Frau im Vorstand:Schlammschlacht in der Bundesagentur für Arbeit

PK bei Bundesagentur für Arbeit

Der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele (links) und Vorstandsmitglied Valerie Holsboer bei einer Pressekonferenz 2017 in Nürnberg.

(Foto: dpa)
  • Seit zwei Jahren amtiert Holsboer als erste Frau im dreiköpfigen Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA). Immer wieder musste sie in der Zeit um ihren Job kämpfen.
  • Es habe rein fachliche Gründe, Holsboers Vertrag schon jetzt zu beenden, sagen ihre Kritiker.
  • Interne Dokumente aber zeigen, dass die Zwistigkeiten in der Führungsetage einer der größten Behörden Deutschlands viel persönlicher ablaufen.

Von Alexander Hagelüken

Manche Frauen verzichten von vornherein auf Führungsposten, so erlebt es Valerie Holsboer. "Als Argument höre ich: Wer mit den Krokodilen schwimmt, wird gebissen", erzählte sie 2017 in einem Interview. Holsboer war Anfang 30, als sie zum ersten Mal selbst Krokodile auf sich zuschwimmen sah. Die damalige Geschäftsführerin des Fastfood-Verbands war schwanger geworden. "Je dicker mein Bauch wurde, desto mehr Interessenten für meinen Posten brachten sich in Stellung." Sie wehrte den Angriff ab.

Seit zwei Jahren amtiert Holsboer nun als erste Frau im dreiköpfigen Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA), die Millionen Deutschen effizient Jobs vermitteln soll. Es sieht jedoch so aus, als ob diesmal der Angriff auf ihren Posten zu ihren Ungunsten ausgeht. Die Arbeitgeber im Verwaltungsrat, angeführt von Peter Clever, wollen sie diesen Freitag vorzeitig abwählen lassen. Ist das Mobbing? Oder macht Holsboer einen der wichtigsten Behördenjobs der Republik einfach schlecht?

Keiner der Beteiligten äußert sich öffentlich. Interne Dokumente zeigen jedoch, wie brachial es im Krokodilbecken der BA zugeht. So schrieb Holsboer Clever beispielsweise vor gut einem Monat eine Mail, die in Kopie an zahlreiche Beteiligte ging. "Lieber Peter, am Abend des 25. April 2019 hast Du mir im Restaurant beim Aufbruch verkündet, dass Du nun endlich alle soweit hättest und ich weg sei (...). Konkretisiert hast Du diese Aussage in unserem Telefonat am 17.5., als Du unmissverständlich klar gemacht hast, dass Du von mir bis Juni einen Rücktritt aus persönlichen/privaten Gründen erwartest, weil es ansonsten hart für mich würde."

Im Arbeitgeberlager wird betont, es habe rein fachliche Gründe, den mit etwa 250 000 Euro per annum dotierten Fünf-Jahres-Vertrag schon jetzt zu beenden. Holsboer sei glänzend in der Selbstdarstellung, habe sich aber zu wenig ins Personalmanagement und Finanzfragen eingearbeitet. Zur wesentlichen Aufgabenstellung, wie sich eine zementierte Langzeitarbeitslosigkeit aufbrechen lasse, falle ihr nichts ein. "Man muss Konzepte vorlegen, doch da kommt heiße Luft, Gequatsche." Holsboer torpediere sogar Reformen, mit denen der langjährige Vorstandschef Frank Weise die Agentur auf Effizienz getrimmt habe.

Von Unterstützern hört man dagegen, die Quereinsteigerin habe bei den 100 000 Beschäftigten der Agentur ein Umdenken angestoßen. Weniger befristete Stellen, Talentmanagement, neue Lernkultur. Sie habe Geld für die Jobcenter organisiert und einen jahrelang schwelenden Konflikt um die Krankenversicherung für Arbeitslose gelöst. Zahlreiche Mitarbeiter starteten, was wohl nicht oft vorkommt, sogar eine Petition für Holsboers Verbleib.

Totale Fehlbesetzung oder einzigartiger Star? Wer neutrale BA-Insider fragt, der hört: Die Wahrheit liegt vermutlich dazwischen, wie oft im Leben. "Die Valli könnte sich manchmal noch genauer mit den Fakten beschäftigen", urteilt einer. "Sie ist vielleicht nicht die allergrößte Chefin, aber die Vorwürfe gegen sie sind absolut übertrieben." Womit die Frage in den Mittelpunkt rückt, warum ihr nicht Zeit gegeben wird, in so einer komplizierten Riesenbehörde ihre Spuren zu hinterlassen.

