Süddeutsche Zeitung

Bundesgerichtshof:Kranksein wird günstiger

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Steuerzahler dürfen jetzt mehr Ausgaben für Krankheit und Pflege absetzen. Ein Entscheid des Bundesgerichtshofs kann einige Hundert Euro im Jahr sparen.

Von Berrit Gräber, München

Die einen brauchen Brille und Hörgerät. Die anderen Zahnimplantate, Einlagen, Osteopathie, Bestrahlung, Krankengymnastik: Fast jeder muss viel Geld ausgeben für die Gesundheit. Oft auch noch für Pflege, Unterhalt an den Ex-Gatten oder für eine Beerdigung. Wer solche außergewöhnlichen Belastungen steuerlich geltend machen will, scheiterte bislang häufig an der Hürde des zumutbaren Eigenanteils. Jetzt können Millionen Steuerbürger das Limit früher knacken und mehr absetzen: Der Bundesfinanzhof (BFH) in München verpflichtete den Fiskus überraschend zu einer neuen Berechnungsweise (Az: BFH VI R 75/14). "Wer mehr als 15 341 Euro Einkünfte im Jahr hat, kann profitieren", erläutert Uwe Rauhöft, Geschäftsführer des Bundesverbands Lohnsteuervereine (BVL). Sein Rat: Das neue Urteil bereits bei der Steuererklärung für das Jahr 2016 anwenden.

Was gilt?

Jeder Bürger muss erst einmal selbst für seine Krankheits- und Pflegekosten aufkommen. Nur wenn der zumutbare Eigenanteil überschritten wird, hilft der Fiskus mit. Ausgaben darüber drücken dann als außergewöhnliche Belastung die Steuerlast. Die Hürde, die es zu nehmen gilt, ist nicht für alle gleich hoch. Das persönliche Limit richtet sich vor allem nach dem Jahreseinkommen (Bruttoverdienst plus Einkünfte beispielsweise aus Vermietung oder Verpachtung minus Werbungskosten). Maßgebend sind aber auch Familienstand und Kinderzahl. Je höher das Einkommen und je weniger Kinder man hat, desto weniger wirkt sich der Steuervorteil aus. Alle Verfahren, einen Steuervorteil mit Krankheitskosten schon ab dem ersten Cent zu erreichen, sind bislang vor dem BFH gescheitert. "Der BFH hat das Gesetz jetzt anders ausgelegt und für mehr Steuergerechtigkeit gesorgt", sagt Rauhöft.

Wie wird gerechnet?

Das eigene Limit abklären war bislang nicht schwer. Eine Tabelle hilft dabei (siehe Grafik). Der zumutbare Eigenanteil liegt zwischen ein und sieben Prozent der gesamten Einkünfte. Er wird in drei Stufen bemessen: bis 15 340 Euro, bis 51 130 und darüber. Verdiente ein kinderloses Ehepaar beispielsweise zusammen 52 000 Euro im Jahr, musste es bislang 3120 Euro an Krankheitskosten selbst tragen (also sechs Prozent von 52 000). Alle Kosten darüber erkennt das Finanzamt an. Jetzt darf neu gerechnet werden. Laut BFH werden die Einkünfte nun aufgesplittet, also auf die Stufen verteilt. Im Beispielfall heißt das: Für die ersten 15.340 Euro werden vier Prozent Eigenbelastung angesetzt, bis 51.130 Euro sind es fünf Prozent. Erst für die restlichen 870 Euro Einkommen des Paares kommen dann sechs Prozent zum Tragen. "Die Neuregelung kann einen Steuervorteil von einigen hundert Euro bedeuten", betont Isabel Klocke, Steuerexpertin beim Bund der Steuerzahler in Berlin. Es werde jetzt komplizierter, aber letztlich für viele profitabler.

Was tun?

Die Finanzämter müssen das neue BFH-Urteil erst anwenden, wenn es im Bundessteuerblatt amtlich veröffentlicht ist. "Das kann noch dauern", betont Klocke. Wer jetzt über seiner Steuererklärung sitzt, kann aber schon selbst neu rechnen und sein Gesamteinkommen aufsplitten, wenn er hohe außergewöhnliche Belastungen absetzen möchte. "Da müssen alle jetzt erst mal mit der Hand rechnen", so Klocke. Aktualisierte Steuer-Softwareprogramme mit neuen Tabellen gibt es noch nicht. Das BFH-Urteil hat auch die Fachwelt überrumpelt. Schmettert das Finanzamt die Berechnung ab, sollten Betroffene Einspruch einlegen mit Hinweis auf das aktuelle BFH-Urteil, betont Rauhöft. Das ist auch für zurückliegende Jahre möglich - wenn der Steuerbescheid noch nicht rechtskräftig ist.

Was lässt sich absetzen?

Alles, was der Arzt verordnet hat, entweder per Kassenrezept oder blauen respektive weißen Privatrezepten, und was von Kassen oder privaten Versicherungen nicht erstattet wird. Dazu gehört jede Art von Eigenbeteiligung, etwa zu Arznei, Krankengymnastik, digitaler Mammografie, Massage oder zum Aufenthalt in Klinik und Reha. Möglich ist auch, eine selbst finanzierte Brille oder Kontaktlinsen ohne Rezept in der Steuererklärung anzugeben, sagt Klocke. Ansetzbar sind zudem Hilfsmittel wie Zahnspangen, Implantate, Prothesen und orthopädisches Schuhwerk. Ebenso verordnete psychoanalytische oder therapeutische Behandlungen, Krankengymnastik, Therapien beim Sprachheilpädagogen und Heilpraktiker. Die Suchttherapie von Alkoholikern ist ebenfalls absetzbar, genauso wie Ausgaben für eine künstliche Befruchtung, für die Geburt eines Kindes oder für eine Abmagerungskur zur Erhaltung der Gesundheit.

Was geht noch?

Auch der Einbau eines Treppenlifts sowie viele IGEL-Leistungen, also Behandlungen auf Privatrechnung, dürfen in die Steuererklärung. Das Amt erkennt selbst nicht rezeptpflichtige Arznei- und Stärkungsmittel an wie beispielsweise Kopfwehtabletten oder Nikotinpflaster zur Raucherentwöhnung. Hauptsache die Sachen wurden vom Arzt verschrieben. Auch Pflege- und Pflegeheimkosten für die eigenen Eltern können geltend gemacht werden, sofern die Pflegeversicherung die Leistungen nicht übernimmt. Ebenso Unterhaltskosten, Rechnungen für Beerdigung oder Augenoperationen.

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Quelle:
SZ vom 31.03.2017
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