BUND-Chef:"An der Agrarindustrie sind schon einige gescheitert"

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BUND-Chef Weiger über Landwirte als Opfer und Täter in Personalunion und warum der nächste Lebensmittelskandal so sicher ist wie das Amen in der Kirche.

Silvia Liebrich

Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), ist Mitinitiator der Initiative "Wir haben es satt!". Hier haben sich mehr als 300 Wissenschaftler, 120 Nichtregierungsorganisationen und Landwirte zusammengeschlossen. Die Gruppe hat für den 22. Januar zu einer Großdemonstration am Rande des EU-Agrarministertreffens in Berlin aufgerufen. An diesem Tag treffen sich Spitzenpolitiker, um die bevorstehende Agrarreform in der EU vorzubereiten.

BUND-Chef Hubert Weiger: "Das Perverse daran ist, dass ein Kilogramm Fleisch deshalb heute zum Teil weniger kostet als ein Kilo Gemüse." (Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Weiger, der Dioxinskandal macht erneut die Risiken der Massentierhaltung und der Produktion von Billigfleisch deutlich. Wie konnte es soweit kommen?

Hubert Weiger: Das Problem ist, dass der industriellen Massentierhaltung in Deutschland in den vergangenen Jahren keine Grenzen gesetzt wurden. Im Gegenteil, zentrale Umweltgesetze wurden für die Massentierhaltung aufgeweicht. So soll bei Celle in Niedersachsen derzeit der größte Hühnerschlachthof Europas gebaut werden, mit einer Kapazität von 2,5 Million Hühnchen pro Woche

sueddeutsche.de: Wer braucht so viele Hühner?

Weiger: Niemand. Es herrscht bereits Überproduktion gemessen am Konsum hierzulande. Dennoch wollen Schlachtkonzerne weiter wachsen. Mit Unterstützung der Politik hat die Fleischindustrie eine fatale Exportfixierung entwickelt, um Wachstum zu generieren, koste es was es wolle. Deutschland ist in kürzester Zeit der größte EU-Geflügelproduzent nach Frankreich geworden. Bei Schweinefleisch sind wir Exportmeister. Jedes zehnte Schwein geht rechnerisch in den Export. Im größten deutschen Schlachthof in Weißenfels in Sachsen-Anhalt sollen dennoch schon bald 20.000 Tiere pro Tag verarbeitet werden. Ist die Anlage fertig, zieht das zahlreiche neue Tierfabriken nach sich in einem Einzugsgebiet bis nach Dänemark.

sueddeutsche.de: Welche Folgen hat das für andere Schlachthöfe?

Weiger: Handwerkliche Betriebe mit Qualitätserzeugnissen werden vom Markt gedrängt, weil sie nicht so billig liefern können. Gefördert wird der Strukturwandel mit Subventionen von der Europäischen Union. Das Perverse daran ist, dass ein Kilogramm Fleisch deshalb heute zum Teil weniger kostet als ein Kilo Gemüse.

sueddeutsche.de: Immer mehr, immer größer, immer billiger?

Weiger: Das ist die Realität. Die Tierbestände wachsen, gleichzeitig sinkt die Zahl der Mastbetriebe. Es gibt also immer mehr große Agrarfabriken, die kleine Produzenten vom Markt verdrängen. Bauernhöfe mit besseren Tierhaltungsbedingungen haben keinen fairen Marktzugang, unter anderem weil Fleisch aus Massentierhaltung nicht als solche gekennzeichnet ist, sondern mit irreführenden Bildern von glücklichen Tieren und schönen Landschaften beworben werden darf.

sueddeutsche.de: Warum werden dem keine Grenzen gesetzt?

Weiger: Die Obergrenzen für Tiere in Mastanlagen wurden im Jahr 2007 nach oben gesetzt. So werden heute 3000 Mastschweineplätze so leicht genehmigt wie zuvor 2000 Plätze und 40.000 Putenmastplätze erhalten heute so zackig eine Genehmigung wie zuvor nur halb so große Anlagen. Hofeigene Flächen zur Futterproduktion muss der Anlagenbetreiber nicht mehr belegen. Das hat schwerwiegende Folgen für die Umwelt, weil die Gülle rücksichtlos dort entsorgt werden darf, wo es am kostengünstigsten ist, etwa auf Maisfeldern. Die können zugegüllt werden und die Pflanzen wachsen trotzdem gut. Doch die Umwelt wird massiv verschmutzt und diese Kosten tragen nicht die Verursacher.

sueddeutsche.de: Sondern?

