Carsten Spohr arbeitet in Frankfurt, aber eigentlich lebt er mit seiner Familie in München. Als Lufthansa-Chef pendelt er mit dem Flugzeug und sowieso fliegt er praktisch jeden Tag irgendwohin zu einem Termin. Spohr ist also aus eigener leidvoller Erfahrung ganz gut im Bilde darüber, was es im Sommer 2018 bedeutet hat, in Deutschland das Flugzeug benutzen zu wollen. "Ich habe viele Abendessen zu Hause verpasst", sagt er.
Das aktuelle Chaos im Luftverkehr ist für ihn das Thema schlechthin. "Es ist schlimmer geworden, als ich dachte", sagte Spohr bei einer Veranstaltung in Frankfurt. Tausende Flugausfälle, unter anderem bei der Lufthansa-Tochter Eurowings, im Juni war zudem praktisch jeder zweite Flug in Europa verspätet, frustrierte Passagiere und verursachte hohe zusätzliche Kosten für die Unternehmen. "Die Branche hat ein gemeinsames Problem und das heißt Wachstum. Es geht offenbar nicht ohne riesige Wachstumsschmerzen."
Reisen:Flugausfälle und Verspätungen nehmen drastisch zu
Chaos am Himmel, und das mitten in der Feriensaison: Fliegen gerät für viele Urlauber zum Abenteuer. Und es könnte noch schlimmer kommen.
Nachdem vor allem Eurowings lange Zeit trotz Chaos öffentlich gute Laune verbreiten und die Probleme eher nicht zu sehr thematisieren wollte, geht Spohr die Sache offensiv an: "Die Passagiere erleben einen Sommer geprägt von Verspätungen, Ausfällen und Ärgernissen. Wir wollen das nicht unter den Teppich kehren, wir haben einen großen Anteil daran. Wir müssen ehrlich zugeben, dass wir im 110-Prozent-Modus arbeiten. Das Unternehmen läuft auf Überlast", sagte Spohr.
Gemeint ist vor allem Eurowings. Die Billigsparte war damit beauftragt, nach der Pleite von Air Berlin einen möglichst großen Teil der Flotte des ehemaligen Konkurrenten möglichst schnell zu übernehmen. In der vergangenen Woche integrierte Eurowings das letzte von insgesamt 77 Ex-Air-Berlin-Flugzeugen. Doch fast alles dauerte länger als geplant, die Reserven im System waren schnell aufgebraucht. Wenn dann noch irgendwo das Wetter schlecht war oder ein Ersatzteil fehlte, waren Ausfälle fast unvermeidbar.
Bei Eurowings habe man "den einen oder anderen Fehler gemacht", gab der Lufthansa-Chef zu. Bis Oktober brauche man, um die Lage zu stabilisieren. Doch gleichzeitig verteidigt Spohr die Entscheidung, Eurowings so schnell wachsen zu lassen. "Strategisch hatte die Lufthansa keine andere Wahl, als die historische Chance zu nutzen", findet er. Sonst hätten Konkurrenten die Lücke genutzt.
Alle Unternehmen kämpfen mit denselben Problemen: Es fehle Personal
Zusätzlich zu den internen Ursachen sieht Spohr vor allem die Flugsicherung und die nicht ausreichende Infrastruktur an den Flughäfen als Grund für die Misere. "Wir kämpfen alle mit den gleichen Problemen - es fehlt Personal." Und "alle haben verstanden, so kann es nicht weitergehen."
Viele befürchten indes, dass es nach dem traditionell verkehrsärmeren Winter im kommenden Sommer genau so weitergehen wird, auch wenn bis dahin Eurowings die eigenen Unzulänglichkeiten besser im Griff hat. In vielen Flugsicherungszentralen, etwa in Karlsruhe und Maastricht, fehlen Lotsen und es wird Jahre dauern, bis der Mangel behoben ist.
Um den besonders verstopften oberen Luftraum zu entlasten, dürfen viele Jets nur noch auf knapp 8000 Meter steigen. "Wir tanken extra für die niedrigeren Flughöhen und für längere Warteschleifen", klagt Spohr.
An den Flughäfen bereiten ihm weiterhin die langsamen Sicherheitschecks sowie die Grenzkontrollen Kopfzerbrechen. Und nach in diesem Jahr bislang gut sechs Prozent Wachstum im europäischen Luftverkehr sieht es nicht danach aus, als würde eine schnelle Trendwende bei der Nachfrage für Entlastung sorgen.
Ein Luftfahrtgipfel mit dem Bundesverkehrsminister soll helfen
Spohr setzt darauf, die Engpässe beim Luftfahrtgipfel mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer Anfang Oktober zum Hauptthema zu machen. Die Branche - Fluggesellschaften, Flughäfen und Flugsicherung - hofft dann auf politische Unterstützung vor allem bei der überfälligen Reform der europäischen Flugsicherung, doch in vielem sind sich die Beteiligten trotz gegenteiliger Beteuerungen nicht einig. So hat Spohr zuletzt gefordert, die Zahl der pro Stunde erlaubten Flugbewegungen (Eckwerte) an den besonders stark belasteten Flughäfen zumindest einzufrieren - dagegen wehren sich indes die Flughäfen, die um ihren Umsatz fürchten.
Der Lufthansa-Chef kritisiert außerdem die sogenannte 80/20-Regel, die innerhalb der gesamten Europäischen Union gilt: Wenn Airlines eine ihr zugeteilte Start- oder Landezeit (Slot) an einem bestimmten Flughafen nicht zu mindestens 80 Prozent nutzen, verfällt diese im folgenden Jahr. Die Folge ist: "Jeder fliegt die Slots irgendwie zu 80 Prozent", sagt Spohr, ob das nun sinnvoll sei oder nicht. Das System werde damit aber unnötig belastet.
Auch eine flexiblere Slot-Regelung wäre den Flughäfen nicht recht, denn dann wären die Einnahmen schlechter zu kalkulieren. Und die Airlines können nicht untereinander eine Art freiwilligen Verzicht absprechen, um wieder für etwas mehr Luft zu sorgen, denn das wäre kartellrechtlich unzulässig. Daher gilt laut Spohr: "Wir brauchen eine gemeinsame Antwort."