Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Carl Hahn brachte Volkswagen in die Welt hinaus

Der gebürtige Sachse war einer der Väter des VW-Golf und begründete das wichtige Geschäft in China. Nun ist er mit 96 Jahren gestorben.

Von Max Hägler

Sie haben bei Volkswagen in Wolfsburg ein eigenes, ziemlich großes Museum. Was sicherlich angemessen ist, angesichts all dieser ganzen Automobile, die die Welt geprägt haben. Porsches und Audis und Volkswagen sind zu bestaunen.

Es gibt in der Volkswagen-Stadt ein zweites VW-Museum, ein inoffizielles, das aber ungleich spannender ist: Das Büro von Carl Hahn. Im Jahr 1926 geboren, gestaltete er über vier Jahrzehnte die Firmengeschichte mit, elf Jahre davon als Vorstandschef, von 1982 bis 1993. Als man ihn dort vor nicht allzu langer Zeit besuchte und fragte, wieso er als Ruheständler noch mehrere Arbeitszimmer brauche samt eines von VW abgestellten Mitarbeiters (der bis ans Ende von E-Mails immer Ort und Tag notieren musste, wie auf einem papierenen Brief), da erklärte Hahn zuerst: "Arbeit ist gesund!"

Und dann führte dieser Herr im Nadelstreifenanzug und mit Smartwatch am Handgelenk durch die Zimmer, die vollgehängt und vollgestellt sind mit seiner Geschichte, die auch die Geschichte von Volkswagen ist, (und einem Trampolin, auf dem er Übungen machte). An der Wand Reklame für den VW-Käfer auf Englisch: "Think Small". Hahn war es, der den Käfer und dann auch den Bulli zu einer Ikone gemacht hat in den 1960ern als USA-Chef von Volkswagen. Ein Miniatur-Golf steht da, Hahn ist einer der Väter der deutschen Autoikone. Am Boden ein, ja, Hahn aus Blech, gefertigt von Lehrlingen in Spanien: Carl Hahn war es, der einst Seat dazukaufte und damit (und mit dem Kauf von Škoda) die "Mehrmarkenstrategie" bei Volkswagen begründete.

Auf vielen Dutzend Fotos: Carl Hahn in Schwarz-Weiß mit Männern, die einst die Welt beherrschten. Carl Hahn mit Michael Gorbatschow, Carl Hahn mit Papst Johannes Paul II. An der Wand gegenüber ein Glasschaukasten ausschließlich mit Erinnerungsstücken aus China. 40 Prozent des Umsatzes und vielleicht noch mehr des Gewinns kommen heutzutage aus diesem Land.

Ganz oben auf dem Schrank thront eine Statue von Mao

Auch das hat mit Carl Hahn zu tun. Der deutsche Gentleman pflegte guten Kontakt zur Kommunistischen Partei und verlegte 1985 das Werk für die im Westen erfolglose Limousine "Santana" nach Shanghai. Es war ein durchschlagender Erfolg. Ganz oben auf dem Schrank thront eine Statue von Mao. Die Menschen in diesem Land seien Vorbild für die ganze Welt, in ihrem Streben nach Erfolg, mit ihrem "unerhörten Fleiß", mit ihrer Kultur, mit ihrer Tatkraft, erklärte Hahn. Es war auch ein bisschen Vorbild für ihn: In den vergangenen Jahren arbeitete er an der Frage, wie die Deutschen die frühkindliche Bildung verbessern könnten, ein konkreter Teil davon: spielerischer Chinesisch-Unterricht.

Und was ist mit Wolfsburg? Hahn nennt die Stadt, einen "Ort, der nichts anderes ist als: Volkswagen". Zu wenig für so einen Weltreisenden, also hat Carl Hahn der Stadt ein bedeutendes Kunstmuseum mitfinanziert. Nebenan eben sein Büro. Davor sein Fahrzeug, meist ein kleines, am liebsten eines, das elektrisch fährt. Wieso kommen wir erst jetzt mit der Elektromobilität?, fragte er in den vergangenen Jahren. Und war froh, dass er zumindest indirekt beteiligt ist an dieser großen Antriebswende: In Zwickau steht mittlerweile das Pionierwerk für E-Mobilität. Dass VW in Zwickau ist, auch das liegt an Hahn: Er hat schon zu DDR-Zeiten Kontakte nach Sachsen geknüpft, investierte nach der Wiedervereinigung in diesen Standort. Eine Rolle mag dabei gespielt haben, dass er aus Sachsen stammt. Sein Vater - einer seiner Lehrmeister - war dort Mitgründer der Auto-Union, aus der später Audi wurde, die Marke, die Hahn junior zum Premiumhersteller formte - auch mit Hilfe eines gewissen Ferdinand Piëch, den er zum Audi-Chef machte und der ungleich bekannter wurde.

Nur bei einer Frage stockte Hahn

Spannende Kapitel, Hahn hatte immer viel zu erzählen, selbst übers Ende seiner Vorstandszeit, als VW dann in den roten Zahlen steckte aufgrund zu geringer Effizienz. Nur bei einer Frage stockte er: Erwächst aus den Verstrickungen der Auto-Union und Volkswagen mit dem Nazi-Regime eigentlich eine Verantwortung für die Gegenwart? Er schaute erstaunt, konnte mit der Frage nicht viel anfangen. Eine Haltung, die Gespräche mit ihm immer ein bisschen mit Schwere belegten. Wobei es andererseits ja Carl Hahn war, der als VW-Chef die historische Aufarbeitung angestoßen hatte, in den 1980er-Jahren, als einer der ersten Unternehmenslenker in Deutschland.

Am Samstag ist dieser Mann, der ein Museum füllt und der die deutsche Wirtschaftsgeschichte geprägt hat, zu Hause eingeschlafen, friedlich, wie ein Volkswagen-Sprecher erklärt. Er sei ein Visionär gewesen, sagt Oliver Blume, der heute Volkswagen führt.

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