Prämiensparverträge:Bundesgerichtshof prüft Ansprüche von Sparern in Millionenhöhe

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Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe: Das Gericht hat bereits in mehreren Fällen entschieden, dass Zinsänderungsklauseln in Prämiensparverträgen nicht rechtmäßig sind.

(Foto: Richard Wareham/imago images)

Banken und Sparkassen haben die Zinsen in der Niedrigzinsphase gedrückt. Nun können Kunden voraussichtlich Nachzahlungen verlangen. Unklar ist, wie sich diese berechnen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Im großen Sitzungssaal des Bundesgerichtshofs geht es an diesem Mittwoch um viel Geld für Banken - und für Sparer. Der elfte Zivilsenat verhandelt über Prämiensparverträge, wie sie zwischen 1990 und 2010 abgeschlossen wurden. Einst war das eine zwar biedere, aber sichere Form der Geldanlage. Für die Banken und Sparkassen sind diese Verträge mit vergleichsweise hohen Zinsen im Zeitalter der Niedrigzinsen sehr teuer, weshalb sie auf breiter Front die Zinsen gedrückt haben. Aus Sicht der Verbraucherzentrale (VZ) Sachsen war das aber rechtswidrig. Deshalb hat sie sechs Musterfeststellungsklagen erhoben; über die erste gegen die Sparkasse Leipzig, getragen von rund 1300 Klägern, wird nun verhandelt. Auch in anderen Bundesländern haben Verbraucherschützer Gerichtsverfahren in Gang gesetzt. "Das betrifft die gesamte Branche", sagt Michael Hummel von der VZ Sachsen.

Es dürfte um riesige Beträge gehen. Die exakte Größenordnung kennt zwar niemand, weil die Kreditinstitute die Zahlen nicht offenlegen. Mehrere Verbraucherzentralen haben aber inzwischen Tausende von Verträgen überprüft und veranschlagen den durchschnittlichen Schaden durch zu niedrige Zinszahlungen mit 4000 Euro - pro Sparer. Auch die Zahl der betroffenen Kreditinstitute dürfte weitaus größer sein als anfänglich angenommen. Im Internet hatte die VZ Sachsen mehr als 160 Banken und Sparkassen aufgelistet. Doch als die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin im Juni Banken und Sparkassen verpflichtete, Prämiensparer von sich aus über unwirksame Anpassungsklauseln zu informieren, sollen mehr als 1000 Kreditinstitute Widerspruch dagegen eingelegt haben.

Rechtlich geht es vor dem BGH um Zinsänderungsklauseln, enthalten in Sparverträgen mit Namen wie "Bonusplan", "VorsorgePlus" oder, wie im konkreten Fall, "S-Prämiensparen flexibel". Neben einer gestaffelten Prämie, die auf die jeweilige Spareinlage gezahlt wird, enthalten die Verträge eine variable Verzinsung. Bei der Sparkasse Leipzig lautete die Klausel lapidar: "Die Sparanlage wird variabel, z.Zt. mit ... % verzinst." Die Sparkasse ließ also eine listige Lücke, die sie nach eigenem Gutdünken entsprechend der Marktlage füllen wollte.

Wie berechnet sich der eigentliche Zins der Sparer?

Der BGH hatte solche Klauseln indes schon früh für rechtswidrig erklärt, erstmals im Jahr 2004 und dann in vielen weiteren Urteilen. Für das Oberlandesgericht (OLG) Dresden, das in erster Instanz über die Musterfeststellungsklage zu entscheiden hatte, war die Sache mithin eindeutig: "Die nicht näher eingegrenzte Befugnis eines Kreditinstituts, dem Sparer jeweils einen durch einen Aushang bekannt gemachten Zinssatz zu bezahlen, weist nicht das erforderliche Mindestmaß an Kalkulierbarkeit auf", heißt es in seinem Urteil vom April 2020. Kaum vorstellbar, dass der BGH dies nun anders sieht.

