Cathrina Claas-Mühlhäuser:"Banker finden Mähdrescherfahren toll"

Cathrina Claas-Mühlhäuser ist Enkelin des Firmengründers Claas. Ein Gespräch über Mähdrescher, Firma und Familie - und warum das Unternehmen unbedingt in die westfälische Provinz gehört.

Elisabeth Dostert und Stefan Weber

Cathrina Claas-Mühlhäuser, 35, ist in den Publikationen des eigenen Unternehmens sehr präsent. In den Medien aber meldet sie sich selten zu Wort. "Schlechte Erfahrungen", sagt sie zur Begründung. Dabei hat sie als Juniorchefin des größten europäischen Unternehmens für Landtechnik eine Menge zu erzählen. Wenn es aber um Fragen des Tagesgeschäfts geht, verweist sie an Theo Freye, den Sprecher der Geschäftsführung. Der klopft nach knapp zweistündigem Gespräch an die Tür, um sie abzuholen - und bleibt dann doch noch, um zu erläutern, dass es bei der Claas-Gruppe wieder aufwärts geht.

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Cathrina Claas-Mühlhäuser, 35, ist seit 2010 Chefaufseherin beim Landmaschinenhersteller Claas. Das Werk hatte 1913 ihr Großvater gegründet.

(Foto: Getty Images)

SZ: Frau Claas-Mühlhäuser, Jungs möchten gerne Trecker fahren. Sie hatten als Kind Trecker und Mähdrescher in Originalgröße vor der Haustüre. Sind Sie damit voller Leidenschaft gefahren?

Claas-Mühlhäuser: Ich bin damit aufgewachsen. Für mich war das nichts Besonderes. Aber meine Klassenkameraden fanden das ganz toll.

SZ: Sie waren der Star in der Klasse?

Claas-Mühlhäuser: Das auch wieder nicht. Aber die Klassenkameraden sind immer gerne zum Kindergeburtstag gekommen. Das war der beste Spielplatz der Welt.

SZ: Wann wurden Sie zum ersten Mal von Ihrem Vater auf einen Mähdrescher gesetzt?

Claas-Mühlhäuser: Ich durfte früh auf unserem Bauernhof mitfahren. Und ich weiß noch, dass ich mich öfter mit einem Nachbarsjungen gestritten habe, wer auf diesem kleinen ausklappbaren Beifahrersitz mitfahren darf.

SZ: War es für Sie immer klar, dass Sie als einziges Kind die Nachfolge im Familienunternehmen antreten würden?

Claas-Mühlhäuser: Darüber habe ich als Kind nicht nachgedacht. Das wurde zu Hause nicht diskutiert. Papa baut Mähdrescher und das war's. Ich habe meinen Vater auch nicht als Unternehmer wahrgenommen - sondern als Ingenieur, weil er immerzu zeichnete. Er hatte stets einen Bleistift in der Hand und bemalte alles, was er in die Finger bekam. Wenn es sein musste, auch die Servietten. Was meine Mutter nicht so erfreute.

SZ: Weil es Stoffservietten waren?

Claas-Mühlhäuser: Auch die wurden bemalt. Ich weiß noch genau, wann das passierte, 1981. Wir machten Ferien auf unserem Bauernhof in England und hatten Besuch von einem befreundeten Professor. Weil gerade kein Papier da war, malten die beiden auf Servietten. Das war die Geburtsstunde unseres Traktors Xerion. Als damals Sechsjährige habe ich das nicht verstanden.

SZ: Wie hat Ihre Umwelt die Erbin Cathrina Claas wahrgenommen?

Claas-Mühlhäuser: Erst sehr viel später habe ich gemerkt, dass ich von der Außenwelt ganz anders wahrgenommen wurde, als ich dachte. Die Mitarbeiter unseres Betriebs haben immer gesagt: "Irgendwann wirst du die Chefin!" Für mich war das weit weg. Ich habe mich erst in der letzten Phase meines Studiums für die Firma entschieden. Da stellte sich die Frage, was ich als ersten Job machen würde. Ich habe mich dann für ein Trainee-Programm beim ABB-Konzern entschieden.

SZ: Sie hatten auch andere Optionen?

Claas-Mühlhäuser: Selbstverständlich, aber ich wollte die Freiheit, zu entscheiden. Mein Vater hat mich nie unter Druck gesetzt. So eine Aufgabe als Nachfolgerin des Chefs übernimmt man auch nicht, weil man muss. Das funktioniert nicht.

SZ: Ihr Vater hätte es auch akzeptiert, wenn Sie etwas anderes gemacht hätten?

Claas-Mühlhäuser: Absolut.

SZ: Gab es Zeiten, in denen Sie dieses große Unternehmen als Last empfunden haben?