Es geht um Alt gegen Jung und Mann gegen Frau

Dabei fällt auf, dass der zentrale Arbeitgebervertreter Clever schon bald nach ihrem Amtsantritt gegen sie in Stellung ging, als sie sich noch überhaupt nicht hatte beweisen können. Mancher sieht darin einen archetypischen Konflikt: Da Clever, 64, seit 15 Jahren im Verwaltungsrat. Hier Holsboer, 42, mit dem unkonventionellen Blick von außen. Alt gegen Jung. Old School gegen New Work. Mann gegen Frau.

Wer mit vielen Beteiligten spricht, gewinnt den Eindruck, dass dies nur ein Teil der Erklärung ist. Es handelt sich auch um einen speziellen Konflikt. Den Verwaltungsrat bestücken Politik, Gewerkschaften, und Arbeitgeber. Und ausgerechnet die Arbeitgeber hievten Holsboer auf ihren Posten. Womöglich auch mit dem Gedanken, im Vorstand ein Gegengewicht zu BA-Chef Detlef Scheele zu schaffen, der der SPD nahesteht.

Clever brüllte Holsboer ständig an

Doch diese Rolle wollte Holsboer nicht spielen. Clever brachte bald seinen Unwillen zum Ausdruck. Ein Insider sagt über ihn: "Der gibt sich modern, weil er vor 30 Jahren mal sein Kind gewickelt hat, aber in Wahrheit ist er ein alter weißer Mann. Der hat gedacht, er kann mit der Holsboer machen, was er will."

Das Verhältnis war bald kaputt. Beteiligte schildern, die Vorständin habe schon nach wenigen Monaten einen anderen Arbeitgebervertreter um Vermittlung gebeten - denn Clever schreie sie häufig an. Genutzt hat die Vermittlung wenig. Clever sei öfter lautstark geworden, heißt es. Einmal habe er sogar ein Gesetzbuch über den Tisch geworfen. In die Richtung, in der Holsboer saß.

Clever äußert sich zu den Vorwürfen nicht, die Arbeitgeber stellen sich vor ihn. Allerdings schildern Insider, der Verwaltungsprofi agiere bisweilen auch gegenüber anderen unangemessen. Clever suche sich Schwächere, die er anbrülle, auch vor Dritten, behauptet eine. "Der Mann ist schlimm", sagt ein anderer.

"Sie hat die Behörde nie verstanden", sagt ein Mitarbeiter

Holsboer warnte ihren Widersacher kürzlich in einer Mail an einen breiten Verteiler davor, schlecht oder verleumdend über sie zu sprechen. "Das gilt besonders für mediale Aktionen, so dass ich davon ausgehe, dass z.B. Dein Treffen mit der Bild am Sonntag in dieser Woche andere Inhalte hat." Wenig später berichtete das Blatt, Holsboer stehe vor dem Rauswurf, womit das Zerwürfnis erstmals öffentlich wurde. Der Artikel zitierte eine Führungskraft der BA über Holsboer so: "Sie hat die Behörde nie verstanden." Im Arbeitgeberlager wird dementiert, dass Clever hinter dem Bericht stehe. Keine Aussage gibt es zu dem Vorwurf, Clever betreibe Holsboers rasche Ablösung auch deshalb, weil er sich nach seinem planmäßigen Ausscheiden aus dem Verwaltungsrat 2020 ein Pöstchen sichern wolle. Etwa einen Lehrauftrag an der BA-Hochschule, den Holsboer kaum bewilligen dürfte.

Das Arbeitgeberlager verweist darauf, es gebe jenseits aller Sachfragen über Holsboers Kompetenz einen klaren Grund für ihre Ablösung: Das Vertrauensverhältnis zu den Arbeitgebern, die im Verwaltungsrat über Posten mitbestimmen, sei gestört. Das lässt sich kaum bestreiten.

Bisher spricht einiges dafür, dass die Arbeitgeber in der Sitzung am Freitag ihren Willen bekommen. Die Gewerkschaften überlassen traditionell der anderen Seite, wie sie mit von ihnen benannten Vorstandskandidaten umgeht. Und erwarten im Gegenzug, dass sie ebenfalls frei schalten können. Damit hätten die Arbeitgeber die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit in dem Gremium. Weicht allerdings jemand in der geheimen Abstimmung ab, etwa weil ihm Clevers Vorgehen missfällt, wird es eng.

Wohl kaum zufällig tauchten am Mittwoch Informationen über die Dienstreisen der Verwaltungsräte auf, zu denen auch Clever gehört. Der Bundesrechnungshof sei bei der Prüfung der Reisekosten auf Unregelmäßigkeiten gestoßen, berichtet die Bild-Zeitung. Es gehe um zu hohe Ausgaben für Flüge und Hotels. Clever bestreitet Fehlverhalten. Aber womöglich werden die Vorwürfe am Freitag auf die Tagesordnung gesetzt. Und es kommt wieder zu einem Showdown im Krokodilbecken.

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