Bundesbankchef Weidmann ist ein Jahr im Amt:In der ersten Reihe, wo es stürmt

Die Deutschen werden gerade wieder als Austeritäts-Apostel beschimpft werden, als Spar-Taliban - Jens Weidmann vorneweg. Vor einem Jahr wurde er Bundesbankchef. Seine Kritik an den Euro-Hilfen könnte ihn erfolgreich machen. Oder einsam.

Alexander Hagelüken und Markus Zydra

Ein deutscher Notenbanker hat es manchmal schwer, seine Position zu erklären. Vor allem in Amerika, wo sie alle finden, dass diese Deutschen doch viel mehr Geld ausgeben sollen, um den Euro zu retten.

Bundesbank - Jens Weidmann

Geht sein Kalkül auf? Die Angst von Bundesbankchef Jens Weidmann ist, dass die Politiker sich auf die Hilfe der Notenbanken verlassen, statt zu reformieren.

(Foto: dpa)

Am Montag dieser Woche trat Jens Weidmann in New York auf. Der Bundesbankchef versuchte, den Zuhörern seine Skepsis gegen ungesicherte Hilfen an marode Euro-Staaten mit einem Vergleich zu erklären: "Würden Sie im Restaurant einfach ihre Kreditkarte einem Gast geben, den sie nicht kennen und nicht kontrollieren können? Und würden Sie erwarten, dass er mit Ihrer Kreditkarte das kleine Menü bestellt? Oder eher das große?"

Das mit der Kreditkarte haben sie verstanden, die Amerikaner, glaubt Weidmann. Endlich mal ein wenig Verständnis für die Deutschen, die gerade wieder als Austeritäts-Apostel beschimpft werden, als Spar-Taliban, die Europa in die Depression reiten, Weidmann vorneweg. "Die Bundesbank zerstört den Euro", warf ihm der Spekulant George Soros gerade vor. Vielleicht ist es auch eher das Wunschdenken des obersten Bundesbankers, die Amerikaner würden seine Position endlich verstehen.

Ihn, Jens Weidmann, den das Leben ungewöhnlich jung in die erste Reihe der Politik katapultierte. Dahin, wo einem der Wind nicht nur aus Amerika entgegenbläst. Nächsten Mittwoch wird es genau ein Jahr, dass er an die Spitze der Bundesbank kam, jener Institution, die den Deutschen als Bollwerk gegen Inflation heilig ist. Repräsentiert von ehrengrauen bis weißhaarigen Männern wie Hans Tietmeyer oder Helmut Schlesinger. Und nun vom schmächtigen, schülerbrav gescheitelten Jens Weidmann, 44. Mit 44 Jahren haben es andere Ökonomen gerade einmal geschafft, sich einen Lehrstuhl zu sichern.

Im Hintergrund war er schon lange wichtig, als Wirtschaftsberater der Kanzlerin ab 2006. Seine Ideen und die sehr weniger anderer waren es, die Deutschland erst durch die Finanzkrise mit Bankenschieflagen sowie Konjunkturabsturz steuerten und dann durch den Euro-Trubel.

Nun steht Weidmann im Vordergrund. Und das ist etwas ganz anderes.

Ein hochrangiger Berliner Politiker, der Weidmanns Arbeit stets schätzte, war von seiner Kandidatur gar nicht erbaut. "Um Himmels willen, dachte ich. Man tut ihm und dem Amt keinen Gefallen." Der Politiker begründet das so: Weidmann war bei allen internationalen Gipfeln der Sherpa der Kanzlerin, der Abteilungsleiter. Der Butler. Und dieser jugendlich wirkende Ex-Diener soll auf der Frühjahrstagung in Washington als Chef die Bundesbank vertreten? Auf Augenhöhe mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, 69, Fed-Chef Ben Bernanke, 58, und Mario Draghi, 64, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank EZB? Das geht nicht. "Für einen wie Schäuble bleibt er doch immer der Abteilungsleiter", dachte der Politiker.

"Er hat an Statur gewonnen"

Inzwischen hat Weidmann seinen Berliner Skeptiker überzeugt: "Er hat an Statur gewonnen. Er wird respektiert, wie ich es nicht gedacht hätte." Vergangene Woche in Washington lief es so, dass Finanzminister Schäuble ihm ein Ständchen zum Geburtstag krächzte (und sauer war, als ein Radioreporter es sendete).

Weidmann hat vor seiner politischen Laufbahn schon einmal bei der Bundesbank gearbeitet. Nach seiner Rückkehr im Mai 2011 in den schmucklosen Betonklotz fand der ehemalige Abteilungsleiter Geldpolitik eine Institution vor, die durchaus Selbstzweifel plagen. Sie ist nicht mehr alleinige Hüterin der Deutschen Mark, sondern eine von siebzehn Zentralbanken im Euro mit einer von siebzehn Stimmen bei den Entscheidungen.

Artikel über die Bundesbank und ihre Aufgaben enthalten gern die Frage, ob sie wirklich so viele Aufgaben hat, wie sie Mitarbeiter und Standorte zählt. Bei seiner Antrittsrede verkündete Weidmann, er wolle in die Bank hineinhorchen. Er veranstaltet an den Standorten Treffen mit 300 bis 400 Mitarbeitern, "Weidmann direkt", das klingt wie Werbung für eine Hausrat-Versicherung, am Titel kann er ja noch feilen. Für die Akademiker der Bundesbank ist zentral, dass er das Stabilitätserbe verteidigt. Aber das ist schwer in diesen Zeiten.

