Es war nur eine kleine Nachricht in der vergangenen Woche, aber sie hat große symbolische Bedeutung: Die Finanzagentur, die für das Schuldenmanagement der Bundesrepublik zuständig ist, teilte mit, dass sie zum Jahresende die sogenannte Tagesanleihe einstellt. Privatkunden konnten ihr Geld dort zu einem marktüblichen Zins, bequem und vor allem gebührenfrei anlegen. Damit verabschiedet sich der Bund endgültig aus dem Privatkundengeschäft, das einmal etwas Alltägliches war. Mit der Tagesanleihe stirbt auch ein Stück alte Bundesrepublik.
Alles fing im Jahr 1969 an, als der Bund erstmals Bundesschatzbriefe anbot. Damit besorgte er sich von seinen Bürgern direkt Geld und zahlte ihnen einen Zins dafür. Vorher war das für Privatanleger nur über Banken und Börse möglich, zum Beispiel indem sie Bundesanleihen kauften. Bundesschatzbriefe gab es in zwei Formen: "Typ A" lief über sechs Jahre mit ansteigender Verzinsung, "Typ B" über sieben Jahre mit sich ansammelnder Verzinsung. Außerdem gab es Finanzierungsschätze mit ein und zwei Jahren Laufzeit. Bei der Bundesschuldenverwaltung ließen sich die Papiere kostenlos verwahren. Die Zinsen orientierten sich am Markt, und da es in früheren Jahrzehnten noch Zinsen gab, wurden die Bundeswertpapiere schnell populär.
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Die Deutschen nannten sie "Schätzchen"
Bundesschatzbriefe wuchsen den Bundesbürgern sogar so sehr ans Herz, dass sie verniedlichend "Schätzchen" genannt wurden. Die Konditionen für die einzelnen Papiere hingen in jeder Bank aus, sie waren so etwas wie die Ankerdaten des Privatkundengeschäfts. Seinen Höhepunkt erreichte das Interesse an den Bundeswertpapieren in der Hochzinsphase der 1990er-Jahre. Die Abendzeitung titelte damals in Anspielung an den Kult-Film aus den 1960er-Jahren mit Uschi Glas: "Zur Sache, Schätzchen: Fünf Prozent sind locker drin."
Der Boom überdauerte auch die Jahrtausendwende und die Einführung des Euro. Im Jahr 2008 ging der Bund noch einmal in die Offensive und schuf als Werbefigur eine Schildkröte namens "Günther Schild". Gleichzeitig führte er die Tagesanleihe ein, mit der Bürger, ähnlich wie Tagesgeld bei der Bank, Geld parken und jeden Tag abheben konnten. Der Zins orientierte sich am europäischen Vergleichszinssatz EIOPA. Der große Vorteil war, dass es keine Gebühren kostete. Die Banken waren nicht glücklich über die neue Konkurrenz.
Der Ausbruch der Finanzkrise durch die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 sorgte für starken Zulauf zur Tagesanleihe. Die Bundesbürger trauten den Banken nicht mehr, beim Staat schienen ihnen ihre Ersparnisse sicherer. Auf dem Höhepunkt, Ende des Jahres 2008, befanden sich 3,2 Milliarden Euro in der Tagesanleihe.
Die Folgen der Finanzkrise führten aber dazu, dass das Geschäft für den Bund immer unrentabler wurde: Die Zinsen sanken gegen Null, für Bundesanleihen teilweise sogar ins Negative. Das heißt: Wenn der Staat Anleihen ausgibt, zahlen ihm Anleger dafür noch Zinsen, statt welche zu bekommen. Bundesschatzbriefe oder Finanzierungsschätze auszugeben, lohnte sich nicht mehr, der Verwaltungsaufwand war dafür zu hoch. Deshalb schuf der Bund für die Bürger schon 2013 die Möglichkeit ab, solche Papiere zu kaufen. Die Werbefigur "Günther Schild" wurde eingemottet.
Die Tagesanleihe aber lief weiter. Privatkunden konnten darin zwar kein neues Geld mehr anlegen, aber zum Beispiel die Zinsen, die sie aus Staatsanleihen erhielten. Der Zinssatz liegt schon länger bei 0,0 Prozent. Derzeit befinden sich noch knapp eine Milliarde Euro auf 23 000 Konten. Die Finanzagentur schrieb die Kunden nun an, dass sie das Geld bis Ende des Jahres auf ein anderes Konto übertragen müssten. Anlass ist auch, dass die letzten, 2012 ausgegebenen Bundesschatzbriefe dann auslaufen. Die Tagesanleihe - und mit ihr das gesamte Privatkundengeschäft des Bundes - gehört dann der Geschichte an. Große praktische Bedeutung hatte die Tagesanleihe nicht mehr, da ohnehin kein neues Geld mehr darin geparkt werden konnte.
Und was machen die Mitarbeiter der Finanzagentur ohne die Tagesanleihe, werden sie jetzt arbeitslos? "Es gibt noch genug zu tun", sagt eine Sprecherin. Schließlich ist die Bundesrepublik mit knapp zwei Billionen Euro verschuldet, meist in Form von Bundesanleihen. Und die wollen auch verwaltet werden.