Süddeutsche Zeitung

Bundesanstalt für Geowissenschaften:Umweltstudien: Gutes Geld für steile Thesen

  • 1982 gründen Industrievertreter den "Hans-Joachim-Martini-Fonds", der die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe unterstützt.
  • Der Fonds - heute eine Stiftung - vergab "Ehrungen" und Fördermittel an bemerkenswerte Projekte: An Studien, die den menschengemachten Anteil am Klimawandel als gering einstufen - oder solche, die Zweifel am Salzstock Gorleben zerstreuen.
  • Die Grünen haben grundsätzliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Bundesanstalt.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Gerd Anger hat gute Argumente, als er 1981 an seinen Vorstand bei Bayer herantritt. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, kurz BGR, ist schließlich nicht irgendwer - sondern der "geologische Dienst" der Bundesrepublik. "Ihr obliegen vor allem die Beratung der Bundesministerien in geowissenschaftlichen Fragen", nebst der Suche nach Rohstoffen in aller Welt, schreibt Bayer-Chefgeologe Anger. Mehr noch: Die Bayer AG habe "seit 1971 Jahr für Jahr die aktive und tatkräftige Unterstützung von Herren aus der BGR erfahren". Angers Ziel: Fortan soll es andersherum laufen. Die Herren der BGR sollen die aktive und tatkräftige Unterstützung der Wirtschaft erfahren.

Der Plan geht auf. Anfang der Achtzigerjahre entsteht ein von der Industrie gefüllter Topf, aus dem regelmäßig Mittel an die Bundesanstalt fließen - zur "Ehrung" verdienter Mitarbeiter, als Portokasse zur Finanzierung von Tagungen, als Geldspritze zur Anschaffung von Computern.

Wie freigiebig die Spitzen der Industrie in den "Hans-Joachim-Martini-Fonds" einzahlten, wie unverblümt die BGR selbst an Spender herantrat, das belegen Akten, die WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung vorliegen. Bayer, Degussa, die Energiekonzerne Preussag und Rheinbraun, der Gasförderer Wintershall und der Stahlriese Salzgitter, sie alle machten mit. Schon im Gründungsjahr 1982 verbucht der Finanztopf der Wirtschaft Einnahmen von 120 000 Mark.

Je größer die Interessen, desto weniger zimperlich

Die Bundesanstalt in Hannover entwickelt dabei einigen Eifer. Im September 1982 etwa wendet sich BGR-Präsident Martin Kürsten an den Industrieverband Steine und Erden. Der ziert sich, will den Zweck der Stiftung für die eigene Arbeit nicht erkennen. Kürsten wird deutlich. "Vielleicht kennen Sie selbst ja geowissenschaftliche Arbeiten, die Sie einer Ehrung oder Unterstützung für wert erachten", schreibt er. "Es fiele dem Hans-Joachim-Martini-Fonds selbstverständlich leichter, eine solche Ehrung auszusprechen, wenn Sie ihn auch finanziell ermuntern könnten." Doch die Ermunterung blieb aus.

Andere sind da weniger zimperlich, haben aber womöglich auch größere Interessen. Bayer etwa hatte noch bis vor Kurzem an der Suche nach einem deutschen Atomkomplex gearbeitet: Nicht nur ein Endlager sollte dort entstehen, sondern ursprünglich auch Deutschlands Wiederaufarbeitungsanlage. Beauftragt war die "Kernbrennstoffwiederaufarbeitungsgesellschaft" Kewa, die Wahl fiel auf Gorleben - und der zuständige Chefgeologe war der Bayer-Manager Anger. Er wird Schatzmeister des Martini-Fonds, der 1987 in eine Stiftung umgewandelt wird - in eine gemeinnützige, wohlgemerkt. Auch Rheinbraun, größter Braunkohleförderer der Republik und heute Teil des RWE-Konzerns, spendet fleißig. Manager beider Firmen finden sich im Kuratorium der BGR wieder, einer Art Beraterstab der Bundesanstalt, ebenso Vertreter von Unternehmen wie Preussag, Salzgitter AG, Degussa.

