Die Geschichte klingt zu schön, so menschlich, so logisch: Da steht ein Spitzenbeamter seit Monaten unter Beschuss, weil er partout eine Politik nicht mittragen will, die alle anderen für richtig erkannt haben. Er wendet sich an seine Ex-Chefin, klagt ihr sein Schicksal und berichtet, dass er sich mit Rücktrittsgedanken trage. Die frühere Vorgesetzte aber spricht beruhigend auf den einstigen Berater ein, stärkt ihm den Rücken und bringt ihn von seinem Vorhaben ab.
Das Problem ist nur: So war es nicht. Das jedenfalls sagen alle, die wissen, worüber Bundesbankpräsident Jens Weidmann und Kanzlerin Angela Merkel letzte Woche am Telefon gesprochen haben. Richtig ist, dass es auch einen wie Weidmann nicht kalt lässt, wenn er über Monate von Kollegen aus dem Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) wie auch von ausländischen Regierungschefs als derjenige hingestellt wird, der eine Lösung der Euro-Krise verhindert. Wenn er von EZB-Präsident Mario Draghi öffentlich als Blockierer gebrandmarkt wird. Wenn er lesen muss, dass er sich mit seinem Ratskollegen und langjährigen Freund Jörg Asmussen überworfen habe. Weidmanns Vorgänger Axel Weber war wegen des gleichen Streits zurückgetreten, ebenso EZB-Chef-Volkswirt Jürgen Stark.
Der Streit dreht sich um die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt. Weidmanns Kritiker sind der Ansicht, dass die Notenbank schwächelnde Euro-Länder durch den Kauf von Staatsanleihen unterstützen muss. Grundsatzdebatten müssten dahinter zurückstehen, schließlich sei niemandem geholfen, wenn am Ende die Währungsunion in Trümmern liege. Weidmann hingegen hält solche Anleihekäufe für verboten und sieht zudem die Unabhängigkeit der EZB in Gefahr. Was ist, so fragt er, wenn ein Krisenstaat plötzlich sein Reformprogramm stoppt, das er als Gegenleistung für die Anleihekäufe zugesagt hatte? Stoppt dann die Notenbank ihre Interventionen und treibt den Staat in die Pleite? Spätestens in dem Moment wäre die EZB mittendrin in der Politik.
"Warum tue ich mir das an?"
Als Weidmann im Mai 2011 sein Amt antrat, wusste er, worauf er sich einlässt. Zwar hat sich seitdem die Lage verschärft, seine Überzeugung aber, dass er im Amt für die Stabilität des Euro mehr tun kann als ohne Amt, ist geblieben. Tatsächlich gäbe es aus seiner Sicht bei einem Rücktritt nur zwei gleich schlechte Alternativen: Entweder tickt sein Nachfolger wie er - dann kann er auch selbst weitermachen. Oder der neue Bundesbankchef stützt Draghis Linie - dann hätte Weidmann, seinem Anliegen einen Bärendienst erwiesen.
Darüber wird der 44-Jährige zuletzt immer wieder einmal nachgedacht haben. Vielleicht schoss ihm dabei auch der Gedanke "Warum tue ich mir das an?" durch den Kopf. Dass er mit Merkel darüber geredet hat, ist dennoch unwahrscheinlich - so ist das Verhältnis der beiden einfach nicht. Auch achtet die Kanzlerin genau darauf, die Grenzen zwischen den staatlichen Ebenen nicht zu verwischen. Nie würde sie versuchen, Druck auf den Bundespräsidenten, das Bundesverfassungsgericht oder die Bundesbank auszuüben. Hinzu kommt: Weidmann weiß, dass seine Position mit Merkels nicht identisch ist: Zwar teilt die Kanzlerin prinzipiell seine Sicht der Dinge. Andererseits kommen ihr die EZB-Pläne durchaus gelegen, denn jeder Euro, den die Notenbank zur Bewältigung der Krise bereitstellt, ist einer weniger, den sie dem störrischen Bundestag abringen muss.
Draghi will am Donnerstag im Zentralbankrat über das Anleiheprogramm abstimmen lassen. Diesmal sollen die Käufe an die Bedingung geknüpft werden, dass Länder zunächst einen Hilfsantrag beim künftigen Euro-Rettungsfonds ESM stellen. Die Mehrheit im EZB-Rat für das Programm steht - und genau hier liegt der Dissens zwischen Asmussen und Weidmann: Asmussen hält den Kampf bereits für verloren und versucht nun, die EZB-Hilfen wenigstens an strengstmögliche Auflagen zu knüpfen. Weidmann dagegen bleibt bei seinem grundsätzlichen Nein. Miteinander überworfen haben sich die beiden Duz-Freunde dennoch nicht. Und zurücktreten wird vorerst auch niemand.