CannabisWie kifft es sich unter Friedrich Merz?

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Hanfsämlinge vergangenes Jahr auf der Hanfmesse „Mary Jane.“
Hanfsämlinge vergangenes Jahr auf der Hanfmesse „Mary Jane.“ (Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Auf Europas größter Cannabis-Fachmesse dreht sich vieles um eine Frage: Was wird aus der Legalisierung unter der neuen Regierung? Von Sorge oder Klagen ist hier nicht viel zu spüren – und das liegt nicht (nur) am Gras.

Von Lisa Nguyen, Berlin

Natürlich läuft Reggae. Keine andere Musik steht so sehr für das Kiffertum, doch sie ertönt nur an einzelnen Ständen. Hier stehen bunte Vapes sowie Cannabisblüten mit Namen wie „Moby Dick“ und „Banana Daddy“ direkt gegenüber von massiven Maschinen, die das Cannabis extrahieren, trocknen oder automatisch Joints befüllen und rollen. Über 5000 Besucher und 400 Aussteller aus aller Welt treffen sich in Berlin auf der größten europäischen Cannabis-Fachmesse, der International Cannabis Conference (ICBC). Die Stimmung ist gut, sehr gut sogar. Und das liegt nicht nur an der Smoker’s Lounge im Außenbereich, wo viele Teilnehmer in einer dichten Graswolke beisammenstehen.

Dabei hätte vor allem die deutsche Cannabis-Industrie allen Grund zur Sorge – könnte man meinen. Bereits früh im Wahlkampf kündigte der wohl nächste Kanzler Friedrich Merz an, das erst gut ein Jahr alte Cannabis-Gesetz wieder abschaffen zu wollen, sollte er die nächste Regierung anführen. Die CSU pochte noch vehementer darauf, die Teillegalisierung zurückzunehmen. Doch im Koalitionsvertrag ist davon nichts zu lesen. In gerade einmal zwei schlichten Zeilen steht, man wolle im Herbst 2025 „eine ergebnisoffene Evaluierung“ des Gesetzes vornehmen.

Seit April 2024 ist der Cannabis-Konsum mit etlichen Beschränkungen erlaubt. Erwachsene dürfen bis zu drei Cannabis-Pflanzen in der eigenen Wohnung anbauen sowie bis zu 50 Gramm Cannabis besitzen. Auch nicht-kommerzielle Anbauvereinigungen mit bis zu 500 Mitgliedern, sind legal.

Seitdem boomt das Geschäft, allen voran der Markt für medizinisches Cannabis. Seit 2017 dürfen Ärzte Cannabis auf Rezept verschreiben für Patienten mit schweren Erkrankungen wie etwa Multiple Sklerose, allerdings mit einigen Hürden. Seit 2024 gilt die Pflanze nicht mehr als Betäubungsmittel, weswegen medizinisches Cannabis von nahezu allen Ärzten verschrieben werden kann. Sei es bei Schlafstörungen, Stress oder ADHS.

Wie rapide die Nachfrage in Deutschland gestiegen ist, zeigt ein Blick auf die Importzahlen. Nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sind die Einfuhren im zweiten Quartal 2024 sprunghaft angestiegen und haben sich bis zum Jahresende beschleunigt. Im vierten Quartal wurden laut BfArM 31,7 Tonnen getrocknete Blüten importiert, fast viermal so viel wie im ersten Quartal (8,1 Tonnen). Das meiste Cannabis kommt dabei aus Kanada und Portugal.

Davon profitieren vor allem Unternehmen im Telemedizin-Bereich wie etwa das Frankfurter Start-up Bloomwell, das auch auf der Messe vertreten ist. Niklas Kouparanis und seine Schwester gründeten 2020 das Unternehmen mit derzeit rund 50 Mitarbeitern. Das Geschäftsmodell: Wer medizinisches Cannabis will, registriert sich auf der Plattform und erhält eine digitale Sprechstunde mit einem Arzt, der das Gras verschreibt. Das Rezept kann man dann in einer Apotheke einlösen.

Cannabis auf Rezept wird immer beliebter

Für Bloomwell läuft es gut: Laut eigenen Angaben sind die Verschreibungen zwischen März und Dezember 2024 um 1000 Prozent gestiegen, seit der Gründung 2020 fanden bereits über 500 000 Behandlungsgespräche statt. Doch dieses Geschäftsmodell steht in der Kritik: Konsumenten könnten eigene Leiden erfinden, um von den Ärzten ein Rezept zu bekommen, heißt es. Werden manche Kunden auf der Plattform überhaupt abgelehnt? „Das passiert auch“, sagt der Geschäftsführer Kouparanis. Wie oft das tatsächlich vorkommt, sagt er nicht. „Es ist nicht unsere Aufgabe, die Entscheidung der Ärzte zu beeinflussen. Wir stellen nur die digitale Infrastruktur bereit.“ Wer sich auf Bloomwell anmeldet, muss einen Fragebogen ausfüllen. Dadurch finde bereits eine Vorauswahl statt. Die rund 60 Ärzte, die mit Bloomwell arbeiten, entscheiden dann, ob sie das Rezept ausstellen.

Die neue Koalition betrachtet Kouparanis „relativ neutral“. Er ist zuversichtlich, dass sich im medizinischen Bereich nicht so viel ändern wird. Auch die CDU/CSU-Fraktion hatte 2023 in einem Antrag gefordert, Patienten mit Cannabis-Arzneimitteln besser zu versorgen.

Dass hier großes Potenzial liegt, sehen viele an den Ständen genauso. Einige berichten, dass deutlich mehr Apotheker vor Ort seien als im Vorjahr. Zum Abschluss des ersten Konferenztages gibt es sogar eine exklusive Netzwerkveranstaltung, die Pharmavertreter und die Cannabis-Unternehmer zusammenbringen soll. Der Preis für die rund anderthalb Stunden: knapp 300 Euro. Das Schmuddel-Image von Cannabis scheint Vergangenheit zu sein – zumindest hier.

Schwieriger sieht es aber für den Freizeitmarkt aus, sprich, der private Anbau in Cannabis Social Clubs. Dort erwarten einige Redner und Teilnehmer am ehesten noch Nachjustierungen oder sogar Verbote. Von einem Boom kann man hier wahrlich nicht sprechen: Von rund 624 solcher Vereine haben nur rund 211 bislang eine Lizenz erhalten. Erst vergangene Woche hat Bayern die ersten drei Cannabis Social Clubs genehmigt. „Die Anbauvereine haben auf jeden Fall ihre Daseinsberechtigung“, meint der Unternehmer Kouparanis. „Sie bleiben eher etwas für die Liebhaber.“

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