Die deutsche Industrie beschäftigt den Kanzler gerade sehr. In Papenburg ist die Meyer-Werft zu retten. Bei Volkswagen gehen Krisenängste um, bei ThyssenKrupp ebenfalls. Der deutschen Industrie, so hat BDI-Präsident Siegfried Russwurm dieser Tage festgestellt, drohe der Abrutsch.
Diesen Donnerstag ist Olaf Scholz zu Gast bei der chemischen Industrie, noch so einem in Teilen gebeutelten Wirtschaftszweig. Es wird, so viel kann gesagt werden, eine Flucht nach vorn. „Chemie ist der Anfang von allem“, sagt der Kanzler, ohne Chemie gebe es quasi keine Industrie. Und deshalb soll es nun vor allem um das gehen, was Scholz noch so alles anpacken will. Da wären etwa die Stromkosten, eine der großen Sorgen auch der Chemieindustrie.
Gerade Unternehmen mit großem Verbrauch profitieren derzeit von reduzierten Netzentgelten – auch dann, wenn sie unflexibel immer gleich große Strommengen abnehmen. Die entsprechende Sonderregel, so verspricht Scholz, werde man verlängern. Oder da wäre auch die Suche nach Kapital. Zu viele junge Unternehmen zögen aus Europa ab, weil sie nicht genug Geldgeber finden. Der Kapitalmarkt werde in Europa immer noch zu sehr als Sache der Banken betrachtet. „Das ist etwas, was wir ändern müssen“, sagt der Kanzler.
„Wir brauchen Mut, Unternehmergeist und Zuversicht“, sagt er. „Und wir müssen unsere Weltoffenheit verteidigen“– schließlich lebe ein Exportland von einer vernetzten Weltwirtschaft. Da wären deshalb auch Freihandelsabkommen. Scholz möchte mehr davon, doch zuletzt wuchsen auch in manchen EU-Staaten die Widerstände. „Wir haben die Kompetenz dafür nicht an die EU abgegeben, damit keine mehr abgeschlossen werden“, sagt Scholz. Eben erst habe er sich mit anderen Staats- und Regierungschefs deswegen an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gewandt.
Er erntet Applaus dafür, ebenso für seine Absage an ein „Totalverbot“ von Ewigkeitschemikalien, den sogenannten PFAS. Zwar plant derzeit niemand, sie komplett zu verbieten. Doch die Industrie hat Angst, dass sie künftig mit diesen sehr langlebigen Chemikalien nicht mehr arbeiten darf. „Für viele gibt es aber keinen Ersatz“, hat Scholz gelernt. „Wo es noch keine Alternative gibt, muss der Einsatz möglich bleiben.“ Auch diese Debatte läuft vor allem in Brüssel.
Wenn die Stimmung in der Industrie derzeit übel ist, dann ist Scholz’ Strategie: dagegenhalten. „Was für ein Wunder, dass Deutschland mit 84 Millionen Einwohnern unter acht Milliarden Menschen aktuell die drittgrößte Volkswirtschaft ist“, ruft er aus. „Man muss doch mindestens einmal im Monat, zumindest ganz kurz, noch einmal ein Gefühl dafür haben, was für eine irre Sache das ist!“ Für einen Moment wirkt es, als sei alles eine Frage der Perspektive.