Catering-Branche:Schäumchen im Schnapsglas

Die deutsche Esskultur im Umbruch: Wer fit und hip sein will, greift zu Sushi und Molekularhäppchen - das verändert auch die Branche der Caterer.

Robert Lücke

Viele schnelle kleine Hände formen, stapeln, schneiden, schichten, drücken, schieben und heben, das meiste ist nur so groß wie ein Lippenstift oder ein Spielwürfel. Unter den strengen Augen von Yong Soo Kim fertigen bis zu 40 Menschen Maki, Nigiri und Masago.

Dass das in einer Werkshalle in Neuss geschieht und nicht im japanischen Osaka, liegt an Tom und Tim Hörnemann, ihnen gehört die Firma "Tsunami Sushi Bars''. Sie reiten im Moment ganz oben auf einer Modewelle, die Deutschland erfasst hat: der Sushi-Welle.

Zur selben Zeit in Berlin, Frankfurt, München und Hamburg: In vier Küchen dort werden ganz andere Delikatessen vor- und zubereitet.

Klein sind sie auch, aber oft weniger handfest, weil mit Stickstoff gekocht oder in Wasser frittiert.

In Wasser frittiert? "Ja'', sagt Kay Schoeneberg, Küchenmeister bei Kofler & Company, einem Edelcaterer, und versenkt Minzeblättchen mit einer langen Schöpfkelle in einem Behälter, aus dessen Öffnung es dampft - nicht etwa vor Hitze, sondern vor Kälte.

In flüssigem Stickstoff werden die Blättchen bei minus 176 Grad binnen Sekunden schockgefroren, im Mund prickelt es ein bisschen beim Draufbeißen. Dasselbe funktioniert auch mit Crèmes und Schaumklößen, sie bekommen eine kalte Außenhaut verpasst, innen aber bleiben sie angenehm weich.

Das ist ein Bestandteil der sogenannten Molekularküche, die durch den spanischen Koch Ferran Adrià weltbekannt wurde. Und es ist zugleich eine große Mode - ähnlich wie Sushi.

Die Zahl der Sushi-Schälchen im Supermarkt steigt

Deutschlands Esskultur ist im Umbruch. Es geschieht eher heimlich, still und leise, weil es nicht so augenfällig ist wie die zahllosen Fast-Food-Filialen, die das Land seit gut zwei Jahrzehnten flächendeckend überziehen.

Aber wer aufmerksam die steigende Zahl der Sushi-Plastikschälchen im Supermarkt beobachtet und bei Buffets auf Großveranstaltungen das Aussterben der Frikadelle beobachtet, bei gleichzeitiger, explosionsartiger Vermehrung seltsamer Schäumchen in Schnapsgläsern, dem fällt auf: Hier ändert sich etwas, und das gewaltig.

Neben Geschäftssinn und dem Erspüren von Trends gehört auch Glück dazu, um erfolgreich zu sein. Und manchmal geht auch etwas daneben, wie Schoeneberg unlängst erlebte.

Eigentlich sollte seine Firma für Kofler & Company bei der Kasseler Kunstschau Documenta als Hommage an den dort vertretenen Ferran Adrià den Besuchern kleine Adrià-Kreationen wie dessen berühmtes "Dekonstruiertes Gemüse mit Holzkohleöl'' servieren.

Das war zumindest die Idee von Documenta-Leiter Roger M. Buergel. Doch daraus wurde nichts, weil Adrià dies für unvereinbar mit seiner Präsentation in Kassel hielt.

Nun gibt es aber gar keine Adrià-Präsentation, auf der Documenta hängt nur eine einsame Speisekarte von Adriàs Restaurant "El Bulli'', und jeden Tag werden unter den Documenta-Besuchern zwei ausgesucht, die eine Reise ins "El Bulli'' an der Costa Brava spendiert bekommen.

Zur Begründung seines Nichterscheinens sagte Adrià zur Documenta-Eröffnung nur, eine Küche könne man eben "nicht in ein Museum packen''. Egal, nun richtet Kofler in Kassel nicht auf dem Documenta-Gelände, sondern nur auf Aktionen von Hauptsponsoren das Catering aus, und es wird, passend zu Adrià, Molekularküche geben.

