Süddeutsche Zeitung

Bundestag:Heißer Sommer in Berlin

Im Juni soll sich der Finanzausschuss mit Änderungen der Regeln für die Lebensversicherer befassen. Diese Regeln garantierten bisher die hohen Zinszusagen, kosten die Branche aber viele Milliarden.

Von Herbert Fromme und Jonas Tauber, Köln / Berlin

Eigentlich mögen sie Giovanni Liverani in der Versicherungsbranche. Der 53-jährige Italiener leitet seit vier Jahren die deutschen Versicherer der italienischen Generali. Der elegante, schlanke Manager ist höflich, fachkundig und verbindlich. Doch zurzeit hat Liverani wenig Freunde. Stattdessen beklagen sich andere Versicherungschefs lautstark über ihn.

Liverani prüft aktuell den Verkauf der stillgelegten Tochtergesellschaft Generali Lebensversicherung in München. Eine Reihe von Abwicklungsspezialisten ist interessiert. Viele seiner Kollegen sind deshalb sauer auf Liverani. Denn der Verkauf von stillgelegten Tochtergesellschaften, die im so genannten Run-off sind, ist für viele Politiker ein rotes Tuch. Da kommt die Generali mit ihren Plänen zur Unzeit: Denn in den kommenden Wochen will die Branche deutliche Erleichterungen in den Bilanzierungsregeln durchsetzen. Da passt das Störfeuer aus München gar nicht.

Der Juni 2018 wird ein entscheidender Monat für die deutschen Lebensversicherer. Denn dann müsste der Finanzausschuss des Bundestages Änderungen bei der sogenannten Zinszusatzreserve (ZZR) anstoßen, damit sie für die Bilanzen des Jahres 2018 noch Wirkung entfalten. Gleichzeitig wird das Gremium wohl einen Bericht des Bundesfinanzministeriums zum Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) von 2014 diskutieren.

Ein heißes Thema dabei sind die hohen Provisionen, die Lebensversicherungskunden zahlen müssen. Jährlich sind das rund sieben Milliarden Euro, die an Makler, Vertriebe und Vertreter gehen. Im LVRG hatte die große Koalition den Versicherern nahegelegt, die Provisionszahlungen auf 2,5 Prozent der insgesamt vom Kunden zu zahlenden Beiträge zu begrenzen. Nur diese Summe dürfen die Gesellschaften laut LVRG in der Bilanz geltend machen.

Doch viele Versicherer hat das nicht gestört: Sie zahlen munter deutlich höhere Provisionen, fünf bis sechs Prozent sind nicht selten - die direkt und indirekt zu Lasten der Kunden gehen. Darüber sind viele Politiker empört. Deshalb wird eine bindende Begrenzung auf 2,5 Prozent diskutiert, ein Provisionsdeckel. Das wiederum empört viele Versicherer. Sie fürchten um ihr Neugeschäft, wenn sie die Vertriebe nicht mit hohen Provisionen begeistern können.

Mancher Politiker möchten gerne das eine mit dem anderen verbinden: ZZR-Änderung ja, aber nur, wenn die Provisionen per Gesetz begrenzt werden. Und in dieser Lage zündelt die Generali mit dem möglichen Run-off-Verkauf.

"Die Kunden wissen meist gar nicht, wie viel Provision sie zahlen", sagt die SPD-Abgeordnete Sarah Ryglewski. Hier könne ein Provisionsdeckel für Transparenz sorgen. "Von daher halte ich das für einen guten Vorschlag." Zustimmung kommt von der CDU. "Wenn man einen Deckel einziehen würde, wäre das womöglich auch im Sinn der Branche", sagt der Abgeordnete Carsten Brodesser. Schließlich habe es in der Vergangenheit bei der privaten Krankenversicherung (PKV) regelrechte Erpressungen von Anbietern durch Finanzvertriebe gegeben. Mit Einführung eines Provisionsdeckels in der PKV sei es der Politik gelungen, gegenzusteuern. Vielleicht klappt das auch in der Lebensversicherung, hoffen viele Politiker. Dem Grünen Schick geht das nicht weit genug: "Ich bin inzwischen der Meinung: Wir brauchen ein Provisionsverbot." Der provisionsgetriebene Vertrieb sei einer der Ursachen für die aktuellen Probleme der Branche, argumentiert Schick. Sie habe es trotz einer jahrelangen Diskussion nicht geschafft, zu einer guten Beratung im Sinne des Kunden zu kommen.

