Süddeutsche Zeitung

Bundesbank:"Jens, wem bist du verpflichtet?"

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Von Markus Zydra, Frankfurt

Über diese Frage staunt er dann doch ein bisschen, der lässige Jens, in der einen Hand das Mikrofon, die andere verborgen in der Hosentasche. "Bist du der Pressesprecher von Draghi?", fragt die junge Frau extra ein bisschen vorlaut. Der Bundesbankpräsident, 50, stutzt kurz, reagiert dann aber amüsiert und antwortet: "Nein, und er hätte sich bestimmt einen anderen Pressesprecher ausgesucht."

Es ist Freitagabend in einem Industriegebiet im Osten Frankfurts. In der alten Fabrikhalle und Werkstatt "Tatcraft" treffen sich sonst Jungunternehmer und Bastler. An diesem Tag sind über 200 zumeist junge Menschen gekommen, um mit der Bundesbank das 20-jährige Bestehen des Euro zu feiern. Drinnen gibt es eine Tribüne mit farbigen Sitzkissen. Draußen, neben dem mobilen Klo-Wagen, steht das Zelt mit der Garderobe. Rote und grünen Lampions geben einen Vorgeschmack auf den Abend, der mit Musik und Tanz enden wird.

Früher hätte die Bundesbank zu diesem Anlass ein Symposium mit hohen Gelehrten in Schlips und Kragen in einem exklusiven Hotel-Saal veranstaltet. Doch dieses Mal wagte die Notenbank ein Experiment: Die Ankündigung für das Jubiläumsfest ging raus über die sozialen Medien Instagram, Facebook und Youtube - und nur dort. Man wollte neue, sprich junge Leute erreichen. Es gab kurz Sorge um die Risiken. Kommen aggressive Globalisierungskritiker, fliegen Töpfe?

"Wir müssen uns fragen, wie wir die nächste Generation mit unseren Informationen erreichen"

Doch Weidmann machte mit, und auch der Rest des Bundesbankvorstands, denn die andere Sorge belastet die Währungshüter heute noch stärker. "Wir verlieren die junge Generation, gleichzeitig korrelieren Wissen und Vertrauen", sagt Weidmann. "Wir müssen uns fragen, wie wir die nächste Generation mit unseren Informationen erreichen."

Es ist eine Zäsur. Die neben dem Bundesverfassungsgericht in Deutschland wohl angesehenste Institution möchte sich in diesen Tagen auch der Unterstützung der Nachwuchsgeneration versichern. Ein probates Mittel ist da sicher: lockerer werden.

Deshalb hat Moderator Tilo Jung - Journalist und Podcaster - den Bundesbankpräsidenten dem Publikum auch so vorgestellt: "Das ist Jens, ihr könnt ihn duzen, wenn ihre eure Fragen stellt." Die meisten taten das auch, und doch gab es viele, die Weidmann gesiezt haben. Da war spürbar Ehrfurcht im Spiel. Die Bundesbank ist ein Mythos, ihre Unabhängigkeit ist gesetzlich verankert. Nach dem Zweiten Weltkrieg schaffte sie mit der D-Mark eine stabile und global bewunderte Währung. Bundesbanker gelten als unbestechliche Fachleute, die sich weder von Politik noch von Wirtschaftsbossen reinreden lassen.

Dieser Nimbus ist quasi übergegangen auf die Europäische Zentralbank (EZB), die seit 1999 in der Währungsunion für die Stabilität des Euro verantwortlich ist. Es hat sich viel verändert in den letzten 20 Jahren. Die D-Mark ist passé, die Bundesbank ist Teil der EZB, die zwar ihren Sitz ebenfalls in Frankfurt hat, gleichzeitig aber in allen 19 Euro-Staaten ihre Mission erklären muss. Das ist eine Aufgabe, die sich mit Beginn der Finanz- und Euro-Schuldenkrise als immens schwierig herausstellte. Plötzlich stand die EZB im Rampenlicht der breiten Öffentlichkeit. Die Technokraten als Retter, denn sie pumpten Billionen Euro in den Finanzmarkt, um die Währungsunion vor dem Kollaps zu bewahren. In Deutschland hagelte es Kritik. Die EZB verschleudere das Erbe der Bundesbank und überziehe ihr Mandat. Die Folge waren Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht: Zentralbanker werden ernannt und nicht vom Volk gewählt. Dürfen sie einfach Geld drucken, wofür am Ende doch der Bürger haftet? Wie ist das mit der Legitimität?

Womöglich kommen Politiker auf die Idee, der Notenbank die Unabhängigkeit zu nehmen

Diese Fragen treiben Weidmann um. Die Bundesbank als Teil der EZB ist immer noch beliebt und geachtet, doch das kann sich schnell ändern. Die Nullzinspolitik ärgert die Sparer, und einige Politiker fordern weitere Hilfen der Notenbank. Weidmann ist beunruhigt. Irgendwann kommen Politiker womöglich auf die Idee, der Notenbank die Unabhängigkeit zu nehmen. Dann braucht es gesellschaftliche Kräfte, die die komplizierte Arbeit der Währungshüter verstehen und wissen, wie wichtig die unabhängige Institution ist.

Die Bundesbank ist besorgt über Umfrageergebnisse, dass es den 20- bis 30 Jährigen an Bildung in Finanzfragen fehle. Gleichzeitig kursieren in Medien viele überspitzte und auch falsche Informationen über Geldpolitik, einem sperrigen Sujet. Es gibt also Erklärungsbedarf und da hilft es, wenn der Präsident persönlich Fragen beantwortet. "Jens, wem bist du verpflichtet?" "Den Bürgern Europas und Deutschlands", sagt er. "Wäre Angela Merkel eine bessere Bundesbankpräsidentin als du?"Antwort: "Habe ich mich nie gefragt. Sie ist zumindest keine Volkswirtin."

Weidmann kommt gut rüber. Der frühere Berater von Kanzlerin Merkel hat seit seiner Amtsübernahme 2011 Modernität in die Bundesbank gebracht, auch im Umgang untereinander. Er ist ein Chef, der Mitarbeitern zuhört, egal welchen Rang in der Hierarchie sie bekleiden, erzählen Bundesbanker. Diese Offenheit lebt Weidmann auch nach außen. Noch bis zum Jahrtausendwechsel predigte die Bundesbank nur alle vier Wochen zum deutschen Volk - und zwar via Monatsbericht, einer Publikation von Experten für Experten.

Inzwischen posten Bundesbankmitarbeiter auch über Facebook ("5615 Personen gefällt das"), Instagram (133 Beiträge, 1838 Abonnenten"), Twitter und Youtube. Weidmann empfängt regelmäßig Schüler- und Lehrergruppen und führt sie ins neue Geldmuseum der Notenbank. Der Bundesbankpräsident scheut sich nicht vor Auftritten im ZDF-Morgenmagazin. In einem kurzen Filmporträt spielte er in einer Szene Fußball vor dem Frankfurter Eintracht-Stadion. In einer anderen Sendung für Jugendliche zeigte er der Kinder-Reporterin die Goldbarren im Bundesbanktresor.

In diesem Sinne geht es weiter. Für November ist eine weitere Veranstaltung im hippen "Tatcraft" geplant. Im Gespräch ist nun auch ein "Bundesbank-Bus". Der soll dann durch Deutschland touren.

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Quelle:
SZ vom 06.03.2019
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