Bürokratie und Innovation:Da schau her

Die Sorgen von Serbien sind nicht die Sorgen der deutschen Industrie. Aber Politik und Wirtschaft können doch etwas voneinander lernen, gerade weil sie unterschiedliche Perspektiven auf die gleichen Probleme haben - zum Beispiel auf das Formular A1.

Von Thomas Fromm, Berlin

Ana Brnabić ist Politikerin, aber sie kennt auch die andere Seite. Dafür hat sie lange genug in der Privatwirtschaft gearbeitet. Ihr wichtigster Schwerpunkt in Belgrad, seit sie im Juni 2017 zur serbischen Ministerpräsidentin gewählt wurde: die Digitalisierung der serbischen Verwaltung, die Digitalerziehung schon der ganz Kleinen in der Grundschule, eine einfachere und schnellere Bürokratie. Das mittelfristige Ziel der 1975 geborenen, parteilosen Betriebswirtin: ein EU-Beitritt ihres Landes, irgendwann.

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Serbiens Ministerpräsidentin Ana Brnabić sorgt sich um die Abwanderung junger Menschen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und sein bayerischer Amtskollege Markus Söder wollen die Koalition fortsetzen. Zwischen den beiden: SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach.

(Foto: Johannes Simon)

Insofern passt Ana Brnabić ganz gut in diese Gesprächsrunde: Wenn Politik und Wirtschaft gemeinsam an den komplizierten Brüchen unserer Zeit arbeiten sollen, dann trifft es sich nicht nur gut, wenn sehr unterschiedliche Menschen zusammensitzen, um das Thema zu besprechen. Es hilft auch, wenn Menschen wie die serbische Ministerpräsidentin dabei sind, die eher in Gemeinsamkeiten denken als in Gegensätzen, weil sie gewohnt sind, die Perspektiven zu wechseln.

Zum Beispiel beim Blick auf ein einfaches Formular. Jene Bescheinigung, die man unter anderem braucht, wenn man als Arbeitnehmer in ein Mitgliedsland der EU entsendet wird oder zu Geschäftsreisen aufbricht. Das Papier, das klärt, welches Sozialsystem in der EU für einen Versicherten zuständig ist, heißt A 1, und ist offenbar keine Erfolgsstory. Zumindest nicht für Dieter Kempf, den Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Er sagt: "Wenn es hier einen gibt, der eine A1-Bescheinigung ausfüllen kann - Respekt!"

So etwas bringt sicheren Beifall aus dem Publikum.

Auch die fränkische Familienunternehmerin Angelique Renkhoff-Mücke sieht Versäumnisse in der Politik. Die Rahmenbedingungen der vergangenen Jahre seien zwar "angenehm" gewesen. Schade nur, dass man nicht genug "vorgebaut" habe. Denn: "Irgendwann kommt der Moment, an dem es wieder kippt." Und dann stehe man da, mit seinen schwierigen A1-Bescheinigungen, den hohen Steuern, der komplizierten Bürokratie und all den vielen und langen Genehmigungsfristen. Sie will wissen: "Was ist eigentlich unsere Vision? Wo wollen wir im Jahre 2025 stehen?"

Bürokratie und Innovation: Was braucht Deutschland, um voranzukommen? Weniger Bürokratie, da waren sich nicht nur Unternehmerin Angelique Renkhoff-Mücke und BDI-Präsident Dieter Kempf einig.

Was braucht Deutschland, um voranzukommen? Weniger Bürokratie, da waren sich nicht nur Unternehmerin Angelique Renkhoff-Mücke und BDI-Präsident Dieter Kempf einig.

(Foto: Stephan Rumpf)

BDI-Chef Kempf sagt es so: Die Hochkonjunktur der vergangenen Jahre seien einfach "verpennt" worden. Kempf mag klare Worte, das hat der Bayer immer schon so gehandhabt. Stimmungsmache gegen große SUV? Da macht er nicht mit. Die großen Geländekisten würden ja nicht gekauft, weil sie produziert werden. Sondern andersherum: Jemand baue sie halt, weil sie nachgefragt würden.

