt es sich ja um eine Bonausgabepflicht. Der Händler muss dem Kunden den Bon anbieten. „Wollen Sie einen Bon?“ „Nein, danke.“ So läuft ein inzwischen üblicher Small Talk an der Theke des Bäckers. Annehmen muss niemand den Bon, anders als etwa in Italien, wo Bons schon seit 1983 streng kontrolliert werden. Dort können Steuerfahnder Kunden sogar im Umkreis des Kaufs überprüfen.

Doch in Deutschland stehen auch nach Inkrafttreten der Bonausgabepflicht längst nicht auf allen ausgehändigten Bons die erforderlichen Daten zum getätigten Kauf wie etwa die Transaktionsnummer und Seriennummer des Kassensystems. Manchmal steht da immer noch „Zwischenbeleg“ oder „Zahlung“.

Derlei titulierte Bons bieten keine Gewähr dafür, dass die Einnahmen nicht doch an der Steuer vorbeigeschleust werden. Dagegen helfen im Wesentlichen nur Kassen mit einer technischen Sicherungseinheit (TSE). Diese verpflichtend haben zu müssen, schreibt der Gesetzgeber aber gar nicht vor. Zum Bedauern des Kassenverbandes, der solche Kassen natürlich verkaufen will, existieren in Deutschland weiterhin zwei Systeme: eines mit manipulationssicheren Kassen wie etwa in Supermärkten und die unsichere, offene Ladenkasse. Ripinski sagt: „Gefühlt also eine Bargeldeinnahme in einen Schuhkarton.“ Bemerkenswert daran ist, dass Deutschland sich hier unter den EU-Ländern in der Minderheit befindet. Die große Mehrheit der EU-Staaten schreibt eine Kasse mit Belegpflicht, Zertifizierung und digitaler Signatur seit Jahren vor.

Technisch sei es längst kein Problem mehr, einen elektronischen Bon auszustellen, sagt Ripinski, und sei es der Umwelt zuliebe. Und die physische Ausgabe des Bons ist auch für Steuergewerkschafter Köbler nicht notwendig. „Was es aber braucht, ist die Einführung einer Registrierkassenpflicht und eine ausnahmslose Belegerstellungspflicht – als Nachweis, dass alle Umsätze tatsächlich verbucht werden“, sagt er. Das könne auch automatisch digital erfolgen, ganz ohne Ausdruck und Zusatzaufwand für den Händler. Im Idealfall landen die Einnahmen direkt in der Buchhaltung und in einem nächsten Schritt digital beim Finanzamt.

„Die Bonpflicht stellt eine Belastung für den Einzelhandel dar.“

All das sei heute ohne großen Aufwand möglich und auch für kleine, weniger finanzstarke Händler eine Lösung, sagt Hubertus Grobbel, Vice President für Sicherheitslösungen von Swissbit, einem Hersteller von manipulationssicheren TSE-Kassensystemen. An einer Bonpflicht gehe dabei allerdings kein Weg vorbei. Ohne Bon wüssten Kontrolleure gar nicht, wonach sie suchen sollten. Er sei das zentrale Zwischenglied.

Die CDU bleibt dennoch bei ihrem Vorhaben. Auf Nachfrage sagt eine Sprecherin: „Die Bonpflicht stellt eine Belastung für den Einzelhandel dar, da für jeden Einkauf ein Beleg ausgedruckt oder digital bereitgestellt werden muss.“ Mit der TSE-Kassenpflicht (die es in Wahrheit nicht gibt) und der Kassennachschau gebe es bereits wirksame Kontrollinstrumente, die Missbrauch eindämmten. Außerdem zahlten viele Kunden inzwischen mit Karte, was den Bezahlvorgang zusätzlich absichere. Eine Abschaffung der Bonpflicht würde nicht nur den Betrieben Bürokratie ersparen, „sondern auch für klare rechtliche Verhältnisse sorgen“.

Praktiker wie Hubertus Grobbel sehen das anders. Er fragt, warum Deutschland, nachdem es 95 Prozent des Weges zurückgelegt hat, nun plötzlich einen Sonderweg in Europa einschlagen will.

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