Carsharing in den USA:Mein Auto ist dein Auto ist mein Auto

Carsharing, Avis, Zipcar

Carsharing boomt. Der große Autovermieter Avis Budget kauft Zipcar, die größte und bekannteste Carsharing-Gesellschaft der Vereinigten Staaten, für 550 Millionen Dollar.

(Foto: Bloomberg)

Carsharing boomt - nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA. Besonders junge New Yorker wollen Autos nicht besitzen, sondern fahren. So faszinierend das Geschäftsmodell ist, so begrenzt war bislang sein wirtschaftlicher Erfolg. Das ändert sich jetzt.

Von Nikolaus Piper, New York

Es gibt eigentlich keinen vernünftigen Grund, in New York ein Auto zu besitzen: Ein Garagenplatz kostet bereits in Brooklyn 390 Dollar oder mehr im Monat, die Häuserschluchten Manhattans sind schön anzusehen, aber praktisch immer verstopft, und wer von New Jersey über die George-Washington-Brücke in die Stadt will, muss seit Neuestem stolze 13 Dollar Maut bezahlen.

Kein Wunder, dass 55 Prozent aller New Yorker Haushalte kein Fahrzeug besitzen (zum Vergleich: In Los Angeles liegt der Anteil bei 17 Prozent). Kein Wunder auch, dass besonders junge New Yorker nach einer Alternative suchen. Das macht die Acht-Millionen-Metropole zum idealen Experimentierfeld für ein Mobilitätskonzept, dem nach Meinung vieler Stadtplaner die Zukunft gehört: Carsharing.

Die Idee stammt ursprünglich von umweltbewegten Aktivisten aus Europa: Wenn sich die Menschen ihr Auto teilen, dann fahren sie weniger und entlasten so die Umwelt. Das war die Konzeption hinter Stattauto Berlin, der ersten Carsharing-Gesellschaft Deutschlands, die im Jahr 1988 gegründet worden war. Die Idee sprang nach einer gewissen Inkubationszeit nach Amerika über: Dort trafen Ökoenthusiasten auf einen ergiebigen Kapitalmarkt, der für Neues immer offen ist.

Von der idealistischen Spielerei zum tragfähigen Geschäftsmodell

Investoren versuchten bald, aus der idealistischen Spielerei ein tragfähiges Geschäftsmodell zu entwickeln. Wie weit sie damit gekommen sind, das zeigte sich am Montag nach Neujahr: Der große Autovermieter Avis Budget erwarb Zipcar, die größte und bekannteste Carsharing-Gesellschaft der Vereinigten Staaten, für 550 Millionen Dollar. Für die Aktionäre, darunter mehrere bekannte Wagnisfinanzierer, bedeutete dies einen Aufschlag von 49 Prozent auf den letzten Aktienkurs aus dem alten Jahr.

Kein Wunder, dass sie begeistert waren. Die Firma war plötzlich weitaus wertvoller, als die Aktionäre sich noch vor Kurzem hätten träumen lassen. Die Verwaltungsräte beider Unternehmen haben dem Deal bereits zugestimmt. Dass einzelne Aktionäre noch Einspruch erheben, gilt unter diesen Voraussetzungen als unwahrscheinlich.

Zipcar ist unter vielen Aspekten die Mutter des modernen Carsharing. Gegründet wurde die Firma im Jahr 2000 in Boston von den beiden Unternehmens-Pionieren Antje Danielson und Robin Chase. Der jetzige Chef Scott Griffith rückte 2003 an die Spitze und brachte Zipcar im April 2011 an die Börse. Insgesamt 700 000 Kunden - oder "Zipsters", wie sie offiziell genannt werden - hat das Unternehmen mittlerweile, die meisten von ihnen sind jung und wohnen in New York oder in 20 anderen Metropolregionen in Nordamerika und Europa. Außerdem stehen Zipcars auf dem Campus von 300 Universitäten und Colleges. Auf dem flachen Land ist das Konzept von Zipcar aus naheliegenden Gründen sinnlos.

