Süddeutsche Zeitung

Burka-Verbot in Kraft:Schleierfahndung nach Schweizer Art

  • Seit dem 1. Juli gilt im Tessin ein Verbot, sich im öffentlichen Raum zu verhüllen. Das "Anti-Burka-Gesetz" - das allgemein die Gesichtsverschleierung umfasst, also sowohl die Burka als auch der unter arabischen Touristinnen üblichere Niqab - wurde 2013 per Volksabstimmung beschlossen.
  • Bis zu 10 000 Franken können an Strafe fällig werden.

Von Charlotte Theile, Zürich

Es sind schlechte Nachrichten für den Tourismus im südlichsten Kanton der Schweiz: Seit dem 1. Juli gilt dort ein Verbot, sich im öffentlichen Raum zu verhüllen. Das "Anti-Burka-Gesetz" wurde 2013 per Volksabstimmung beschlossen. Seit einigen Tagen müssen die Tessiner Polizisten es durchsetzen. Michele Bertini, FDP-Stadtrat und Polizeidirektor in Lugano, hat sich mit Flugblättern in arabischer Sprache auf die neue Aufgabe vorbereitet. Zudem habe ein "interkultureller Mediator" das Polizeikorps im Umgang mit verschleierten Frauen geschult. Einfach dürfte es trotzdem nicht werden: 98 Prozent der Polizisten in Lugano sprechen kein Englisch. Von Arabisch ganz zu schweigen.

Die Bußen, die Schleierträgerinnen drohen, sind gewaltig: Bis zu 10 000 Franken, umgerechnet etwa 9200 Euro, können fällig werden. Das Gesetz richtet sich besonders gegen Touristinnen aus dem arabischen Raum. Von den 350 000 Einwohnern des italienischsprachigen Kantons sind etwa siebzig Prozent römisch-katholisch. Muslime gibt es kaum. Reisende aus dem Nahen Osten kommen dagegen immer wieder in die sogenannte "Sonnenstube der Schweiz" - allein in der Stadt Lugano zählt man 40 000 Übernachtungen pro Jahr.

Signalwirkung

Die Wertschöpfung dahinter ist gewaltig. In der Hotellerie sollen die Gäste aus dem Nahen Osten jedes Jahr 19 Millionen Franken umsetzen.

Das Burka-Verbot könnte nun Signalwirkung haben. Für den kriselnden Tessiner Tourismus, der wie alle Schweizer Destinationen unter dem starken Franken leidet und ohnehin in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung verloren hat, ist das schwierig. Dem Rückgang bei den Übernachtungszahlen aus den Nachbarländern versucht man durch offensive Werbung in anderen Teilen der Welt entgegenzuwirken. Ganz oben auf der Liste: Reisende aus dem Nahen und Fernen Osten. Doch gegen ein klares Votum der Bevölkerung - mehr als 65 Prozent der Tessiner stimmten für das Gesetz - möchte sich niemand stellen.

Man respektiere den Willen des Souveräns, heißt es von Ticino Turismo, rechne aber damit, dass "weibliche Gäste, die ihr Gesicht verhüllen wollen", den Kanton meiden würden. Wie groß die wirtschaftlichen Schäden für den Tourismus, der gut zehn Prozent der kantonalen Wertschöpfung generiert, sein werden, könne man noch nicht absehen. Der Anteil der Gäste aus den Golfstaaten an den Übernachtungen beträgt 2,1 Prozent.

Das Gesetz aus dem Tessin könnte zum Vorbild für die ganze Schweiz werden. Ein nationales Komitee sammelt seit einigen Monaten Unterschriften, um das Tragen Gesichtsverschleierungen im ganzen Land verbieten zu lassen. Unter den Unterstützern sind Politiker der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei und der rechtspopulistischen Lega dei Ticinesi, die das Verbot bereits im Tessin unterstützt hatte. Norman Gobbi, Lega-Politiker und Justizdirektor des Kantons Tessin, ist sich der ökonomischen Konsequenzen des Verbots durchaus bewusst. Er gehe davon aus, dass einige Touristinnen ins nahe gelegene Como in Italien ausweichen werden, sagte er einige Wochen vor der Einführung.

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SZ vom 06.07.2016/hgn
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