Claas-Mühlhäuser: Nicht als Last, sondern als große Verantwortung. Das hat mich am Anfang ein bisschen erschreckt. Und dann habe ich beschlossen, darüber nicht mehr nachzudenken. Egal, ob Sie 60, 600 oder 6000 Menschen beschäftigen, die Herausforderungen sind ähnlich, weil es immer um Menschen geht. Und wenn einem die Größe Angst macht, dann muss man überlegen, wie man alles auf ein handhabbares Maß strukturiert.

"Die Service-Reports sind Frontberichte"

SZ: Seit Herbst 2010 führen Sie den Aufsichtsrat, seit 2004 sitzen Sie im Gesellschafterausschuss. Können Sie sich vorstellen, in die operative Geschäftsführung zu wechseln?

Claas Erntemaschinen

Ein Monteur kontrolliert in der Mähdrescher-Produktion der Firma Claas in Harsewinkel den Reifen eines Lexio-Mähdreschers.

(Foto: dpa)

Claas-Mühlhäuser: Wir halten uns das offen. Mein Vater sagt immer, in solchen Dingen gibt es überhaupt keine Not, sich festzulegen. Wir haben eine phantastische Geschäftsführung. Ob ich meine Rolle in fünf oder zehn Jahre anders sehe, weiß ich nicht.

SZ: In anderen Familien - beispielsweise Henkel oder Haniel - sind die Rollen klar festgelegt. Die Familie beschränkt sich auf den Aufsichtsrat.

Claas-Mühlhäuser: Jedes Familienunternehmen hat eine andere Philosophie. Der Vorteil einer Regelung zeigt sich erst im Laufe der Generationen. Ich vertrete mit den beiden anderen Familienstämmen erst die dritte Generation, die Lage ist überschaubar. Eine Firma, die sieben Generationen auf dem Buckel hat und 200 Gesellschafter, braucht möglicherweise andere Regeln.

SZ: Im Normalfall fängt der Nachfolger in der operativen Geschäftsführung an, der Aufsichtsrat ist eher der Alterssitz. So war das auch bei Ihrem Vater. Warum machen Sie es anders?

Claas-Mühlhäuser: Der Gesellschafterausschuss hat bei uns die Rolle des strategischen Führungsgremiums. Das macht in Aktiengesellschaften der Vorstand. Er legt die Strategie fest und ist nahe dran am operativen Geschäft. Im Moment würde ich die Zeit für eine operative Führung auch überhaupt nicht aufbringen wollen, weil ich im Herbst zum ersten Mal Mutter geworden bin.

SZ: Beruf und Familie lassen sich nicht vereinbaren?

Claas-Mühlhäuser: Das ist alles machbar. Das Schöne ist ja, ich kann es mir aussuchen.

SZ: Werden Sie Ihren Vater über kurz oder lang als Vorsitzenden des Gesellschafterausschusses beerben?

Claas-Mühlhäuser: Ja, aber dafür gibt es keinen konkreten Termin.

SZ: Wie sieht die Zusammenarbeit im Gesellschafterausschuss konkret aus?

Claas-Mühlhäuser: Das Gremium trifft sich viermal im Jahr. Das Büro meines Vaters liegt gegenüber von meinem und auf einer Etage mit der Geschäftsführung. Wir sehen uns häufig auf dem Flur und einmal im Monat beim Jour fixe. Der dauert zwei bis drei Stunden. Zwischendurch telefonieren wir.

SZ: Wie oft lassen Sie sich die Geschäftszahlen vorlegen?

Claas-Mühlhäuser: Ich lese eine Menge Berichte: die wöchentlichen Verkaufszahlen, den monatlichen Lagebericht und, ganz wichtig, die Service-Reports aus den Ländern. Das sind richtige Frontberichte.

SZ: Hatten Sie je das Gefühl, dass die Skepsis Ihnen gegenüber bei Kunden und Mitarbeitern größer ist, weil Sie eine Frau sind - und dass Sie deshalb mehr leisten müssen?

Claas-Mühlhäuser: Nein, nie.

SZ: Tun Sie sich in Verhandlungen mit Kunden leichter, weil viele Landwirte wie Claas Familienunternehmen sind?

Claas-Mühlhäuser: Ja, ganz klar. Jeder geht leichter auf einen Menschen zu, mit dem er etwas gemeinsam hat.

SZ: An die Börse, wo Ihre größten Konkurrenten schon sind, wollen Sie nicht gehen?

Claas-Mühlhäuser: Nein. Das Thema spielt keine Rolle.

SZ: Aber Genussscheine und Anleihen haben Sie bereits ausgegeben.

Claas-Mühlhäuser: Die machen uns unabhängig von den Banken.

SZ: Können Sie alles, was Sie vorhaben, aus eigener Kraft finanzieren?