So faszinierend die Idee der geteilten Autos ist, so begrenzt war ihr wirtschaftlicher Erfolg bisher. Zipcar hat, nach Aussage des Vorstandsvorsitzenden Scott Griffith, 2012 zum ersten Mal in seiner Geschichte Gewinn gemacht, der Aktienkurs ist seit dem Börsenstart beständig gesunken - und das in einem guten Aktienjahr. Selbst nach dem üppigen Angebot von Avis bleiben die Investoren aus der Anfangszeit des Unternehmens weiterhin im Minus.

Die Lösung heißt: Wachstum

Zipcar und andere Carsharing-Gesellschaften haben aus Sicht der Kunden viele Vorteile: Man kann ein Auto stundenweise mieten; in New York kostet ein Ford Focus werktags 9,58 Dollar pro Stunde. Man kann das ganze Geschäft online abwickeln; die entsprechende Technologie ist eine der Stärken von Zipcar und dürfte Avis gereizt haben, die Firma zu kaufen. Eine Zip-Karte verschafft Zugang zu dem online ausgewählten Fahrzeug, Benzin und Versicherung sind im Preis eingeschlossen, Brückenmaut wird automatisch abgebucht, und die Autos stehen meist mitten in Wohngebieten.

Trotzdem bleibt Zipcar, wenn man einmal von allen Annehmlichkeiten und ökologischen Verbrämungen absieht, eine Autovermietung und steht damit unter dem gleichen Kostendruck wie die anderen auch. Zum Beispiel hat Zipcar ein großes strukturelles Problem: Die meisten Kunden wollen die Autos am Wochenende für Ausflüge und Besuche bei Freunden nutzen, deshalb stehen in der Regel wochentags zu viele Autos in den Garagen, von Freitag bis Sonntag dagegen zu wenig. So ein Missverhältnis verursacht hohe Kosten. Außerdem ist Zipcar schlicht und einfach zu klein, um beim Flottenmanagement mit dem riesigen Fahrzeugbestand der Branchenführer Avis, Budget oder Hertz konkurrieren zu können.

Die Lösung für die Branche heißt daher: Wachstum. Carsharing-Gesellschaften werden in immer kleinerer Zahl als flippige Nischenanbieter auftreten. Sie werden zu Teilen von globalen Konzernen. Ronald Nelson, Chef von Avis Budget, kommentierte den geplanten Kauf so: "Wir sehen Carsharing als hoch komplementär zum traditionellen Mietwagengeschäft, mit einem hohen Wachstumspotenzial." Er hofft auf Kostensenkungen von 50 bis 70 Millionen Dollar im Jahr.

Carsharing hat also endgültig seine Ökonische verlassen

Der Schlüssel zum Erfolg wird beim Wachstum liegen. Avis-Zipcar werden versuchen, neue Märkte in neuen Metropolen zu erschließen, wahrscheinlich nicht nur in Europa, sondern auch im dicht besiedelten Asien.

Die Konkurrenz ist jedenfalls schon längst auf den Plan gerufen. Hertz, der zweitgrößte Autovermieter der Vereinigten Staaten, bietet "Hertz on Demand" an, praktisch den gleichen Service wie Zipcar. Auch der lokale Anbieter Enterprise versucht sich im Carsharing.

Eine besondere Rolle spielt in den Vereinigten Staaten heute der deutsche Daimler-Konzern. Die Daimler-Tochter Car2Go, die auch in Europa aktiv ist, hat sich ausgerechnet in der texanischen Hauptstadt Austin etabliert und bietet dort stundenweise Smarts an. Es ist eine Region, in der Zipcar nur schwach vertreten ist. Inzwischen wurde der Dienst nach Vancouver, Calgary, Toronto, San Diego, Washington, Portland, Miami und Seattle ausgedehnt. Seit November 2011 experimentiert Daimler auch mit dem Verleih von Elektro-Smarts in San Diego und Amsterdam.

Carsharing hat also endgültig seine Ökonische verlassen. Es wird zu einer reifen und globalen Industrie.

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