Pipers Welt:Die Macht des Kassenwarts

Pipers Welt: An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker

An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker

Christian Lindner wäre der erste Bundesfinanzminister der FDP seit 55 Jahren. Das wäre ein Einschnitt für die Partei und die Bundesrepublik.

Von Nikolaus Piper

Es kommt nicht alle Tage vor, das sich internationale Ökonomen in deutsche Koalitionsgespräche einmischen. Daher ist es durchaus bemerkenswert, was der amerikanische Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze jetzt in der Zeit geschrieben haben. Die beiden warnen explizit davor, den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner zum Bundesfinanzminister zu machen, denn der vertrete in Sachen Haushalt und Finanzen "konservative Klischees". Lindner wolle das Geld zusammenhalten, statt es zu investieren, was heute notwendig wäre. Und sie fügen den Satz hinzu: "Das Finanzministerium ist deshalb so wichtig, weil es im Gegensatz zu allen anderen Ministerien technische und politische Macht sowie nationale und internationale Aufgaben in sich vereinigt."

Über die Sache mit den "konservativen Klischees" könnte man lange streiten, kein Zweifel besteht jedoch daran, dass der Kassenwart der Nation tatsächlich über "technische und politische Macht" verfügt. Wer die Hand auf der Staatskasse hat, hat Macht wie sonst nur der Bundeskanzler selbst. Die Macht zeigt sich zum Beispiel darin, dass das Finanzressort im Grundgesetz vorkommt (Artikel 112 und 114) und durch dieses geschützt wird. Wenn die Regierung Geld ausgeben will, kann der Finanzminister sein Veto einlegen. Über so genannte Spiegelreferate hat das BMF Einfluss auf die Ausgaben anderer Ressorts. Ob Robert Habeck oder Christian Lindner das Ministerium übernehmen, ist daher mehr als nur eine Frage der Postenverteilung.

Die Geschichte des BMF ist eng mit der parlamentarischen Demokratie in Deutschland verbunden. Es war 1919, als der schwäbische Zentrumspolitiker Matthias Erzberger aus dem kaiserlichen Schatzamt in Berlin das Reichsfinanzministerium machte. Er baute eine moderne Steuerverwaltung auf und führte einen Tarif für die Einkommensteuer ein, der im Prinzip bis heute Bestand hat. Erzberger wurde 1921 von rechtsradikalen Terroristen ermordet.

An Erzbergers Erbe knüpfte die Bundesrepublik an. Erster Bundesfinanzminister wurde 1949 Fritz Schäffer (CSU). Ihm gelang es als bisher einzigem staatliches Vermögen zu bilden - insgesamt acht Milliarden Mark . Viel größeren Einfluss jedoch hatte damals Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard. Das lag an der Person Erhards, es lag aber auch an einer wenig beachteten bürokratischen Feinheit: Im Wirtschaftsministerium gab es eine Abteilung "Geld und Kredit", die sich um die D-Mark und um Währungsfragen kümmerte. Wie wichtig diese Abteilung war, zeigte sich, als die Bundesrepublik immer enger mit der Weltwirtschaft verflochten wurde. Meisterhaft nutzte nach Erhard vor allem Karl Schiller dieses Instrument, SPD-Wirtschaftsminister in der ersten Großen Koalition 1966 bis 1969. Mit seinem Kampf um die Aufwertung der Mark wurde er zum Star.

Die Bundestagswahl vom 10. November 1972 war ein Wendepunkt

So viel Macht wie Schiller sollte nie wieder ein Wirtschaftsminister haben. Der Wendepunkt war die Bundestagswahl vom 10. November 1972. Kanzler Willy Brandt hatte dabei einen überzeugenden Sieg errungen, die SPD wurde mit heute phantastisch anmutenden 45,8 Prozent stärkste Fraktion im Bundestag, aber auch die FDP hatte kräftig zugelegt. Um dem Rechnung zu tragen, beschlossen die Koalitionäre, das Wirtschaftsministerium der FDP zuzuteilen. Minister wurde der frühere Bundesgeschäftsführer der Partei, Hans Friderichs. Dessen Macht wurde jedoch in einem entscheidenden Punkt beschnitten. Finanzminister Helmut Schmidt sorgte dafür, dass die Abteilung Geld und Kredit in sein Haus verlagert wurde. Für die Währung war nun das BMF zuständig, ebenso für den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank und die Weltwirtschaftsgipfel der G7. Das BMF bekam jetzt jene innen- und außenpolitische Macht, die die Professoren Stiglitz und Tooze heute fürchten. Unter Theo Waigel (CSU) schließlich handelte das BMF für Deutschland die Verträge von Maastricht über die Einführung des Euro aus.

Unterdessen war die FDP auf das Wirtschaftsministerium gebucht. Seit Hans Friderichs kamen alle Amtsinhaber von der FDP, sofern diese überhaupt mitregierte. Dagegen machten die Liberalen um das Finanzministerium einen großen Bogen, was erstaunlich ist, denn eigentlich sind ja Steuerfragen zentral für das Programm der Partei. Seit 1966, als der letzte FDP-Finanzminister Rolf Dahlgrün zurücktrat, wurde das BMF daher von SPD und Union geführt. Und als 2009 die FDP in eine schwarz-gelbe Koalition unter Angela Merkel eintrat, entschied sich der Vorsitzende Guido Westerwelle für das Außenministerium und überließ das BMF Wolfgang Schäuble von der CDU, was aus Sicht der Liberalen ein kapitaler Fehler gewesen sein dürfte.

Aus diesem Fehler will Lindner offenbar lernen. Kommentar von Theo Waigel, mit einer Amtszeit von 3476 Tagen der bisher am Längsten dienende Chef des BMF: Lindner müsse das Amt auf jeden Fall verlangen nach den Erwartungen, die er geweckt habe. Die Aufgabe werde allerdings heikel werden. Olaf Scholz, der jetzige Amtsinhaber, habe das Geld mit vollen Händen ausgeben können, um die Krise zu bekämpfen. Sein Nachfolger müsse wieder sparen und die Verschuldung zurückführen: "Er sollte sich darüber im Klaren sein, dass er das Volk auf Opfer und unbequeme Wahrheiten vorbereiten muss."

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