Catena-X:Mehr Durchblick bei den Lieferketten

Catena-X: Catena-X soll Firmen helfen, bessere Daten zu bekommen, zum Beispiel, welche Kunststoffe in einem Auto stecken.

Catena-X soll Firmen helfen, bessere Daten zu bekommen, zum Beispiel, welche Kunststoffe in einem Auto stecken.

(Foto: Nicolas Armer/picture alliance/dpa)

BMW und SAP machen es vor: Ein neues System soll die Industrie mit Daten der weltweiten Warenströme versorgen. Doch lässt sich auch der Mittelstand von Catena-X überzeugen?

Von Helmut Martin-Jung

Wenn die Chefs von SAP und BMW sich Zeit nehmen für einen Termin, könnte es sich um eine größere Sache handeln. Das soll auch im Falle von Catena-X der Fall sein. BMW-Chef Oliver Zipse sieht in dem Projekt, das Industrieunternehmen weltweit vernetzen soll, gar die Weiterentwicklung von Industrie 4.0 - dem global erfolgreichen Modell der digitalen Vernetzung einzelner Firmen. Catena-X, so der Plan, soll Datenketten aufbauen, die den beteiligten Unternehmen Klarheit darüber verschaffen, wie es zum Beispiel bei den Lieferketten aussieht: Wo läuft es, wo gibt es Probleme? Aber auch darüber, welchen CO₂-Fußabdruck jedes einzelne Produkt, jeder Rohstoff aufweist.

Letztendlich ist Catena-X auch das Eingeständnis, dass es auch Konzerne aus eigener Kraft nicht mehr schaffen, den nötigen Durchblick zu behalten. Allein BMW zum Beispiel hat 12 000 verschiedene direkte Lieferanten, insgesamt steckten Produkte von 60 000 Zulieferern in den Autos der Münchner. Die Lösung: Daten. Mit digitalen Zwillingen der künftigen Autos spare sich BMW 30 bis 40 Prozent an Vorführmodellen ein, den sogenannten Mockups, sagt BMW-IT-Leiter Alexander Buresch. Die Daten aus der Produktion fließen mit ein, die selben Daten werden später auch genutzt, um Kunden ihr Wunschauto virtuell zu zeigen.

Das Problem dabei sind aber nicht die großen Unternehmen. Viele von ihnen gehören längst zu den derzeit 104 Mitgliedern des Catena-X-Vereins, der sich als neutrale Instanz um Dinge wie Standardisierung kümmert. Das Problem sind die vielen kleinen und mittleren Firmen. Zum Teil deshalb, weil sie in Sachen Digitalisierung noch weit hinterherhinken und demzufolge die Daten gar nicht liefern können, die gefragt sind. Zum Teil aber auch deshalb, weil sie noch nicht einsehen, wieso sie überhaupt Daten preisgeben sollen. Auch bei Henkel, einem Spezialisten für Klebstoffe, gab es noch vor wenigen Jahren diese Bedenken, sagt Vorstandsmitglied Jan-Dirk Auris. Mittlerweile habe man eingesehen: die transparente Zusammenarbeit sei unerlässlich.

Die Transparenz bezieht sich nicht bloß auf Liefertermine und Mengen. Catena-X soll die Mitglieder auch in die Lage versetzen, die Anforderungen des Lieferkettengesetzes zu erfüllen, die auf sie zukommen. "Was ist die Alternative?", fragt Henkel-Mann Auris rhetorisch. Ein vergleichbares System, das den Firmen die mühselige Arbeit erleichtere, und zugleich den Überblick über die Lage bei den Lieferketten verschaffe, sei nicht in Sicht.

BMW-Chef Oliver Zipse ist daher optimistisch, dass viele Unternehmen mitmachen werden. Denn sie alle müssten künftig Daten darüber bereitstellen, ob etwa bei den Zulieferern alles mit rechten Dingen zugeht oder wieviel CO₂ ein Produkt von den Rohstoffen bis zur Entsorgung oder Wiederverwertung tatsächlich verursache. SAP-Chef Christian Klein pflichtet ihm bei. Es werde einen Schneeballeffekt geben und mehr und mehr Firmen würden beitreten. "Man verliert dadurch nichts", könne aber viel gewinnen.

Auch die Kleinen können und sollen mitmachen

Bisher wurden für das Projekt Catena-X erst die Grundlagen geschaffen. Das Wichtige dabei: Es wird keine zentrale Datenbank geben, sondern eine vielschichtige Verflechtung von Firmen untereinander. Möglich soll das durch ein standardisiertes Datenformat werden. Ein kleines Zulieferunternehmen muss also keine komplizierten Systeme bedienen, sondern lädt einfach die Datei aus der ohnehin vorhandenen Tabellenkalkulation, meist Excel, in einen Cloud-Bereich hoch. Dort werden die Daten so verarbeitet, dass alle anderen Teilnehmer etwas damit anfangen können. Firmen, die bereits ein System zur Steuerung der Firmenressourcen haben, etwa von SAP, können diese Daten auch automatisiert ausleiten. Welche Daten man teilt, bleibt die Entscheidung jedes einzelnen Unternehmens. Die IT-Dienstleistungen bietet nicht nur SAP an, sondern auch andere Firmen.

Für Marius Pohl vom Autoverwerter LRP, einem kleineren Mittelständler, war es keine Frage bei Catena-X mitzumachen. "Bis zu 300 Kunststoffarten gibt es in einem Auto", sagt der Recycling-Experte, "wir können sie aber nur trennen, wenn wir auch wissen, welche das sind." Bisher wissen sie das nicht. Die Folge: 80 Prozent der Teile eines Autos werden nicht weiterverwendet. "Eine enorme Rohstoffverschwendung", sagt Pohl. Auch die Politik wirbt für Catena-X. Wirtschaftsminister Robert Habeck richtete einen Appell besonders an den Mittelstand. Denn auch er weiß: Je mehr Firmen mitmachen, desto besser für alle. Ende dieses Jahres sollen es 1000 sein. Damit es richtig Mehrwert bringt, muss das Projekt langfristig aber in andere Dimensionen vorstoßen. 100 000 Mitglieder, sagt der Leiter des Catena-X-Konsortiums, Oliver Ganser, müssten es schon sein.

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