Bundesverfassungsgericht:Verfassungsrichter verhandeln über Ceta

President of Germany's Constitutional Court Vosskuhle puts his hat back on after explaining verdict on ESM in Karlsruhe

Symbol-Collage: Ein Ceta-Schriftzug auf dem Barett des Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle.

(Foto: REUTERS)
  • Am Mittwoch beginnt vor dem Bundesverfassungsgericht die Verhandlung über das Freihandelsabkommen Ceta mit Kanada.
  • Die Kläger haben eine bisher einmalige Zahl an Beschwerden mobilisiert - in Karlsruhe dürfte die schiere Masse aber nicht entscheidend sein.
  • Es gibt allerdings auch einige Argumente, die die höchsten Richter an dem Abkommen zweifeln lassen könnten.

Von Wolfgang Janisch

Massenklagen sind am Bundesverfassungsgericht ja nicht ganz neu, aber die Kursentwicklung ist schon beeindruckend. Beim Volkszählungsurteil von 1983 hatte man - so freute sich einst der Datenschützer Spiros Simitis in der Rückschau - die "wahrhaft astronomische Zahl von 1310 Beschwerden" erreicht. Beim Thema Vorratsdatenspeicherung vor ein paar Jahren waren es dann etwa 35 000. Dieses Mal, bei Ceta, überbieten sich die Rekorde: Erst konnte eine Flötenlehrerin 68 000 Bürger hinter sich versammeln, dann setzte das mobilisierungsmächtige Trio aus Campact, Foodwatch und Mehr Demokratie mit 125 000 Beschwerden noch eins drauf. Auch wenn in Karlsruhe nicht die Macht der Zahlen, sondern der Argumente gilt: Schon jetzt haben die Kritiker einen beachtlichen Erfolg erzielt. Denn der Zweite Senat des Gerichts hat ungewöhnlich rasch für diesen Mittwoch eine mündliche Verhandlung und tags darauf einen Urteilstermin angesetzt, um noch vor der für Ende Oktober geplanten Unterzeichnung wenigstens über die Eilanträge zu entscheiden.

Die prompte Reaktion der hohen Richter deutet darauf hin, dass sie im komplexen Ceta-Vertragswerk zum Freihandel zwischen der EU und Kanada ein verfassungsrechtliches Problem entdeckt haben; eines, das man lösen möchte, bevor die Bundesregierung dem Abkommen im Europäischen Rat zustimmt und mit einer vorläufigen Anwendung Fakten geschaffen werden.

Kläger wollen eigene Gerichtsbarkeit zum Investitionsschutz verhindern

Aus Sicht der Ceta-Gegner steht der Investitionsschutz im Zentrum der Kritik und die dafür geplante Gerichtsbarkeit. Das Argument lautet: Schadenersatzurteile zulasten der Staaten und zugunsten der Investoren gefährden die Demokratie, weil der nationale Gesetzgeber dann nicht mehr unbefangen den Umwelt-, den Gesundheits- oder den Verbraucherschutz regeln kann. Anders als seinerzeit bei den großen Datenschutzklagen wendet sich der Protest also nicht gegen den Staat, er tritt vielmehr für seine Stärkung ein. "Wir kämpfen nicht gegen freien Handel, sondern sind dagegen, dass Gesetze künftig von VW und Monsanto gemacht werden", rief Foodwatch-Chef Thilo Bode bei einer Kundgebung der Menge zu. Die Staaten sind diesmal also die Guten. Nicht von ungefähr steht auch der Deutsche Richterbund in den Reihen der Kritiker.

