Süddeutsche Zeitung

Rente mit 69:Die Nervensägen aus Frankfurt

Selbst wenn die Empfehlung der Bundesbank noch so unpopulär ist, das gesetzliche Rentenalter auf fast 70 Jahre anzuheben: Die Deutschen werden immer älter, also müssen sie länger arbeiten.

Kommentar von Hendrik Munsberg

Kaum etwas ist in Deutschland so unpopulär wie die Empfehlung, das gesetzliche Rentenalter deutlich anzuheben. Jetzt hat sich die Bundesbank - wieder einmal - damit zu Wort gemeldet. Sie rät der Bundesregierung, schrittweise die Rente mit beinahe 70 einzuführen - bis zum Jahr 2070.

Wer dann in Ruhestand geht, soll das erst im Alter von 69 Jahren und vier Monaten dürfen. Anders seien der demografische Wandel und die steigende Lebenserwartung für die staatliche Rentenkasse nicht zu bewältigen, mahnen die Währungshüter.

Die Nervensägen aus Frankfurt haben der Bundesregierung gerade noch gefehlt. In diesen Tagen wollen Union und SPD entscheiden, ob ihr Bündnis noch eine Zukunft hat. Schon der Streit über die Grundrente fordert von den Beteiligten größte Anstrengung, die Fliehkräfte unter Kontrolle zu halten. Jedenfalls können die Koalitionäre eine Debatte um ein weiter steigendes Rentenalter derzeit gar nicht gebrauchen.

Unerfreulich, aber fair

Dazu wird sich, so lautet jedenfalls der Plan, erst Anfang 2020 eine Rentenkommission äußern. Ob es diese Koalition dann noch gibt, ist derzeit völlig offen.Trotzdem hat die Bundesbank recht, die Menschen auf das vorzubereiten, was nach aller Voraussicht unabweisbar ist, und jede seriöse Rentenkommission wird zu Ähnlichem raten. Wenn die Menschen immer älter werden, müssen sie auch länger arbeiten.

Das gesetzliche Rentenalter schrittweise anzupassen, wie das bereits heute geschieht - auf genau 67 Jahre im Jahr 2031 - ist vielleicht unerfreulich, aber trotzdem fair. Das bedeutet natürlich nicht, dass buchstäblich jeder künftig bis beinahe 70 auf der Baustelle schuften oder in der Werkshalle Teile zusammenfügen muss. Manche Tätigkeiten sind so kräftezehrend, dass niemand sie bis zu einem derart hohen Alter gesund übersteht. Deshalb hat der Renten-Experte der Grünen, Markus Kurth, recht, wenn er mahnt, die Anhebung der Regelaltersgrenze werde nur akzeptiert, wenn es künftig auch Lösungen für gesundheitlich besonders beanspruchte Berufsgruppen gibt. Auch sie müssen die Möglichkeit bekommen, den Ruhestand ohne Blessuren an Leib oder Seele zu erreichen.

Es wird Aufgabe der Rentenkommission sein, dafür Anfang 2020 brauchbare Instrumente vorzuschlagen. Ihre Empfehlungen wird man auch daran messen müssen. Und doch und doch und doch: Die fundamentalen Wirkkräfte der Demografie lassen sich nicht mit Zaubertricks aushebeln. Wenn die Lebenserwartung steigt, muss auch das gesetzliche Rentenalter steigen. Je eher die Menschen das erfahren, desto besser.

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SZ vom 22.10.2019/hgn
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