Bundesbankvorstand Wuermeling:Großbritannien droht "Drittstaat-Status wie Tunesien"

Bundesbankvorstand Wuermeling: Joachim Wuermeling ist seit November 2016 Bundesbankvorstand.

Joachim Wuermeling ist seit November 2016 Bundesbankvorstand.

(Foto: Bostelmann/Bundesbank)

Bundesbankvorstand Joachim Wuermeling warnt vor einem "riesigen Wirrwarr" nach dem Brexit - und mahnt, sich nicht in einen "Wettlauf nach unten" hereinziehen zu lassen.

Interview von Markus Zydra

Bundesbankvorstand Joachim Wuermeling, 56, fühlt sich wohl in seiner neuen Rolle. "Es ist ein Privileg, bei der Bundesbank zu arbeiten. Das ist kein Beruf, sondern eine Berufung." Der Jurist ist bei der Notenbank für Finanzmärkte verantwortlich. Er muss schauen, wo Gefahren drohen. Den Brexit sieht er als Gefahr.

SZ: Herr Wuermeling, Großbritannien möchte den EU-Austrittsbeschluss am Mittwoch offiziell mitteilen. Was bedeutet das für Europas Finanzmärkte?

Joachim Wuermeling: Wenn es zu einem harten Brexit ohne Übergangsregelungen kommt, wird der Austausch zwischen dem britischen und dem kontinentalen Finanzmarkt deutlich komplizierter. Denn die Londoner City wird aus EU-Sicht zu einem Drittmarkt. Das hat erhebliche Folgen. Grenzüberschreitend geltende Genehmigungen und Zulassungen erlöschen: Finanzprodukte können von heute auf morgen nicht mehr über den Ärmelkanal hinweg ausgetauscht werden. Das könnte zu Spannungen hinsichtlich der Funktionsfähigkeit der Märkte führen.

In welcher Hinsicht?

Einige Finanzprodukte in der EU werden zu großen Teilen konzentriert in London gehandelt, beispielsweise die Absicherung von Zinsrisiken durch Zinsswaps oder die Emission von Unternehmensanleihen. Das ginge dann entweder gar nicht mehr, mit Restriktionen oder unter Inkaufnahme von zusätzlichen Kapitalanforderungen. Damit müssen die deutschen und die EU-Finanzinstitute rechnen; sie sollten darauf vorbereitet sein.

Aber es soll doch ein Abkommen über die künftigen Handelsbeziehungen ausgearbeitet werden.

Ja, aber in den zwei Jahren bis zum Austritt geht es erst einmal nur um eine Scheidungsvereinbarung. Es wird noch nicht über eine Folgeregelung etwa für die Finanzmärkte verhandelt. Sollte keine Übergangsregelung verabredet werden, wird es eine zeitliche Lücke geben, in der das Vereinigte Königreich rechtlich wie ein beliebiger Drittstaat behandelt wird.

Was heißt das konkret?

Banken aus Großbritannien können dann bei uns nur tätig werden, wenn sie alle nationalen Regeln wie Inländer erfüllen. Gleiches gilt für EU-Banken in Großbritannien. Es gibt keinen europäischen Pass mehr. Zulassungen von Instituten, Produkten und Infrastrukturen gelten also beim Grenzübertritt nicht mehr. Strebt man als ausländisches Institut einen Inländerstatus an, braucht es erhebliche Zeit, um die große Zahl administrativer Verfahren zu durchlaufen.

Aber Europa macht doch Finanzgeschäfte außerhalb des EU-Raums, in Japan und den USA etwa. Warum geht das dann nicht auch mit der Londoner City?

Weil über Jahre und Jahrzehnte mit anderen Finanzplätzen schrittweise die Regeln dort in Form von sogenannten Äquivalenzentscheidungen als gleichwertig anerkannt worden sind. Nach Angaben der EU-Kommission sind gegenwärtig 212 solcher Abkommen für verschiedene Produkte mit insgesamt 32 Ländern in Kraft. Alleine mit Japan existieren 17 solcher Vereinbarungen, mit den USA 16. London hat bislang aber natürlich noch keine solche Äquivalenzentscheidung verhandelt. Ohne solche Regelungen hätte Großbritannien gegenüber der EU damit nach der Scheidungsverhandlung einen Drittstaat-Status wie zum Beispiel Tunesien.

Das gibt ein großes Durcheinander.

Dann könnte man beispielsweise für das Clearing-Geschäft eine Einigung erzielen, für Wertpapierprospekte aber nicht. Oder in Frankreich emittierte Fonds würden in Großbritannien zugelassen, die deutschen Produkte nicht. Das führt zu einem riesigen Wirrwarr von Einzelentscheidungen bei der Zulassung. Und dieser Flickenteppich könnte sehr groß werden.

Was empfehlen Sie?

Es wäre weder der EU noch dem Vereinigten Königreich gedient, wenn die Geschäfte dann nach New York und Tokio wandern, weil diese Märkte enger an die EU angebunden sind oder die Strukturen auf unserem Kontinent zu kleinteilig oder zu kompliziert sind.

Droht durch die Ausstiegsverhandlung eine Aufweichung der Finanzmarktregeln?

Sollten die Brexit-Gespräche nicht konstruktiv verlaufen, könnten die Briten in Versuchung geraten, die Standards massiv zu lockern, sodass ein Wettbewerbsvorteil für London entsteht. In einen Wettlauf nach unten könnten andere hineingezogen werden - mit Risiken für die Finanzstabilität. Aber vor nicht einmal zwei Wochen haben sich die G-20-Staaten bei dem Treffen der Finanzminister und Notenbanken in Baden-Baden zu globalen Regeln bekannt. Darauf vertraue ich.

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