Bundeshaushalt:Lindner ringt um "Wahrheit und Klarheit"

Bundeshaushalt: Bundesfinanzminister Christian Lindner

Bundesfinanzminister Christian Lindner

(Foto: IMAGO/Xander Heinl/IMAGO/photothek)

Der Bundesrechnungshof rügt den Finanzminister für die Finanzierung seines Energie-Schutzschirms. Doch der sieht sich im Recht. Wer hat nun die Verfassung auf seiner Seite?

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Zu den beliebten Schlagwörtern der Haushaltspolitik zählt die Transparenz, der Gedanke also, dass das Zahlenwerk der Bundesregierung die tatsächliche Finanzlage des Landes stets nachvollziehbar und unzweideutig widerspiegeln sollte. Das bedeutet allerdings nicht, dass zwei Menschen oder Behörden, die eben jene Transparenz einfordern, auch tatsächlich dasselbe darunter verstehen. Im Gegenteil: Manchmal liegen die Anschauungen und Definitionen so weit auseinander, dass man meinen könnte, die Konfliktparteien lebten auf unterschiedlichen Planeten.

Jüngstes Beispiel ist der Streit zwischen dem Bundesrechnungshof und Finanzminister Christian Lindner (FDP) über den 200 Milliarden Euro umfassenden Schutzschirm gegen die hohen Energiepreise: Die Bonner Zahlenprüfer halten Lindners Planungen für verfassungswidrig und für in höchstem Maße intransparent, der Minister hingegen kontert, er wolle das Sondervermögen überhaupt nur schaffen, um dem Haushaltsgrundsatz der "Wahrheit und Klarheit" in vollem Umfang Rechnung zu tragen. Wer hat nun Recht?

Der Rechnungshof kritisiert, dass der Bund die 200 Milliarden Euro bereits in diesem Jahr aufnehmen oder sich zumindest die entsprechenden Kreditermächtigungen verschaffen will, obwohl die Hilfen für Bürger und Betriebe teilweise erst 2023 und 2024 fließen sollen. Eine solche Darlehensbeschaffung "auf Vorrat" verstoße gegen den verfassungsmäßigen Grundsatz der "Jährlichkeit", jene Vorschrift also, die besagt, dass der Haushaltsplan stets für ein Kalenderjahr aufgestellt wird und Einnahmen und Ausgaben nach Ablauf dieser zwölf Monate immer ausgeglichen sein müssen. Damit soll sichergestellt werden, dass der Bundestag seine Kontrollfunktion auch wirklich ausfüllen kann. Zudem fordern die Rechnungsprüfer, dass der Schutzschirm ohne Umwege direkt aus dem normalen Bundeshaushalt und nicht, wie von Lindner geplant, über ein sogenanntes Sondervermögen finanziert wird.

Der Minister hingegen argumentiert genau anders herum: Den schon seit der Corona-Krise bestehenden Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) - jenes erwähnte Sondervermögen also - zu nutzen, sei "ständige Staatspraxis", die nicht die jetzige Koalition erfunden habe und "von der die Bundesregierung sicher ist, dass sie nicht nur verfassungsrechtlich verantwortbar ist, sondern in diesen Zeiten auch ökonomisch notwendig", sagte der FDP-Chef im ZDF. Schließlich dürfe es die Politik nicht hinnehmen, dass Menschen die Gasrechnung nicht mehr bezahlen könnten oder gesunde Betriebe in Konkurs gehen müssten. Im Übrigen sei es gerade ein Beitrag zu mehr Transparenz, wenn die regulären Staatsausgaben im Haushalt gebündelt, von der Schuldenbremse begrenzt und von einmaligen Krisenhilfen separiert würden. "Wir trennen das, was die Krise von uns verlangt, von allgemeinen politischen Wünschen und Vorhaben", erklärte Lindner.

Dass bei dieser Argumentation neben dem Rechnungshof auch die Opposition nicht mitgeht, liegt in der Natur der Sache. Der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Christian Haase, etwa sagte, man dürfe sich über den Aspekt der Verfassungswidrigkeit "nicht einfach hinwegsetzen". Stattdessen müssten notwendige Kredite in diesem Jahr in einem weiteren Nachtragshaushalt und 2023 im Kernhaushalt verbucht werden. Was der Zahlenexperte jedoch vergaß zu erwähnen: Die Übernahme nicht genutzter Kreditermächtigungen von einem Haushaltsjahr ins nächste ist gängige Praxis. Und: Geschaffen wurde der Wirtschaftsstabilisierungsfonds 2020 tatsächlich nicht von der Ampel, sondern noch von der großen Koalition, also unter Federführung von Haases CDU.

Kurzum: Transparenz in der Haushaltspolitik ist wichtig - und oft eine Frage des Standorts.

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