Ist dieser Pixelhaufen ein S oder eine 5? Soll das rote Ding da ein Hydrant sein? Welche Felder muss ich als Ampel markieren, nur das Licht oder auch den Mast? Jeder kennt Captchas, fast jeder ist schon mal an einem verzweifelt. Die gute Nachricht: Es könnte sich bald ausgepuzzelt haben. Die schlechte Nachricht: Die Bots haben uns ausgetrickst.
Maschinen sind mittlerweile deutlich besser darin als Menschen, anderen Maschinen vorzugaukeln, dass sie keine Maschinen sind. Eine internationale Forschungsgruppe ließ 1400 Teilnehmende rund 14 000 Captchas lösen. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Je nach Captcha-Typ lösen Bots die Aufgaben mit 85- bis 100-prozentiger Genauigkeit, Menschen liegen bei 50 bis 85 Prozent Trefferquote. Bots waren dabei nicht nur erfolgreicher, sondern auch schneller.
Die Untersuchung hat bislang kein Peer-Review-Verfahren durchlaufen, wurde also noch nicht von unabhängigen Gutachterinnen oder Gutachtern geprüft. Die Zahlen passen aber zu früheren Studien und bestätigen eine unangenehme Wahrheit: Uns Menschen gehen die Möglichkeiten aus, im Netz zu beweisen, dass wir Menschen sind.
Ein primitiver Turing-Test
Denn genau das ist der Zweck von Captchas. Das Akronym steht für "Completely Automated Public Turing test to tell Computers and Humans Apart". Die kleinen Rätsel sind also eine primitive Form des Turing-Tests, der Menschen von Maschinen unterscheiden soll. Das ist keine Schikane, sondern erfüllt einen sinnvollen Zweck. Mehr als die Hälfte der Klicks im Netz geht auf Bots zurück, also kleine Programme, die bestimmte Aufgaben automatisieren.
Solche Bots geben sich im Netz als Menschen aus, posten gefälschte Kommentare, laden massenhaft Daten herunter, zwingen Server in die Knie oder klicken stupide auf Anzeigen, um den Werbetreibenden das Geld aus der Tasche zu ziehen. Dass Webseitenbetreiber verzweifelt nach Türstehern suchen, um diese ungebetenen und teils gefährlichen Gäste auszusperren, ist also nachvollziehbar.
Anfang des Jahrtausends fiel das leicht, weil Bots dumm und berechenbar waren. Ein Wort in einer Bilddatei reichte, die Maschinen konnten die Zeichen nicht entziffern. Mit der Zeit wurde die Texterkennung besser und die Rätsel schwerer, Schrift verschwamm, Zeichen überlappten sich, bis sich Menschen entnervt fragten: D oder P, O oder Q, S oder 5?
Menschen trainieren unfreiwillig Maschinen
Es wurde Zeit für neue Herausforderungen. Menschen sollten jetzt Zebrastreifen auswählen oder Taxis und Busse von Autos unterscheiden, manchmal auch Kinderreime fortführen oder lachende Hunde erkennen. Mit zunehmender Verzweiflung suchten Sicherheitsunternehmen nach Aufgaben, die für Menschen trivial und für Bots schwierig sind. Doch am Ende lachten nicht Hunde, sondern Maschinen. Bots holten schnell auf, auch weil die fluchenden Menschen unfreiwillig mithalfen. Viele Captchas nutzen die Antworten der Menschen, um KI-Systeme zu trainieren.
Um herauszufinden, dass Captchas extrem unbeliebt seien, habe man die Studie nicht durchführen müssen, sagte Gene Tsudik, einer der beteiligten Forscher, dem New Scientist. Aber bislang sei unklar gewesen, ob "dieser gigantische, globale Aufwand", der jeden Tag für das Lösen von Captchas investiert werde, "ob es dieser Aufwand wirklich wert ist". Offenbar ist er das nicht - und das hätte vermutlich auch eine Maschine herausfinden können.