Nun kann man in der Tat der Meinung sein, dass eine eigene Investitionsschutzgerichtsbarkeit überflüssig ist oder - wie der Richterbund meint - quer zu einem System nationaler und europäischer Gerichtsbarkeit steht. Richtig ist wahrscheinlich auch, dass solche Gerichte die Interessen der Unternehmen im Auge haben; eine gewisse Voreingenommenheit für den Investorenschutz dürfte zu ihrer DNA gehören. Dass damit aber eine Welle von Schadenersatzforderungen auf Deutschland zukäme, noch dazu in einer Höhe, die den Gesetzgeber aus Rücksicht auf den Haushalt handlungsunfähig machte, das ist zweifelhaft. Der Bielefelder Rechtsprofessor Franz Mayer, der die Bundesregierung in Karlsruhe vertritt, verweist darauf, dass die Schutzstandards klar formuliert und die Hürden für eine Verurteilung hoch seien. Hinzu kommt: Der Schutz öffentlicher Interessen ist im Vertrag ausdrücklich erwähnt, nämlich Gesundheit, Sicherheit, Umwelt und Verbraucherschutz. Die bloße Tatsache, dass sich eine Gesetzesänderung negativ auf eine Investition auswirke, stelle keine Verletzung des Investorenschutzes dar, heißt es in dem Vertrag. Dass dies nicht nur Lyrik sein soll, wollen EU und Kanada in einer Zusatzerklärung versichern, die für die Auslegung künftiger Streitigkeiten eine gewisse Relevanz hätte.

Doch auch wenn man die Investitionsschutzgerichte kritisch sieht: Verfassungswidrig wären sie nur, wenn das Demokratieprinzip in seiner Substanz beschädigt oder - wie Bernhard Kempen, juristischer Vertreter der 125 000er-Klage meint - das Rechtsprechungsmonopol des Staates verletzt wäre. Ob aber ein Investitionsschutzgericht, das ja rechtsstaatlicher konstruiert ist als herkömmliche Schiedsgerichte, derart ans Herz des Rechtsstaats rührt?

Das Gericht könnte eine seiner Ja-aber-Entscheidungen fällen

Die Investitionsschutzgerichte sollen von der vorläufigen Anwendbarkeit von Ceta ohnehin ausgenommen werden, deshalb dürfte vermutlich ein anderes Thema im Zentrum dieser Verhandlung stehen. Der Vertrag installiert ein Ausschusswesen, das von einem "Gemischten Ausschuss" regiert wird - eine Art Ceta-Zentralkomitee. Dieser Ausschuss hat, so sehen es Kritiker, die Macht, das Abkommen schleichend zu verändern, zum Beispiel durch Annexe und Protokolle oder durch verbindliche Vorgaben, wie bestimmte Regeln des Investitionsschutzes zu interpretieren sind. Mit einer derart großzügigen Delegation eigener Befugnisse könnte die EU aber außerhalb ihrer Zuständigkeiten gehandelt haben. Die Karlsruher Formel dafür lautet "ultra vires". Und die Richter werden bei diesem Thema sehr hellhörig. Denn letztlich geht die EU an der Leine ihrer Mitgliedsstaaten - sie sind die "Herren der Verträge". Wenn die EU nun ihrerseits ein Gremium schafft, das sich von dieser Leine löst, könnte das ein Problem sein.

Was aber kann das Gericht unternehmen, so kurz vor den Terminen zum Ratsbeschluss und zur Unterzeichnung? Gewiss, das Verfahren traf das Gericht nicht unvorbereitet, der zuständige Berichterstatter Peter M. Huber hat sich schon während der Sommerferien auf die absehbar eiligen Klagen vorbereitet. Denkbar ist eine der berühmten Ja-aber-Entscheidungen, mit denen das Gericht sich aus der Affäre zieht, wenn es um große Politik geht, die man rechtlich rückbinden, aber nicht unmöglich machen will. Was indes die Karlsruher Bedingungen für ein vorläufiges Inkrafttreten von Ceta sein könnten, ist unklar. Einbeziehung des Bundestags schon vor der Ratifizierung? Vorbehalte, Zusicherungen, Erklärungen? Immerhin, mit vorläufigen Entscheidungen zu großen Verträgen hat das Gericht Erfahrung. Im September 2012 gab das Gericht - vorbehaltlich einer Haftungsobergrenze - den Weg für den Euro-Rettungsschirm frei. Für die vielen Ceta-Gegner wäre diese Art von Lösung vermutlich nicht wirklich befriedigend. Das Freihandelsabkommen könnte dann, wenigstens im Großen und Ganzen, in Kraft treten.

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