Die ersten Jahre des Euro ab 1999 waren sonnig, jetzt stürmt es, und es gibt so unterschiedliche Meinungen, was für Schirme man dagegen aufspannen soll. EZB-Präsident Mario Draghi kommt aus Italien, wo es in den achtziger Jahren normal für die Notenbank war, den Staat zu finanzieren. Davor graut es den Bundesbankern. Die EZB kaufte erst Staatsanleihen maroder Euro-Staaten und verabreichte den Banken nun eine Geldspritze von einer Billion. Weidmanns Vorgänger Axel Weber trat aus Protest gegen die Risiken solcher Politik für die deutschen Steuerzahler zurück.

Weidmann versucht es anders. Er äußert seine Kritik viel öffentlicher als Weber, der brütete und dann hinwarf. Er holte sich einen Medienstrategen, während Institutionen wie die Bundesbank sonst gerne Verlautbarer beschäftigen. Ihn leitet die Überzeugung, dass es nicht der Name Bundesbank ist, der ihm mehr Macht gibt als eine von vielen Stimmen im EZB-Rat - sondern der Rückhalt der Deutschen, der Rückhalt in der größten Volkswirtschaft der Euro-Zone.

Der Volkswirt verbucht kleine Erfolge, wenn die Kollegen aus anderen Notenbanken aufhorchen, weil er maue Sicherheiten maroder Privatbanken nicht mehr annimmt oder eine Finanzierung des Euro-Rettungsschirms durch die Zentralbank schon wegen seines Widerstands verworfen wird. Das sind kleine Siege eines Mannes, den Kritiker als destruktiven Nörgler bezeichnen, als einen Krittler, der aber nicht verrät, wie die EZB stattdessen die Krise stoppen soll. Weidmann hingegen findet, dass er zumindest das Schlimmste in der EZB verhindert hat. Aber solche Erfolge reichen nicht, wenn die Risiken wirklich so groß sind, wie er ständig betont.

Manche Beobachter glauben, seine Kritik sei mehr dem Kalkül geschuldet als heiß empfundener Überzeugung wie bei Weber. Weidmann billige im Grunde den Euro-Rettungskurs der EZB, wolle ihn aber durch seine öffentlichen Bedenken für das deutsche Publikum erträglich machen. "Er muss hart reden, um flexibel handeln zu können", sagt einer, der ihn kennt. "So wie nur die SPD die Agenda 2010 durchboxen konnte, so kann auch nur ein geldpolitischer Hardliner von der reinen Lehre abweichen."

Die reine Lehre ist ohnehin unrein

Die reine Lehre ist ohnehin unrein. Die Bundesbank war in ihrer langen Geschichte flexibel in ihren Mitteln, um bestimmte Ziele zu erreichen. Im Jahr 1967 hat die Bundesbank sogar Bundesanleihen gekauft, "um so den Kapitalmarktzins schneller herunterzudrücken", schreibt Otmar Issing, der frühere EZB-Chefvolkswirt. Genau dieses Ziel verfolgte die Zentralbank mit ihren jüngsten umstrittenen Anleihekäufen: niedrigere Zinsen für die Staatskredite. In Krisenzeiten müssen sich strenge Notenbanker bei ihrem Tun eben die Nase zuhalten.

Doch was, wenn Weidmanns öffentliche Kritik vor allem der Beruhigung des deutschen Publikums dient, quasi als Show für die dankbare Galerie? "Dann ist das auch in Ordnung", sagt einer, der ihn lange kennt. Die Gefahr wäre dann aber, dass Weidmann nur poltert und nicht ernsthaft gegen die Exzesse der EZB-Politik kämpft.

Wer länger bohrt, verliert das Gefühl, dass Weidmanns Kritik nur Lippenbekenntnis ist. Vielleicht nimmt man ihm seine Überzeugungen manchmal nicht so ab, weil er immer so dezent spricht, so zurückhaltend auftritt. Doch wer ihm zuhört, ahnt seine tiefe Sorge darüber, was gerade in der Euro-Zone passiert.

Das Problem mit den Rettungsaktionen ist, dass sie Erwartungen wecken. Kaum lässt die Wirkung der Banken-Geldspritze nach, kaum steigen Spaniens Anleiherenditen, schon rufen Politiker und Investoren wieder nach der EZB. Da droht ein Fass ohne Boden. Dass die Politiker sich auf die Notenbank verlassen, statt ihre Länder zu reformieren: Das ist Weidmanns große Angst.

Der Erfolg seiner Amtszeit wird sich daran zeigen, ob die Europäische Zentralbank wirklich peu à peu aus den Euro-Hilfen aussteigt, wie er fordert. Bleibt das aus, würde sein Frustpegel steigen. Dann würde Weidmann zum einsamen Rufer in der Wüste. Zum lebenden Beweis, dass sich die Deutschen nicht auf den Euro hätten einlassen dürfen.

Noch kämpft Weidmann weiter, ihm hilft, dass er in Berlin das politische Feilschen gelernt hat. Ihm hilft, dass er kein reiner Theoretiker ist wie sein früherer Professor Axel Weber.

Am Mittwochabend gucken ein paar Mitarbeiter im Keller der Bundesbank das Champions-League-Halbfinale, als Weidmann hereinschaut. Es wäre die Gelegenheit, sich ein Bier aus dem Kühlschrank zu nehmen und den Chef zum Anfassen zu geben. Das ist nicht sein Ding. Kerzengerade steht er ein paar Minuten im Raum und winkt dann zum Abschied, weit vor dem dramatischen Elfmeterschießen.

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