Süddeutsche Zeitung

Haushaltsdebatte:Der Bundestag muss endlich aufwachen

Die Abgeordneten nehmen viel zu viel stillschweigend hin. Sie müssen die Regierung dringend besser kontrollieren - und aufhören mit den ewigen Scheindebatten.

Kommentar von Cerstin Gammelin, Berlin

Wenn sich in dieser Woche der Bundestag mit dem Haushaltsplan für das Jahr 2019 beschäftigt, stehen die Abgeordneten vor einer komplizierten Aufgabe. Das Budget weckt immer mehr Begehrlichkeiten, weil das Geld im Übermaß vorhanden zu sein scheint. Die Regierungskoalition sieht das naturgemäß anders. Sie hat weitestgehend vorgegeben, was mit den Einnahmen zu tun ist. Das könnte man jetzt als normalen Streit in einer Demokratie abtun. Nur, das wäre deutlich zu kurz gegriffen. Was die Sache jetzt deutlich komplizierter macht, ist die Stimmung in den Wahlkreisen, wo der Glaube an die Regierungsparteien in Berlin erodiert. Die Umfragen spiegeln es wider. Das wirft die Frage auf, ob die Haushaltspolitiker des Bundestages noch so weitermachen können wie bisher.

Wer sich ernsthaft Sorgen um die parlamentarische Demokratie macht, kann darauf nur ein entschiedenes Nein entgegnen. Erinnert sich noch jemand daran, dass die Haushaltsdebatte einst die Königsdisziplin des Parlaments war? Die Opposition lieferte eine Generalabrechnung ab, Haushaltspolitiker nutzten die Gelegenheit, die Pläne der Regierung zu kontrollieren und eigene Ideen einzubringen. Und heute? Man redet, aber weitgehend folgenlos. Es scheint in Vergessenheit geraten zu sein, dass es die Haushaltspolitiker sind, die das exklusive Recht haben, über alle Gesetze zu entscheiden, die dazu führen, dass der Bund mehr Geld ausgibt oder weniger einnimmt. Erst das Ausüben dieses Rechts macht den Deutschen Bundestag zum wirklichen Gesetzgeber.

Die eingeschlafene Debattenkultur im Bundestag mag in diesen Tagen zur Unruhe im Land beitragen. Die Bürger sehen, dass der Bundesfinanzminister die großen Batzen im Haushalt verteilt, dass das Kabinett den Haushaltsentwurf beschließt. Bei Streitigkeiten gibt es Gipfel im Kanzleramt oder eine Sitzung des Koalitionsausschusses. Und die Abgeordneten? Die nehmen vieles hin. Sie murren zwar, wenn sie nichts von den neuen Fördertöpfen halten oder von der Mütterrente - richtig aufbegehren, das tun sie aber nicht. Der Vorwurf ist vor allem den Fraktionen der Regierungsparteien zu machen. Sie könnten mit ihrer Mehrheit die Koalition zum Nachbessern zwingen, geben sich aber lieber als langer Arm der Regierung denn als deren Kontrolleur.

Die Haushaltsberatungen sind viel zu lange nach dem gleichen starren Schema abgelaufen, nach dem Fraktionsvorsitzende gewählt werden. Die Chefs schlagen einen Kandidaten vor, man wählt ihn. So umgehen die Politiker den Wettbewerb, den sie anderswo einfordern. Selbst kleine Aufstände wie der zweier Abgeordneter der Unionsfraktion, die sich an die Kanzlerin gewandt hatten mit der Bitte, den Ländern nicht immer mehr Milliarden zu überweisen, sind selten. Besonders bedauerlich ist, dass die beiden Mutigen nach der Absage von oben nicht etwa Gleichgesinnte suchten, sondern den Aufstand absagten.

Es ist höchste Zeit, dass der Bundestag wieder zeigt, wie mächtig das Parlament ist, und die Regierung kontrolliert, statt ihr nur diszipliniert zu folgen. Abgeordnete, die sich das nicht trauen, sollten ihren Platz Kollegen überlassen, die mutig genug sind, jene Kontrolle auszuüben, die ihnen in der parlamentarischen Demokratie zusteht. Das ist in unruhigen Zeiten wie diesen bitter nötig.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2018/vit/cat
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