Weiger: Die Allgemeinheit. Neben hohen Lachgas-Emissionen, die zur Klimaerwärmung beitragen, gelangt Stickstoff in großen Mengen ins Grundwasser. In Regionen mit intensiver Tierhaltung gibt es deshalb größte Probleme mit dem Trinkwasser. In den Landkreisen Vechta und Cloppenburg, wo deutschlandweit die größte Dichte an Mastanlagen steht, sind saubere Grundwasserquellen immer seltener zu finden. Neue Wasserversorgungssysteme zahlen dann vielfach die Kommunen, also der Steuerzahler. Das ist staatlich subventionierte Umweltverschmutzung.

sueddeutsche.de: Warum ist die Massenhaltung für die Tiere so belastend?

Weiger: Sie werden nicht artgerecht gehalten. Die Tiere werden auf engstem Raum zusammengepfercht und können sich kaum um die eigene Achse drehen. Schweine werden nicht auf Stroh, sondern auf Beton mit Spalten gehalten, damit die tierischen Ausscheidungen einfach und billig entsorgt werden. Die Tiere stehen dadurch permanent unter Stress, sind krankheitsanfälliger und müssen häufiger mit Antibiotika und anderen Medikamenten behandelt werden.

sueddeutsche.de: Ein großer Teil des Futters kommt inzwischen aus dem Ausland - warum?

Weiger: Weil es für diese Tiermassen in Deutschland nicht genug Fläche gibt und Futter aus dem Ausland zumeist billiger ist. Tiere in Massenhaltung werden mit sogenannten optimierten Futtermischungen großgezogen, damit sie schnell schlachtreif werden. Der hohe Importanteil an Eiweißfutter - es handelt sich um über 70 Prozent - sorgt insbesondere für Probleme in Entwicklungsländern. Zwei Drittel der Sojaimporte kommen aus Südamerika, wo für den großflächigen Anbau meist gentechnisch veränderter Soja Regenwälder vernichtet werden.

sueddeutsche.de: Viele Viehhalter sehen sich als Opfer des Dioxinskandals, sind sie nicht auch Ursache des Problems?

Dioxin - jetzt auch im Schwein. (Foto: REUTERS)

Weiger: Bauern sind Opfer und Täter zugleich. Sie reagieren auf den Wettbewerb. Die wenigsten haben sich freiwillig auf die Intensivierung der industriellen Massenhaltung eingelassen. Insofern sind sie Opfer einer Entwicklung, die von Politik, Verbänden und Industrie gesteuert wird. Zugleich sind sie aber auch Mittäter, weil sie die Prozesse einfach so akzeptiert haben. Zu wenige sind ausgestiegen und haben etwa auf Ökoproduktion, Neuland oder regionale Qualitätsprogramme umgestellt.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielen die Bauernverbände, ein mächtiger Verband. Hätte er nicht gegensteuern können und müssen?

Weiger: Das ist nicht geschehen, weil auch die Spitzen des Deutschen Bauernverbandes von Vertretern dominiert werden, die von der Industrialisierung der Agrarwirtschaft profitiert haben. Prominentes Beispiel ist der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, Franz-Josef Möllers. Er ist der Aufsichtsratschef der Agravis, des zweitgrößten Futtermittelkonzerns in Deutschland.

sueddeutsche.de: Mit welchen Folgen?

Weiger: Kritisch ist das vor allem, weil diese Großhersteller starken Preisdruck auf die Höfe ausüben, die ihr Futter noch selbst herstellen. Die müssten so billig und optimal produzieren wie die Industrie und das können sie oft nicht. Deshalb geben immer mehr Landwirte die eigene Futtermittelproduktion auf und gehen mit dem Zukauf auch Risiken ein.

sueddeutsche.de: Ist der Ausstieg aus der Massentierhaltung möglich und realistisch?