Komplizierter ist dagegen die Frage: Wie berechnet sich der Zins der Sparer, wenn der Sparvertrag diesen offen lässt? Solche Lücken im Vertrag müssen die Gerichte durch "ergänzende Vertragsauslegung" füllen. Sie müssen also die Parameter für Kalkulationen festlegen. Das beginnt bei der Frage nach dem richtigen Referenzzins, also der Rechengröße, an der sich der Vertragszins orientiert. Die VZ Sachsen hat hier einen Zinssatz der Deutschen Bundesbank für längerfristige Kapitalanlagen vorgeschlagen und ist damit früheren Vorgaben des BGH gefolgt. Das OLG Dresden hatte aber Bedenken, ob man wirklich einen einzigen Zinssatz wie eine Schablone an alle Verträge anlegen könne. Denkbar sei ja auch, dass einzelne Verträge wegen einer gesonderten Verabredung einen "individuellen Einschlag" hätten.

Einen individuellen Einschlag? Würde der BGH dem folgen, dann wäre dies für die Sparer ein herber Rückschlag. Dann nämlich müssten die Kunden auch nach einem Erfolg im Karlsruher Pilotverfahren die Höhe ihrer Ansprüche im Detail ausfechten. "Wenn der BGH sagt, dies alles muss individuell geklärt werden, dann können wir die Musterfeststellungsklage beerdigen", fürchtet Michael Hummel.

Um die Ansprüche durchzusetzen, sind womöglich weitere Klagen nötig

Es wäre dies ein weiterer Beleg für die oft beklagten Defizite der Musterfeststellungsklage, die zwar Klagen bündelt, aber die Betroffenen bei der Durchsetzung der Ansprüche alleine lässt - weil ein solches Feststellungsurteil eben nur Grundsatzfragen klärt, aber keinen Vollstreckungstitel liefert. Sollten die Sparkassen sich also gegen Vergleiche mit den Sparern sperren, wären womöglich weitere Klagen notwendig. Man könnte sie zwar erneut bündeln, etwa über einen Rechtsdienstleister - der freilich einen Teil der Zahlungen für sich beanspruchen würde.

Und die Zinsberechnung birgt weitere Unsicherheiten. Zum Beispiel, wie groß der Abstand zwischen Referenz- und Vertragszins sein muss. Die Sparkassen favorisieren hier einen absoluten Wert. Hätte der Abstand anfangs beispielsweise vier Prozentpunkte betragen, dann bliebe es aus ihrer Sicht bei der Zahl vier. Was dies in der Niedrigzinsphase bedeutet, ist leicht auszurechnen: Der Sparzins ginge gegen Null, im schlimmsten Fall sogar darunter. Der BGH hat eine derart rigide Margensicherung bisher für nicht interessengerecht gehalten, sodass es wohl eher auf einen relativen Zinsabstand hinauslaufen wird, der umso geringer wird, je stärker der Referenzzins sinkt. Aber auch hier wird es auf jedes Zehntel ankommen. Finanzielle Ausschläge in die eine oder andere Richtung kann auch die scheinbar triviale Frage anrichten, ob die Zinszahlungen exakt entlang der sich ständig ändernden Zinskurve berechnet werden - oder ob man einen gleitenden Durchschnittswert zugrunde legt.

Bleibt die Frage der Verjährung, schließlich geht es oft um sehr alte Verträge. Das OLG Dresden war davon ausgegangen, dass die dreijährige Verjährungsfrist erst mit dem Ende des Vertrags zu laufen beginnt - und nicht bereits jeweils mit der jährlichen Zinsgutschrift. Das ist eine sehr verbraucherfreundliche Variante, und Michael Hummel ist mit Blick auf die frühere BGH-Rechtsprechung zuversichtlich, dass dies in Karlsruhe bestätigt wird. Für Banken und Sparkassen wäre dies die teuerste Lösung - Ansprüche könnten unter Umständen Jahrzehnte zurückreichen.

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