Ana Brnabić hat da gerade ganz andere Themen. Sie kommt aus einem Land, das in diesen Jahren große Sprünge macht nach den großen Konflikten der vergangenen Jahrzehnte. Vielleicht ist es auch so, dass sie die Sorgen der anderen ganz gerne hätte. "Deutschland ist ein großes Problem für uns", sagt sie. Denn: "Da gehen unsere besten Leute hin." Immerhin. Es sind Menschen, die in Serbien fehlen. Braindrain nennt man es in der Wirtschaft, wenn junge, gut ausgebildete Leute nicht im eigenen Land bleiben, sondern auf der Suche nach Jobs auswandern. Und junge Serben mit Uni-Abschluss suchen ihr Glück oft in Deutschland, wo sie sich interessante Gehälter und Aufstiegschancen erhoffen. Andererseits: Deutsche Unternehmen beschäftigten auch 60 000 Menschen in Serbien, und das bei sieben Millionen Einwohnern. "Je stärker Deutschland ist, desto glücklicher sind wir", sagt die serbische Ministerpräsidentin. A1-Formulare, Reformstau, lange Fristen? Na ja.

Angelique Renkhoff-Mücke, 56, hört aufmerksam zu. Sie ist Vorstandsvorsitzende des auf Sonnenschutz spezialisierten Unternehmens Warema Renkhoff SE. Sie ist Verhandlungsführerin der bayerischen Metall- und Elektro-Arbeitgeber, und für jemanden wie sie sind dies nicht die Zeiten hoher Lohnabschlüsse. Es ist die Stunde der Wettbewerbsfähigkeit, so die Unternehmerin. Die Konkurrenz schläft nicht. Da passen Kempf und Renkhoff-Mücke ganz gut zusammen: Die Wirtschaft macht schon ihren Teil. Aber die Politik muss auch etwas dafür tun, damit der Standort interessant und lukrativ bleibt.

Nun ist es die Politikerin aus Serbien, die interessiert in die Runde schaut. Deutschland und Serbien mögen nicht wirklich und direkt vergleichbar sein. Aber es gibt einiges, was man voneinander lernen kann.

Einer, der Serbien ganz gut kennt, ist der Siemens-Vorstand Michael Sen, Jahrgang 1968. Unter anderem hat er ein Windturbinenwerk in Serbien. "Das Zusammenspiel von Politik Hand in Hand mit der Wirtschaft ist das beste Rezept", sagt er. Energiewende, Klimawandel, erneuerbare Quellen: Ohne die Politik kann auch er nicht. Auch für Sen haben sich die Zeiten geändert. Er hatte noch eine der klassischen Stammhauslehre bei Siemens gemacht. Als Siemens-Vorstand ist er unter anderem für die Medizintechnik zuständig, schon im nächsten Jahr aber soll er das große Energiegeschäft von Siemens unter dem Namen Siemens Energy an die Börse bringen. 30 Milliarden Euro Umsatz, mehr als 80 000 Mitarbeiter - Sen wird Herr über eine Siemens-Abspaltung, die ungefähr ein Drittel des heutigen Gesamtkonzerns ausmacht. Was jemand wie Sen bei all dem vor allem braucht, ist eine verlässliche Politik.

Da laufen die Dinge in Belgrad auch nicht viel anders. Sie habe lokale und globale Herausforderungen, sagt Ana Brnabić, die zu Hause zwischen vielen Stühlen sitzt. Als das Land seine Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit der von Russland geführten Eurasischen Union vertiefte, war Brüssel skeptisch. Die Serbin versteht die Aufregung nicht - für sie sei es "wichtig, Partnerschaften auf der ganzen Welt zu haben", sagte sie neulich in einem Interview. Die Welt ist im Umbruch, damit muss auch sie klar kommen.

60 000 Beschäftigte

haben deutsche Unternehmen in Serbien, einem Land mit sieben Millionen Einwohnern. Für Serbien ist Deutschland auch der wichtigste Handelspartner. Von Siemens bis zum Autozulieferer Leoni - die Unternehmen schätzen die geografische Nähe und gut ausgebildete Mitarbeiter. Allerdings verlassen junge, gut ausgebildete Leute häufig das Land; das Nettodurchschnittseinkommen liegt derzeit bei rund 375 Euro im Monat. Auch deshalb setzt Ministerpräsidentin Ana Brnabić auf die Digitalisierung. Sie sagt: "Serbien war nicht unter den Gewinnern der dritten industriellen Revolution, deshalb sollten wir dafür kämpfen, zu den Gewinnern der vierten Revolution zu gehören."

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