Stabil durch Algenextrakte

Seit 1991 ist Klaus Peter Kofler Caterer, mit zunehmendem Erfolg. Als der gelernte Konditormeister und heutige Firmenchef damit anfing, "war Catering noch ein Schimpfwort. Es galt als Massenabfütterung, und wenn es halbwegs warm und einigermaßen genießbar auf den Teller kam, war man als Kunde schon zufrieden'', sagt Kofler.

Denn es ist weitaus schwieriger, für 500 Menschen genauso gut zu kochen wie für vier. Dass Kofler dies kann, scheinen zumindest seine Umsatzzahlen zu bestätigen: 2005 erwirtschaftete er 10,5 Millionen Euro, im vergangenen Jahr waren es 18,5 Millionen Euro. Kofler durfte schon für Königin Elisabeth II., Bundespräsident Horst Köhler und Altbundeskanzler Helmut Kohl kochen.

Dem Caterer kommt einiges zupass: Einmal, dass sich die Gerichte der Molekularküche leicht nachmachen lassen. Man kauft sich ein Kochbuch von Ferran Adrià, und los geht's. "Bei Molekularköchen ist es wie bei Konditoren. Da ist alles bis aufs Gramm genau festgelegt, es wird nicht aus dem Bauch heraus gekocht wie bei anderen berühmtem Köchen.''

Was sich mit entsprechendem handwerklichen Können leicht kopieren lässt, schmeckt dementsprechend immer gleich - an jedem Ort. Die Molekularküche kommt aber auch deswegen so gut an, weil es gerade ungeheuer modern ist.

In flüssigen Stickstoff getauchte Fruchtcremes oder mit Algenextrakten stabilisierte Schäume sind offensichtlich heute bei vielen Menschen beliebter als Schnittchen mit Roastbeef, Camembert und Räucherlachs.

"Unsere Kunden stehen selbst für Innovation und verkaufen sich so'', sagt Kofler, "deswegen kommt es bei ihnen natürlich sehr gut an, wenn sie etwas von uns für ihre Veranstaltungen kriegen, das sehr angesagt ist".

Über sprunghaft gestiegene Umsätze freut sich ebenfalls Tim Hörnemann. Die große Nachfrage nach Sushi führt er auf einen Boom zurück, den es seit einiger Zeit gibt: Alle reden über Lifestyle, Wellness, Fitness. Und genau das wird mit Sushi assoziiert. Wer die japanischen Häppchen isst, gilt als jung, hip, schlank, gesund.

Die Geschäfte bei Hörnemann laufen deshalb prächtig. Der Umsatz seines Unternehmens legte 2006 um 130 Prozent zu, 50 Prozent der in deutschen Supermärkten verkauften Sushi stammen heute von Tsunami Sushi Bars.

60.000 Packungen Sushi verlassen wöchentlich zu Spitzenzeiten die Neusser Fabrik, beliefert werden bundesweit Supermärkte wie Tengelmann, Rewe, Metro und Edeka sowie kleinere Läden.

Jede Sushi-Packung wird von den 40 firmeneigenen Kühlkleinlastern bundesweit ausgefahren. "Was wir heute produzieren, ist morgen im Laden'', sagt Hörnemann.

Den großen Erfolg führt Hörnemann vor allem auf den hohen Frischegrad zurück. "Was wir von unseren Lieferanten bekommen, etwa zweimal die Woche fangfrischen Lachs aus Norwegen, verarbeiten wir sofort und komplett, und danach geht es direkt raus.''

Nichts bleibe - anders als in manchen Sushi-Bars - auch nur einen Tag liegen. Die Nachfrage bei den Kunden sei inzwischen so groß, dass Hörnemann nun auch frische Obstsalate, Gemüseteller und Pizzen anbieten will.

Gerade hat er sich überlegt, Soja-Saucen in speziell designten Flaschen zu verkaufen. Immer mehr Menschen seien bereit, für frische Waren wieder mehr Geld auszugeben, ist er überzeugt.

Einzig mit der Namenswahl hatten die Hörnemanns Pech. Als sie im Juni 2004 anfingen, konnten sie nicht ahnen, dass der Begriff für eine Welle, vor der kein Hafen Schutz bietet, anderthalb Jahre später so negativ besetzt sein würde.

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