Natürlich haben die Politiker das Provisionsproblem im Kopf, wenn es um die von der Branche geforderten Erleichterungen bei der milliardenschweren Zinszusatzreserve geht. Das 2011 auf Initiative der Versicherer ins Leben gerufene Instrument soll eigentlich sicherstellen, dass die Lebensversicherer die versprochenen Zinsgarantien von bis zu vier Prozent trotz der Niedrigzinsen erfüllen können. Aber jetzt ist es zur Last geworden, die Branche drängt auf Änderungen.

"Mit den hohen Garantien haben die Versicherer Kunden geködert."

Die Fachpolitiker aus der Regierungskoalition wollen sich zur ZZR nicht festlegen. "Dem will ich nicht vorgreifen", sagt die Sozialdemokratin Ryglewski mit Blick auf die anstehende Debatte im Finanzausschuss. Natürlich stelle die Reserve aus Sicht der Branche eine Belastung dar, allerdings seien die Lebensversicherer an der Situation nicht unschuldig. "Mit den hohen Garantien haben die Versicherer Kunden geködert", betont Ryglewski.

Auch Brodesser vom Koalitionspartner CDU hält sich die Entscheidung offen. "Da habe ich kein Dogma im Kopf, da ist Sachverstand nötig", sagt er. Vor einer Entscheidung des Finanzausschusses sollten Versicherungsmathematiker gehört werden.

Für eine informierte Entscheidung über eine Änderung der Reserve fehlen Schick von den Grünen die nötigen Informationen. "Wir machen keine Änderung auf Zuruf der Branche", formuliert Schick die Position seiner Partei. "Noch fehlen eindeutige Daten." So sei die Frage offen, ob die derzeit geltenden Regeln die gesamte Lebensversicherungsbranche belasten oder lediglich einzelne Anbieter.

Auch bei der FDP herrscht Skepsis. "Das ist eigentlich eine Wahl zwischen Pest und Cholera", sagt der Abgeordnete Frank Schäffler dazu, ob die Befüllung der Reserve verlangsamt werden sollte oder nicht. "Wenn wir nichts ändern, kriegen wir bei einzelnen Anbietern vielleicht Probleme." Andererseits handele sich bei der Frage letztlich nur um ein Symptom des eigentlichen Problems der Niedrigzinsen. Er erwartet, dass die Regierung eine mögliche Erleichterung von Zugeständnissen bei der Begrenzung der Provisionszahlung an die Vertriebe abhängig machen wird.

Der Oppositionspolitiker sieht außerdem gesetzlichen Handlungsbedarf im Umgang mit dem externen Run-off, wie Signore Liverani von der Generali ihn prüft. Schäffler will klipp und klar ausschließen, dass Versicherer diesen Weg gehen und anschließend befreit von den Lasten und unter anderem Namen wieder Lebensversicherungen verkaufen. "Das wäre derzeit wohl möglich", so Schäffler.

Ein externer Verkauf dürfe nicht zu Lasten der Kunden gehen, und mögliche Gewinne müssten mit ihnen geteilt werden, sagt Ryglewski von der SPD. CDU-Mann Brodesser sieht dagegen keinen Bedarf nach strengeren Vorschriften. "Ich habe den Eindruck, dass die Regeln ausreichen und die Aufsicht funktioniert", sagt er. Allerdings warnt er vor dem Vertrauensverlust in Folge eines Verkaufs. "Es gibt eine emotionale Seite der Medaille."

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Quelle:
SZ vom 18.05.2018
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