Viele von ihnen sitzen im Lauf der Jahre auch im Stiftungsrat der Martini-Stiftung, zusammen mit dem Präsidenten der BGR und einem ständigen Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums. Ihm untersteht die Bundesanstalt, 2012 setzt die alte Bundesregierung sogar ihre interne Revision auf die Verquickung von Stiftung und BGR an. Ergebnis: "keine Beanstandung". Auch heute stellt sich das Ministerium hinter seine Behörde. "Die BGR trifft grundsätzlich eigenständig alle Entscheidungen, die die von ihr durchgeführten Projekte betreffen", heißt es. "Ihre Forschung und die Resultate sind unabhängig." Darauf pochen auch Bundesanstalt und Stiftung: Entscheidend sei allein "fachliche Exzellenz".

Nicht selten auf Seiten der Industrie

Zumindest aber ist bemerkenswert, wofür der Fonds und später die Stiftung "Ehrungen" und Fördermittel lockermachen. 1998 wendet sich der Vorsitzende der Martini-Stiftung, Hans-Joachim Leuschner, mit einem neuen Spendenaufruf an seine Kuratoriums-Kollegen. Die Stiftung sei darauf angewiesen, "nach neuen Wegen zu suchen, um Zustiftungen einzuwerben", schreibt Leuschner, im Hauptberuf Manager beim Braunkohleriesen Rheinbraun. Beispiele für "ausgezeichnete" Forscher und ihre Vorhaben schickt er gleich mit, an Nummer eins: "Klimaforschung - wie relevant ist die Rolle von CO₂ als Treibhausgas wirklich?" Die Antwort liefert ein kurzer Abriss: Wasserdampf sei bisher unterschätzt, Kohlendioxid dagegen überschätzt worden. Fazit: "Das anthropogen eingebrachte CO₂ spielt mit einem Anteil von 1,2 Prozent am gesamten Treibhausgaseffekt nur eine untergeordnete Rolle." Eine These, mit der sich die Welt sämtliche Klimagipfel und den Kampf gegen Klimakiller wie Braunkohle getrost hätte sparen können. Für die entsprechende Studie gibt es damals 50 000 Mark.

Nicht selten steht die Bundesanstalt auf Seiten der Industrie, ob beim Fracking, der unterirdischen Lagerung von CO₂ per "CCS" oder beim Endlagerprojekt Gorleben. Doch selten löst sie so erbitterten Streit aus wie mit diesen Thesen zum Klimawandel. Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung nennt sie schlicht "haarsträubend". Unter Klimaskeptikern aber kommt derlei Forschung gut an.

Auch Studien, die Zweifel am Salzstock Gorleben zerstreuen sollen, werden durch die Stiftung gefördert. Für die Grünen Anlass genug, nun die Glaubwürdigkeit der BGR insgesamt anzuzweifeln. "Durch die Stiftung wurden die Unabhängigkeit und Seriosität der BGR kompromittiert und Regierungspolitik korrumpiert," sagt die Grünen-Atomexpertin Sylvia Kotting-Uhl. Man müsse sich nun fragen, "was die Aussagen der BGR zu Gorleben wirklich wert sind". Zumindest haben sich die Interventionen aus Hannover, ob sie nun gezielt waren oder nicht, in den wenigsten Fällen als erfolgreich erwiesen. Die "Klimafakten" haben die Klimapolitik nicht verändert, das umstrittene CCS ist nun gegen den Rat der BGR verboten, auch das unkonventionelle Fracking. Die Arbeiten in Gorleben, an denen der Bayer-Geologe Anger so interessiert war, sind eingestellt. Auch mit Anger selbst hat es kein gutes Ende genommen. Der Schatzmeister bedient sich von 1987 an aus der Stiftungskasse. 1991 fliegt das Loch von insgesamt mehr als 200 000 DM auf. Bayer ersetzte die Summe ohne viel Aufhebens und versetzte Anger in den Ruhestand. Keine vier Monate später wird seine Leiche in Dänemark angespült. Die Todesursache bleibt ungeklärt.

Die Stiftung aber, die er mit aus der Taufe hob, gibt es bis heute. Immer noch vergibt sie Fördergelder und Preise, zurzeit ist sie rund 400 000 Euro schwer. Aber woher das Geld kommt und wer damit bedacht wird - dazu schweigt die Stiftung auch heute. Aus "Gründen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes" könne man keine Einzelheiten zu Spendern oder Geldempfängern nennen. Spenden aus der Industrie gebe es seit Jahren nicht mehr. Für mehr Transparenz aber fehlten leider Geld und Personal.

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SZ vom 29.06.2016/hgn
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