Claas-Mühlhäuser: Ja. Wir haben ja sogar mit eigenen Mitteln 2003 die Traktorensparte von Renault gekauft.

SZ: In den vergangenen beiden Jahren liefen Ihre Geschäfte schlecht. Haben Ihre Investoren kritischer nachgefragt?

Claas-Mühlhäuser: Nein. Unsere Pflichten sind klar geregelt und die erfüllen wir. Unsere Investoren wissen immer, was bei uns los ist. Die Zahl der Anleihegläubiger ist auch überschaubar. Wir tun mehr, als wir müssen.

SZ: Was zum Beispiel?

Claas-Mühlhäuser: Wir machen sogenannte Finanzpartnertreffen. Da reden wir ausführlich über unsere Zahlen, und die Banker können dann anschließend Mähdrescher fahren, das finden sie ganz toll. Unsere Rechnungslegung ist konservativ, konservativer geht es kaum. Das wissen unsere Investoren. Wir haben jede Menge Liquidität. Unternehmen sind selten an mangelnder Profitabilität, wohl aber an fehlender Liquidität pleitegegangen.

SZ: Claas ist die Nummer vier in der Welt der Landmaschinen. Die drei führenden Unternehmen sind große Konzerne. Wie wird sich der Markt in den nächsten Jahren verändern? Gibt es eine weitere Konzentration?

Claas-Mühlhäuser: Wir planen keine Firmenkäufe, sondern wollen organisch wachsen. Dazu haben wir die richtigen Produkte. Aber wir sind nicht mit allen Produkten in allen Märkten vertreten, und das müssen wir ändern. Vor allem müssen wir in den Wachstumsmärkten besser präsent sein und in Amerika stärker ins Geschäft kommen.

SZ: Ausgerechnet in Amerika, wo Ihre größten Konkurrenten zu Hause sind?

Claas-Mühlhäuser: Genau das ist der Grund, warum wir dahin müssen.

SZ: Wie sind die Wachstumsziele von Claas in den nächsten Jahren?

Claas-Mühlhäuser: Wir setzen uns strategische Ziele, keine Umsatzziele. Um Ihnen aber eine Vorstellung zu geben: In den vergangenen zehn Jahren haben wir im Durchschnitt zehn Prozent jährlich zugelegt. Es wäre schön, wenn es in diesem Tempo weitergehen würde.

SZ: Das Geschäft mit Landtechnik unterliegt vielen Einflüssen, über die Hersteller keine Kontrolle haben. Das Wetter etwa oder staatliche Regulierungen. Wäre es nicht naheliegend, nach einem Ausgleich für das Risiko zu suchen?

Claas-Mühlhäuser: Das müssen Sie anders sehen. Wir sind trotz unserer starken Marktposition immer noch ein Mittelständler - und können nicht alles gleichzeitig tun. Aber Risiken gibt es in jedem Geschäft, genauso wie Chancen. Mit stärkerer Volatilität müssen viele Unternehmen rechnen. Die Antwort heißt Flexibilisierung, Kostenkontrolle und Innovation.

SZ: Das heißt, es wird auch weiterhin starke Ausschläge im Geschäft von Claas geben - so wie in den beiden vergangenen Jahren, in denen Sie kräftig Umsatz und Ergebnis eingebüßt haben?

Claas-Mühlhäuser: Ja, darauf müssen wir uns einstellen. Natürlich lässt uns das nicht kalt. Aber wenn wir ein Geschäft suchen würden, das einen echten Risikoausgleich zu unseren jetzigen Aktivitäten darstellt, müsste es so groß sein wie der Rest. Das heißt, wir könnten in den nächsten Jahren nichts anderes tun, als dies aufzubauen.

SZ: Oder etwas dazuzukaufen?

Claas-Mühlhäuser: Dann investieren wir besser in unser Stammgeschäft.

SZ: Was ist das größte Risiko für Claas?

Claas-Mühlhäuser: Dass die Familie in Streit gerät. Aber wir verstehen uns sehr gut. Vor kurzem hatten wir in Harsewinkel unser traditionelles Dreikönigstreffen der Führungskräfte mit weit über 500 Teilnehmern. Dazu war auch die ganze Familie erschienen, weil sie Spaß daran hat.

SZ: Harsewinkel ist tiefste ostwestfälische Provinz. Bekommen Sie trotzdem genügend qualifizierte Mitarbeiter? Oder hat Claas da ein Standortproblem?

Claas-Mühlhäuser: Wir bekommen die guten Leute, die wir brauchen. Aber wir müssen sehr früh anfangen, Menschen für Claas zu begeistern - etwa, indem wir in Schulen und Universitäten gehen und uns dort präsentieren. Aber es ist doch auch so: Ein Landmaschinenunternehmen kann nicht in einer Stadt zu Hause sein - das geht gar nicht! Wir gehören aufs Land.

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