Weiger: Das ist durchaus machbar und notwendig. Denn die bestehenden Strukturen sind ja nicht gottgewollt, sondern werden von der Politik bestimmt. Wir brauchen faire Wettbewerbsbedingungen für tier- und umweltgerecht wirtschaftende Betriebe. Industrielle Großbetriebe dürfen nicht länger die von ihnen verursachten Umweltkosten auf die Allgemeinheit abwälzen. Die Kontrollen der Betriebe müssen verschärft werden und die Kosten dafür von der Industrie getragen werden, nicht vom Steuerzahler.

sueddeutsche.de: Brauchen wir strengere Gesetze?

Weiger: Wir müssen die Umweltstandards erhöhen und Mindestvorschriften für eine artgerechte Tierhaltung modernisieren. Viehhaltung muss wieder an die Fläche gebunden werden. Das heißt, ein Erzeuger darf nur so viele Tiere halten, wie er überwiegend mit eigenem Futter versorgen kann, wie es bis vor kurzem auch in Bayern der Fall war. Das ist der beste Schutz gegen eine exzessive Massentierhaltung. Außerdem müssen die Subventionen umverteilt werden, artgerechte Haltung muss belohnt werden, das ist derzeit nicht der Fall. Genehmigungsverfahren für Großbetriebe müssen verschärft werden.

sueddeutsche.de: Was muss sich für die Verbraucher ändern?

Weiger: Verbraucher werden systematisch in die Irre geführt. In der Werbung wird ihnen eine heile Welt mit idyllischen Fachwerk-Bauernhöfen und Wiesen vorgegaukelt. Mit Begriffen wie artgerecht oder naturnah wird Schindluder getrieben - und das ganz legal im Rahmen der Kennzeichnungsgesetze. Wir brauchen eine verpfichtende Kennzeichnung auf Fleisch und Milch, mit der Verbraucher Herkunft, Haltungsform der Tiere und gegebenfalls auch den Einsatz von Gentechnik eindeutig erkennen können. Eine staatlich garantierte Kennzeichnung gibt es bislang nur für Bioprodukte.

sueddeutsche.de: Warum ist es so schwierig, die Futtermittelindustrie zu regulieren?

Weiger: An der mächtigen Agrarindustrie sind schon einige Agrarminister gescheitert. Derzeit aber fehlt es am politischen Willen. Die Industrie geht wieder ihren alten Geschäften nach, sobald das öffentliche Interesse nach einem Skandal sinkt. Das hat auch das Beispiel der BSE-Krise vor gut zehn Jahren gezeigt. Die damals aufgelegten Programme für eine artgerechte Tierhaltung sind bald darauf eingestampft worden, Für die Futterhersteller geht es um ein Milliardengeschäft.

sueddeutsche.de: Agrarministerin Ilse Aigner fordert von der Industrie Vorschläge zur Selbstregulierung. Ist das nicht naiv?

Weiger: Das ist nicht nur naiv, sondern kontraproduktiv. Wir wissen, die Industrie kann und will das Problem nicht lösen, sie profitiert von laschen Kontrollen und Gesetzen. Der nächste Lebensmittelskandal ist deshalb so sicher wie das Amen in der Kirche, wenn es der Politik nicht endlich gelingt, sich gegen die Agroindustrie durchzusetzen. Agrarministerin Aigner braucht viel Mut und noch mehr Willen, um sich mit einem der mächtigsten Industriekomplexe Deutschlands anzulegen, der beinahe unbehelligt von der Öffentlichkeit schalten und walten kann.

sueddeutsche.de: Die BSE-Krise, Gammelfleisch, Pestizide im Gemüse und nun Dioxin in Geflügelprodukten und Schweinefleisch. Verbraucher fühlen sich ohnmächtig. Wird sich nun endlich etwas ändern?

Weiger: Wir haben jetzt die Chance, mehr zu bewirken als in den letzten Jahren. Der Dioxinskandal stellt nur die Spitze des Eisbergs dar. Die industrielle Agrarproduktion verursacht eine ganze Reihe gravierender Probleme, die ungelöst sind und in eine Sackgasse führen. Die Bevölkerung hat es satt. Das zeigt auch das gewaltige Interesse an unserer Demonstration "Wir haben es satt!" am 22. Januar in Berlin gegen Tierfabriken, Gentechnik und Dumping-Exporte und an der bereits geplanten Folgekampagne "Meine Landwirtschaft" für eine Reform der EU-Agrarpolitik.

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